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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Es hat begreiflicher Weise einige Schwierigkeiten, einen so zerlappten, mit tiefen Wasserrillen zerschnittenen schwimmenden Acker zu bepflügen. Aber, wie gesagt, die Pferde des Landes sind klug und sie wissen während der Arbeit gleich auch einen solchen verrätherischen Riß, unter dem tiefes Wasser lauert, zu erkennen und zu vermeiden, auch wenn ihr Herr ihn übersehen haben sollte.

Die Differenz zwischen dem niedrigsten Wasserstande im Sommer, bei welchem das meiste Land in Wakhusen fest auf dem Boden ruht, und dem höchsten Wasserstande, bei welchem fast Alles schwimmt und treibt, wie Rahm auf der Milch, beträgt wohl zehn Fuß, und so hoch also können denn auch die Aecker und die auf ihnen wachsenden Bäume über ihren gewöhnlichen Standpunkt hinausgehoben werden. Steigen die Aecker und Wälder oder Gehölze umher, wie es ausnahmsweise geschieht, sogar 12 Fuß und mehr, so verändert dies die ganze Physiognomie des Landes. Die Häuser auf ihren festen Sandhügeln liegen dann tief, und die Gärten und Aecker schwimmen hoch aufgetrieben um sie her, und man erhebt sich zu ihnen vom Hause aus auf Stegen und Leitern.

So lange das Wasser in den Wohnungen noch leidlich niedrig steht, behelfen sie sich erst auf allerlei Weise. Sie machen für das Vieh im Stalle ein Bretergerüst, auf das sie die Kühe wie auf eine Tribüne hinauftreiben. Zuweilen fahren sie auch wohl mit einem großen Boote in die weite Haustenne hinein, binden dasselbe an die Balken und machen daraus, indem sie das Vieh einschiffen, einen temporären Stall. Auch für ihr Heerdfeuer mitten im Hause errichten sie ein Bretergerüst, bedecken dasselbe mit Sand und zünden darauf dicht über dem Wasserspiegel die häusliche Flamme an. Zuweilen wird auch wohl ein großer, eiserner Braukessel an einer Kette über dem das Haus füllenden Wasser aufgehängt und in ihm das Feuer angemacht. Sie selber hausiren und schlafen auf dem Boden, steigen auf Leitern zu dem Feuerheerde und zum Vieh in der Haushalle, die zu einem Wasserkeller geworden ist, hinab.

Können sie das Haus auf keine Weise mehr halten, so bleibt zuletzt nichts übrig, als auf den schwimmenden Acker oder Wald daneben hinauszuziehen. Da errichten sie temporäre Hütten und Schuppen, treiben auf rasch construirten Brücken ihr Vieh hinaus und campiren daselbst – oft wochenlang – bis die Fluth wieder sinkt und die Häuser und Stallungen frei werden. Ein alter Mann in Wakhusen erzählte mir, daß er sich während seines Lebens schon vier Mal auf diese Weise mit seiner Familie, seinem ganzen Haus- und Viehstande unter die Bäume seines schwimmenden Waldes habe retten müssen.

Wie gesagt, hätten die Wakhusener nicht die Wohlthat des schwimmenden Landes, so wären sie längst hundert Mal mit ihren Thieren verhungert oder ertränkt. Diese guten Leute begreifen daher gar nicht, wie andere Menschen ohne „schwimmendes Land“ existiren können, und beklagen die, welche keines besitzen.

Ihr schwimmendes Land ist immer, selbst in regenloser Zeit, von unten her herrlich gewässert. Es ist auch vor zu viel Regen gesichert, da dieser leicht davon abläuft. Auch bei Überschwemmungen können die schwimmenden Stücke nie durch Verschlämmung verdorben werden, da sie immer über sie höchste Fluth sie Oberhand behalten. Ein Stück Wiesenland, das vorher, so lange es fest war, vielleicht blos wildes Gras, Schilfe, Binsen und Riethe erzeugte, verbessert alsbald, wenn es zum Treiben kommt, ganz von selbst seine Pflanzendecke, besamt sich in der Luft und dem Sonnenschein, dem es sich öffnet, mit feineren und gesunderen Gräsern. Kein Wunder also, daß unsere gefälligen Wakhusener, die uns in der Dorfflur herumführten, von jedem Garten-, Acker- und Gehölzstücke genau zu sagen wußten, ob es zum Treiben komme oder ob es stecken bleibe.

Für gewöhnlich und im Ganzen hat es mit der bloßen Erhebung des Landes sein Bewenden. Die gelösten Aecker steigen im Winter ruhig und allmählich in die Höhe und sinken am Ende des Frühlings wieder in ihre Plätze zurück, kleine Veränderungen und Dislocirungen des Erdreichs kommen zwar jeden Winter vor, wie man dies bei einer so großen Zerreißung des Rasenteppichs natürlich finden wird. Beständig werden kleine Stücke Landes vom Wasser nicht mit gehoben, sondern auch von der thalwärts ziehenden Strömung mit fortgeführt und weit von ihren, Heimathsorte wieder deponirt.

Meistens sind es solche Dobbenstücke, wie ich sie oben beschrieb, die mit dem Eise zusammengefroren sind und von den Schollen weggeführt werken.

„Bei mir,“ sagte mir ein Dorfbewohner, der mir seine Aecker zeigte, „schwimmt alle Frühlinge irgend etwas heran und setzt sich auf meinem Lande fest. Ich weiß gar nicht, woher es kommt, und erfahre auch fast nie, wem es gehört hat, und ich habe immer meine liebe Noth damit!“ – „Freuen Sie sich denn nicht über den Zuwachs?“ – „I bewahre!“ erwiderte er, „ja, wenn es Sand wäre, dann wollte ich mich wohl freuen. Aber es sind immer nur garstige Moorflecken und Torf-Inseln, die mir in meinen Garten dringen, oder sich wie Schlammhaufen auf meine Aecker und Wiesen legen. Wir haben nachher viel Arbeit und Mühe. sie wieder wegzugraben ober auszuebenen. Und ist einmal etwas Werthvolles darauf, gedüngtes Land oder Baumwuchs, so kommt gewöhnlich der Eigenthümer in einem Schiffe hinterdrein gefahren, reclamirt und führt das Brauchbare wieder zurück. Meistens vereinigen wir uns gütlich über die Sache und theilen den Schaden, den Vortheil und die Arbeit bei der Wegschaffung und Zerlegung dieser gestrandeten Insel gemeinschaftlich.“

So, sage ich, geht es gewöhnlich her. Wenn sich aber im Frühling, wie es zuweilen geschieht, ein heftiger Westwind aufmacht, dann wird der Aufruhr und die Unordnung unter den zerstückten Landpartien der Wakhusener größer. Dann setzt sich der Luftstrom hinter die Bäume, die auf den zum Theil noch gefrornen und durch tiefe Gräben von einander geschiedenen Erdschollen stehen, bringt Locomotion in sie hinein und läßt sie auf einander stoßen, wie im Hafen liegende Schiffe, wenn ein Sturm zwischen die Flotte fuhr. Zuweilen nimmt dann der Wind wohl ein größeres Stück Land mit fort und treibt es, die Bäume wie Segel blähend, weit in’s Wasser hinaus, wie Plinius dies beschreibt, wenn er sagt, „die großen Eichen mit ihren Zweigen auf den schwimmenden Inseln der Weser hätten wie rudernde Riesen ausgesehen.“

Gewöhnlich aber bleibt es auch dann nur bei den kleinen Verschiebungen und Verwirrungen, die indeß immerhin störend genug sind. So zeigten uns unsere Leute ein Stück bewaldeten Landes, das wohl einen halben Morgen groß, mit einem dichten Gehölze von Tannen, Birken, Erlen, Eichen besetzt war, und das der Wind vor einigen Jahren aus seiner Stelle getrieben hatte. Es war ganz in den breiten Canal hineingefahren, der es von der Besitzung des Nachbarn trennte, und hatte diesen geschlossen.

Da diese Canäle, wie gesagt, die Landstraßen der Gegend sind, so sollte in dem besagten Falle die Verstopfung wieder beseitigt werden, und dem Eigenthümer des dislocirten Waldes drohte der Verlust eines schönen, breiten Streifen Landes, den man weggraben wollte. Um diesem Verluste zu entgehen, entschloß sich der Besitzer lieber zu einem anderen Verfahren.

Er griff zu den Schrauben, mit denen sie hier ihre Häuser aus dem Sumpfe zu bringen gewohnt sind. Es wurden auf beiden Seiten der beiden auf einander gedrängten Felder Balkengerüste befestigt, eine Anzahl von Schrauben längs der ganzen Linie gesetzt und diese dann von den Zimmerleuten und helfenden Nachbarn gleichzeitig angespannt. Zugleich hatte man auch auf der anderen Seite der Insel Stricke an sie Bäume gebunden, die man von den benachbarten festen Haus-Warfen aus ebenfalls anzog. Und so wurde die ganze Insel wieder in ihre frühere Lage zurückgebracht. Aehnliche Operationen sind in Wakhusen im Laufe der Jahrhunderte schon oft vorgekommen, und die Leute sind darauf eingeübt.

Den großen Bäumen, die zuweilen auf dem schwimmenden Erdreiche stehen, geht es, wie man sich leicht vorstellen kann, häufig nicht anders als den Häusern. Sie gerathen, wie diese, in allerlei schiefe Stellungen. Bei den Erdrissen, die da entstehen, wo sich das feste vom treibenden Erdreich löst, fallen sie oft ganz um oder werden auch in’s Wasser hinausgeworfen. Da sie meist in einer sehr lockeren Krume wurzeln, so treibt sie der Wind zuweilen wie die Halme eines Aehrenfeldes haufenweise über einander. Allein auch die Bäume des Landes sind auf solche Vorfälle gefaßt. Im Sommer, wenn der Boden sich setzt, und ihre Wurzeln unten wieder in’s Gleichgewicht bringt, stehen sie gesund und frisch wieder auf und richten sich in Reih und Glied wie zuvor.

Ein Wakhusener erzählte mir, wie einmal auf seinem Lande eine große schöne Eiche umgestürzt sei und flach am Boden dagelegen habe. Er glaubte, daß sie sich nie wieder aufrichten würde,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_680.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2022)