Seite:Die Gartenlaube (1861) 679.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

müssen. Zum Aufschrauben der Häuser sind die Dorf- Zimmerleute in diesen Wasserländern durchweg eingerichtet. Sie haben hölzerne, etwa vier Fuß lange Schrauben. Von denen setzen sie ein oder zwei Dutzend unter das Haus und schrauben es mit Allem, was es enthält, in die Höhe. Indem sie immer wieder Sand oder Stein-Grus, oder was sie sonst zum Ausfüllen des Zwischenraums zur Hand haben, nachschieben, können sie das Haus 5 bis 6 Fuß oder auch so hoch, wie sie wollen, bringen. Aber natürlich strapazirt dies die alten Gebäude sehr. Es giebt dabei Vieles im Innern und in dem Mauerwerk zu flicken und zu bessern, und sie sitzen daher in ihren schiefen mit versinkenden Häusern so lange, wie sie es aushalten können.

„Ich habe schon drei Mal in meinem Leben schrauben lassen,“ sagte mir einer dieser Wasserleute. „Ich habe mich aber jetzt entschlossen, wenn ich wieder zu tief sinke, lieber ganz neu zu bauen. Es macht mir zu viel Kosten und Umstände.“ Mancher Arme hat auch nicht das Vermögen zum „Schrauben“ und muß dann wider Willen in seiner schiefen Wohnung aushalten. So lange das Haus oder die Warf noch neu sind, muß wohl alle zehn Jahr einmal „geschroben“ werden.

Mit der Zeit wird der Boden fester und fester, die Torfmoore unten compacter zusammengepreßt, die „Warf“ dicker und solider, und Alles setzt sich dann in’s Gleichgewicht. Die Leute freuen sich daher, wenn sie auf recht alten Warfen wohnen. „Meine Warf,“ rühmte sich gegen mich Einer, „ist über 100 Jahr alt. Mein Vater und Großvater und Urgroßvater haben schon so viel Grus, Balken, Ziegelsteine und Sand hineingesteckt, daß mein Haus feststeht, wie auf Felsen gebaut.“

Dies Alles sind zwar keine ausschließlichen Eigenthümlichkeiten in Wakhusen. Man findet es so vielmehr mit Abwechselungen in allen den wässrigen Moor-und Marschdistricten Nordwestdeutschlands. Aber man wird bald sehen, daß es nöthig war, hier einleitungsweise an diese Dinge zu erinnern, um die Erscheinungen beim „schwimmenden Lande“ zu verstehen.

Die Torfmoor-Schicht – auch dies muß ich noch vorher bemerken – besteht aus verschiedenen Lagen von sehr abweichender Schwere und Qualität. Oben kommt zuerst eine Schicht, in der die Pflanzentheile, welche die Moore bilden, noch unvollkommen zersetzt oder vermodert sind. Sie hat eine hellbraune oder graue Farbe, und die Leute nennen sie „de witte Moor“ (das weiße Moor). Sie ist federleicht und schwimmt wie Korkholz auf dem Wasser. Weiter unten wird das Moor brauner und gewichtiger und zuletzt ganz schwarz und ganz schwer.

Das Moor ist durchweg eine ziemlich locker zusammenhängende Masse, in der sich eine Schicht leicht von der andern löst. Wenn nun im Frühling bei der Schneeschmelze auf den weiter im Innern des Landes liegenden Hochmooren die Hamme, der Fluß, in dessen Niederungen Wakhusen liegt, anschwillt und alle Canäle und Gräben sich mit Wasser füllen, auch das Moor selbst sich durchweg wie ein Schwamm vollsaugt, so bläht sich vermuthlich wohl die ganze Gegend mit Allem, was auf dem anschwellenden Moore liegt, ein wenig auf. Am meisten aber fühlen sich die leichten Schichten, „das weiße Moor“, gehoben, und sie kommen, indem das Wasser zwischen ihnen und den braunen und schwarzen Schichten eindringt und sie aus einander reißt, am ehesten zum Schwimmen. Sehr viel hilft dabei auch der Frost, der, wie ich sagte, nicht nur das obenstehende Wasser, sondern auch die oberen Moorschichten zu einer dadurch noch leichter werdenden Masse gefrieren läßt. – Gewöhnlich ist die Schicht, welche sich abhebt und zum Schwimmen kommt, nur 5, 6 bis 8 Fuß dick, und zuweilen noch viel dünner. Mitunter sollen aber auch 20 Fuß dicke Erdschollen zum Schwimmen gebracht werden. – Man kann sich übrigens denken, daß je nach der Höhe und Gewalt des Wasserstandes, nach der Stärke des Frosten und nach den verschiedenen Graden der Festigkeit und des Zusammenhangs der weißen, braunen und schwarzen Torfschichtung dies Alles sehr verschieden ausfällt.

Häufig ist der Teppich der schwimmenden Wiesen so dünn, daß, wenn man mit einem Wagen darüber hinfährt, der Boden sich unter den Pferden tief senkt, hinter dem Wagen aber wieder emporhebt. Ja zuweilen vermögen die jungen Füllen, indem sie darüber hinlaufen, das Ganze in Schwankung zu versetzen, so daß der Boden hinter ihren flüchtigen Hufen Wellen schlägt, wie ein ausgespanntes Tuch. – Die im Orte selbst aufgewachsenen Thiere wissen aber sehr gut zu beurtheilen, wie weit sie sich hinauswagen dürfen, und sie vermeiden bei ihren Spielen die Stellen, wo das schwimmende Erdreich so schwach wird, daß es sie nicht mehr tragen könnte.

In uralten Zeiten ist wahrscheinlich ein stundenlanger Strich Landes in vollem Zusammenhange längs der ganzen Hammeniederung zum Schwimmen oder, wie sie hier gewöhnlich sagen, „zum Treiben“ gekommen. Seitdem sich aber der Mensch auf dieser Scholle niedergelassen, seitdem er tiefe Canäle und Gräben gezogen, Häuser gebaut und das Land auf mannigfaltige Weise zerstückt hat, ist dies nicht mehr der Fall. Der Boden kommt nun nur noch stückweise „zum Treiben“. Ueberall, wo das Torffloß mit schweren Dingen belastet ist, kann das Wasser das Gewicht nicht mehr heben, reißt die leichteren Partien von den schwereren los, läßt diese liegen und bringt jene in die Höhe. Dies ist begreiflicher Weise namentlich bei den mit Sand und Häusern beschwerten Warfen der Fall. Diese schwimmen gar nicht mehr, sondern wackeln und beben höchstens noch zu Zeiten oder sinken, wie gesagt, wohl einmal ein wenig ein. Ebenso bleiben auch alle anderen stark beschwerten Landparcellen im Wasser stecken. So die Fahrwege, die, um sie gangbarer zu machen, im Laufe der Jahre mit viel Sand bedeckt wurden, und die das Wasser nun nicht mehr tragen kann. So weit die Chausseegräben gehen, lösen sich diese Wege von den Aeckern zu den Seiten los. Die Sandchaussee bleibt liegen, und die Felder zu beiden Seilen steigen in die Höhe.

Man kann sich denken, was dies allein schon für eine Verschiebung im Lande giebt. Liegen Stege oder Brücken über die Gräben, so bleibt beim Hochwasser zuweilen das eine Ende derselben in der Tiefe stecken, während das andere sich hoch emporhebt und auf den schwimmenden Acker wie auf einen Berg hinaufführt. Hat man die Pfähle der Brücke sehr tief in die untere stets ruhige Erdschichte eingerammt, so bleibt die Brücke fest, und das steigende Land schiebt sich an den Pfeilern in die Höhe. – Behandeln sie ein Stück Land immerfort als Wiese oder Weide, so verändert es sein Gewicht nicht und kommt jedes Jahr „zum Treiben“. Bebauen und beackern sie es aber, so wird es allmählich durch den jährlich aufgeführten Dünger und den Sand, den sie auch gern unter ihre torfige Ackerkrume mischen, immer schwerer und verliert am Ende die Fähigkeit zum Treiben. Es sinkt, bleibt im Wasser stecken und wird dadurch unfähig, ferner als Ackerland benutzt zu werden. Man sieht hieraus, daß das „schwimmende Land“ für die Walkhusener eine große Wohlthat ist. Ein Acker, der nicht mehr „treibt“, ist für sie verloren. Sie können ihn ferner nur noch als Sommerwiese benutzen. Nur auf dem „schwimmenden Lande“ können sie Korn säen, auf ihm haben sie ihre Gärten. Das schwimmende Land erzeugt, wie jene „Dobben“ in den alten Flußarmen, von denen ich oben sprach, die besten Kräuter und Wiesen. Am liebsten erhielten sie ihre ganze Feldmark mit Allem, was daraus steht, wie ein mächtiges Floß beständig im Schwimmen.

Das Dorf und seine Bewohner eilt daher auch, so zu sagen, immer dem schwimmenden Lande nach. In früheren Zeiten lagen sie dem Flusse Hamme weit näher als jetzt. Weil dort aber durch Bewohnung und Bebauung in der angegebenen Weise das Land Stück für Stück schwerer wurde und sich nicht mehr über das Wasserniveau erhob, immer tiefer versumpfte, so haben sie sich immer weiter vom Flusse weggezogen. Dort ist die Wüstenei immer größer geworden, und sie zeigten uns noch einige ein wenig erhöhte Bodenstellen, auf denen früher Häuser lagen, jetzt aber nur einige Disteln wuchsen. Wenn sie erst einmal alles schwimmende Land niedergearbeitet, befestigt und ertränkt haben, dann ist es aus mit den armen Wakhusenern, denn ihre ganze Wirthschaft ist, wie die der Floßbewohner und Gärtner der chinesischen Flüsse, auf’s Schwimmen berechnet.

Zuweilen, wenn ein Acker schon anfängt unsicher, d. h. hier zu Lande fest zu werden, wagen sie es wohl noch, ihm eine Einsaat anzuvertrauen. Mitunter gelingt dies, das Land hebt sich noch einmal zu ihrer Freude empor. Mitunter aber auch ist es vorbei. Es kommt nicht wieder, und die Einsaat, die den Winter und Frühling und zuweilen auch den ganzen Sommer über im Wasser bleibt, ist dann verloren. Natürlich heben sich die Aecker nicht alle zu gleicher Zeit. Vielmehr steigt je nach der Dicke der weißen Torfschicht und je nach tausend andern Zufälligkeiten ein Stück Land früher und leichter im ersten Frühjahr empor, als das andere. Einige Stücke bleiben wohl beinahe das ganze Jahr hindurch schwimmen. Das sind die besten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_679.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2022)