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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Fluß eine Nothbrücke geschlagen und der Uebergang glücklich vollzogen. Die Rückzugsarmee hatte in Wasen bei der malerisch auf einer Anhöhe gelegenen Kirche und auf dem Gottesacker eine günstige Stellung gefaßt. Aubert, mit dem sich auch die Walliser vereinigt, gab den Befahl zum allgemeinen Angriff. Auf der Gotthardsstraße rückten die Sturmcolonnen vorwärts, an den Bergabhängen zogen sich im Zickzack die eidgenössischen Jägerketten hin, und von den Höhen herunter ließen die Gebirgshaubitzen ihre mächtigen Stimmen erschallen. Wasen schien in ein Rauch- und Flammenmeer gehüllt zu sein. Der Anblick dieser Scene war imposant. Dazu stürzte während dieses Kampfes eine Lawine in die Reuß herab und verbreitete einen augenblicklichen Schrecken. Um 1 Uhr war Wasen genommen, und der Feind floh unaufhaltsam bis nach Andermatt. Damit endete der dritte Tag.

Am folgenden Morgen, 17. August, geschah ein Hauptangriff, die Erstürmung der Schöllenen und der Angriff auf die Teufelsbrücke. Hier in der wilden Felsschlucht, wo die schroffen, nackten Bergwände sich zu schwindelnder Höhe erheben, wo die nah an einander gerückten dunkeln Granitmassen kaum der brausend und schäumend dahin eilenden Reuß einen engen Durchpaß gestatten, und wo die Straße im Zickzack und zwischen Gallerien hindurch an den hohen Felsen hin sich windet, da war allerdings für größere taktische Evolutionen kein Raum. Es wurde daher statt eines Gefechtes eine Schießprobe im Großen abgehalten, wobei die feindliche Front auf den terrassenförmig ansteigenden Höhen durch 20 Scheiben, die in verschiedener Entfernung aufgestellt waren, bezeichnet war – letzteres, um auf die verschiedenen Feuerwaffen, Gebirgsartillerie, Jägerwehr und Stutzen, Rücksicht nehmen zu können.

Unterdessen hatte sich auch der Himmel zum Sturme gerüstet und schwere Gewitterwolken in’s Vordertreffen geführt; es wurde daher zum Aufbruch ccmmandirt. Bon einem scharfen, schneidenden Westwinde umheult und in Wolken eines lästigen Staubes gehüllt, stiegen die Kolonnen die Gotthardsstraße hinauf, über die berühmte 95 Fuß hohe Teufelsbrücke und durch das unheimliche Urnerloch in das freundliche Urserenthal, wo auf den lieblichen Alpentriften das Lager aufgeschlagen und dieser vierte Tag beendet wurde.

Am 18. August, nach einer etwas feuchten und kalten Nacht, wurde Feldgottesdienst, Rasttag und Inspektion gehalten. Dazu war Tags vorher ein neues eidgenössisches Hülfscorps eingerückt, Detachement Nr. 1 unter Oberstlieutenant Meyer (1 Walliser Bataillon, eine halbe Schützencompagnie, 1 Gebirgsbatterie), welcher vom Oberwallis her die Furca (7790 Fuß) überschritten (der Gegenstand unsres Bildes) und sich im Urserenthale mit dem Gros der eidgenössischen Vorhut glücklich vereinigt hatte.

Am 19. August wurde der Gotthard überschritten von der eidgenössischen Brigade Wälti, – ein herrlicher, die Mannschaft belebender Marsch, ohne Gefecht. Fesselnd war das Bild des Haltplatzes beim Hospiz: das Bataillon Berner hatte in eine Linie im Vordertreffen seine Waffen zusammengestellt, die Walliser in geschlossener Colonne dahinter. Auf den Felsenplatten und Blöcken ringsum lagen, saßen, standen, aßen, tranken, sprachen, schliefen die Leute oder staunten in die neue „welsche Welt“. –

Jenseits des Hospizes fällt der Paß sehr steil nach Tessin hinunter. Der kühne Bau der Straße mit seiner großartigen Felseneinrahmung war jetzt durch eine überaus interessante Staffage belebt: die Brigade schlängelte sich die zahllosen Windungen hinab, und in schnellem Marsche ging es gegen Airolo, wo die Brigade um Mittag anlangte und Rast hielt.

Am 20. August wirbelten die Trommeln früh noch durch die dunkle Nacht. Dazu streiften trübe Regenwolken an den Bergen hin, und hinten im Bedretothale stürmte und donnerte es gewaltig, als es um 2 Uhr hinaus in die rabenschwarze Nacht ging, das Thal aufwärts gegen die Nuffenen (7260 Fuß). Auf schmalem Fußwege am Tessin entlang zogen die Truppen festen Schrittes, aber still dahin. Da tauchte der Mond plötzlich aus der dunkeln Wolkenhülle hervor und warf seinen magischen Schein auf die stummen Gestalten. Der Morgen brach an, der Himmel sendete gewaltige Regenschauer, die fast 2 Stunden lang andauerten. Um 9 Uhr holte man die Vorhut bei den obersten Sennhütten des Thales ein.

Es wurde Halt gemacht und das Morgenbrod verzehrt. Hier wird die Gegend sehr wild, die freundlichen grünen Alpentriften mit den schimmernden Alpenrosen gehen nach und nach über in nackten Fels oder weite Schutt- und Trümmerfelder, bedeckt mit ungeheuren Felsblöcken. Auch der Fußweg verschwindet – und Alles ist schauerliche Einöde. Nach kurzem Halte zog man in vielen Schlangenwindungen die steilen Anhöhen hinauf gegen den Paßsattel, eine harte Aufgabe für die Gebirgsartillerie, die Saumthiere und die Gepäckcolonnen; allein die Paßhöhe wurde endlich ohne bedeutende Unfälle glücklich erreicht, und über mehrere Schneefelder marschirten die Truppen dann 1 Stunde lang steil abwärts am Griesgletscher vorbei in das Eginenthal, wo sie nach 13–14 stündigem Marsche bei St. Ulrichen ihre Bivouaks bezogen.

An demselben Morgen war auch die 1. Brigade, welche Tags vorher vom Hospital nach Realp vorrückte, unter Oberstlieutenant E. Meier über die Furca gegangen und marschierte nach einem Force-Marsch, der nicht weniger Schwierigkeiten, als der über die Nuffenen geboten hatte, gleichzeitig mit den Truppen der zweiten Brigade in St. Ulrichen ein und bezogen unter strömendem Regen in dem nahen Münster ihr Lager.

Am 21. August führte die ganze Division einen neuen Force-Marsch nach dem 8–9 Stunden entfernten Brieg aus, wo sie am folgenden Tage Rasttag hielten. Die Inspektion der ganzen Division an diesem Nachmittag ergab das erfreuliche Resultat, daß die Truppen gesund und frisch, voll heitern Humors waren und daß die ärztlichen Berichte über Erwarten günstig lauteten.

Am 23. August vor Tagesanbruch begann der Abmarsch der Truppen auf der Straße nach Sitten – ein trauriger Weg, denn in Folge der Schneeschmelze und der letzten Regengüsse war die Rhone über ihre Ufer getreten, hatte die schützenden Wuhren zerstört und die weite Niederung überschwemmt. Von den wilden Fluthen war die Straße an vielen Stellen weggerissen, und die Umgebung von Raron glich einem ungeheueren Sumpf. Noch vor Mittag trafen die Truppen in der Gegend von Leuk ein und bezogen bei Susten ihre Lager.

Am 24. August fand endlich das Schlußmanöver statt. Die Aufgabe des Tages war für die eidgenössische Armee die, den Feind, der vom rechten Ufer der Rhone her angegriffen und die Brücke am Eingänge zum Pfyner Wald erstürmt hat, wieder über die Brücke zurückzuwerfen, dann von Position zu Position zu verfolgen und zuletzt mit der Erstürmung des Dorfes Siders die Entscheidung herbeizuführen. Auch dieser Theil des Manövers, dessen Beschreibung ins Einzelne wir unterlassen müssen, gelang vortrefflich. Schon um 11 1/2 Uhr war Siders in den Händen der siegreichen eidgenössischen Armee. Nach beendigtem Gefechte zogen die Truppen durch das mit zahlreichen cantonalen und eidgenössischen Fahnen geschmückte Siders nach einer freundlich decorirten Matte außerhalb des Dorfes, wo die ganze Division von den gastfreundlichen Wallisern auf generöse Weise bewirthet wurden, und wo beim frohen Schalle vaterländischer Weisen der feurige Gletscherwein von Siders in Strömen floß. Am Nachmittage zogen die Truppen in glühender Hitze hinunter gegen Sitten und rückten unter dem Hurrahrufen der Menge mit fliegenden Fahnen und schmetternder Musik in die festlich decorirte Hauptstadt des Wallis ein.

Am 25. August war die letzte Inspection der Division durch den Chef des eidgenössischen Militär Departements, Oberst Aubert, der hier seine Truppen mit einem „Abschiede“ entließ, in welchem er die militärische Tüchtigkeit derselben freudig pries und mit den Worten schloß: „Wenn wir einst die Waffen ergreifen müssen, um die Unabhängigkeit unseres Vaterlandes und seine Grenzen zu vertheidigen, so kann die Schweiz in ihre Armee ihr volles Vertrauen setzen. Ihr habt es in diesen wenigen Tagen bewiesen!“ – Dies ist eine Anerkennung, welche jeden Mann, der ein warmes Herz für eines kleinen freien Volkes Recht und Ehre in der Brust trägt, für dieses „Volk in Waffen“ mit Hochachtung erfüllen muß.

Unser Bild stellt uns auf den Sattel, den durch ein sogenanntes Furcasignal (Stange) angezeigten höchsten Uebergangspunkt der Furca, auf welchem sich uns ein Blick auf die Alpenwelt im Südosten öffnet. Zwischen den beiden Furcahörnern, welche den Hintergrund zu beiden Seiten abschließen und, weil sie wie die zwei Zinken einer Gabel (furca) emporragen, dem Berge den Namen geben, sehen wir zur Linken den Muttli mit seinem Gletscher, ganz zur Rechten deuten die heraufsteigenden Truppen eine Tiefe an, den Furcapaß, jenseits des Felsenspalts über ihm blicken wir in das Ober-Rhonethal und sehen den durch seine Pracht berühmten Rhonegletscher, der sich vom Galenstock

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_663.jpg&oldid=- (Version vom 27.10.2022)