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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

dem begonnenen Tone die Conversation fort und erzählte allerlei aus seiner Heimath und über seine kleinen Reise-Erlebnisse, wobei Aglaë immer kürzere Antworten gab und, wie es Albrecht schien, immer gespannter und selbstvergessener lauschte.

Als sie so am andern Ende der langen Allee angekommen waren, wurde dieser angenehme Zeitvertreib für die jungen Leute und ihre bewegten Herzen durch die Erscheinung einiger Männer unterbrochen, die von links her aus dem Gebüsche traten, aus dem ein breiter Fußsteg in die Allee einlenkte.

Es waren zwei sehr stattlich in rothe gallonirte Röcke gekleidete Herrn, der Eine groß und stark, der Andere klein und rundlich; zwei bewaffnete und in einer ganz eigenthümlich altfränkisch aussehenden Livree steckende Diener folgten ihnen. Alle trugen stark gepuderte Perrücken, mit dem Unterschiede nur, daß die der beiden Herren in einer Wolke von Locken bestanden, während die Diener sich mit bescheideneren steif aufpomadisirten „Taubenflügeln“ begnügten.

Als sie unsere Gesellschaft erreicht hallen, blieben sie stehen, zogen sehr höflich ihre großen Dreispitze ab, und der erste der Herren wandte sich an die junge Gräfin mit den Worten:

„Es gewähret uns eine insonders günstige Vorbedeutung, daß wir auf dem Wege zu dem Herrn Reichsgrafen der Ehre und des Glückes theilhaftig werden, vorab Ew. Erlaucht unser dienstwilligst gehorsames Compliment machen zu können. Wir hoffen die gnädigste Comtesse wohlauf und bei guter Gesundheit zu treffen.“

„Ich danke Ihnen für Ihr Compliment. Herr Bürgermeister Erchenrodt, und Ihre gewogentliche Nachfrage nach meinem Befinden,“ versetzte Aglaë „was jedoch meinen Vater, den Herrn Reichsgrafen, betrifft, so bedaure ich, daß Ew. Magnificenz denselben nicht daheim antreffen. Er ist vor ein paar Stunden nach Triefalten geritten. Ich bitte, sich bedecken zu wollen!“

„Dies ist allerdings für uns eine schwer zu beklagende Nachricht,“ entgegnete der Amtsbürgermeister der freien Reichsstadt Großlingen. „Jedoch,“ fuhr er fort, „da wir in einer absonderlich bedeutsamen und wichtigen Angelegenheit kommen, so warten wir mit Hochdero günstigem Verlaub im Schlosse auf die Heimkehr …“

„Herr Bürgermeister,“ unterbrach hier der andere Herr. der unterdeß Albrecht von Werdenfels scharf in’s Auge gefaßt hatte, den Redenden, „ich meine, salvo meliore, wir könnten unsere Angelegenheit selber hier auf eine überaus einfache Weise zur Erledigung bringen. Das unserer Justiz durch einseitiges und nicht zu rechtfertigendes Vorgehen des Herrn Reichsgrafen entzogene Individuum stehet auf freien Füßen hier vor uns, und es wäre sehr thöricht, wenn wir nicht die Gelegenheit ergriffen und nun sofort ebenfalls via facti vorschritten. So ist meines bescheidentlichen Bedünkens mit einem Male die Sache geordnet und die bedrohliche Gährung unserer Bürgerschaft beruhigt und gestillt.“

„Ja, meint Er in der That, Syndicus?“ fiel der Amtsbürgermeister von Großlingen ein … „allerdings … aber wenn es uns in Präjudicia und Nachtheile brächte …“

„Der Besitz hat immer seinen Vortheil, Herr Bürgermeister setzen wir uns in Besitz,“ rief der Andere, der unseren jungen Freund mit einem so heißbegehrenden Blicke, wie ein Geiziger einen Schatz, anstarrte, ihm dicht an die Seite trat und nun ohne Weiteres rasch seinen Arm mit den Worten ergriff: „Er ist verhaftet und arrestiret, junger Mann, im Namen von Senat und Gemeinde der freien kaiserlichen und des Reichs Stadt Großlingen!“

Albrecht wollte mit stolzem Zürnen den unternehmenden Syndicus wenigstens drei Schritte weit von sich fortschleudern, aber leider klammerte der kleine stämmige Reichsbürger sich mit Händen, die wie eiserne Haken waren, an ihn fest, und die zwei bewaffneten Diener der Stadt waren nicht träge gewesen, ihrer Obrigkeit beizustellen.

Albrecht sah sich abermals gefangen. Gefangen – wenn nicht etwa Gräfin Aglaë ihn befreite. Denn Gräfin Aglaë wurde bei dem Anblick dessen, was vor ihren Augen vorgenommen ward, so empört, sie gerieth so ganz vollständig außer sich, daß es schien, sie werde in der Aufregung, in welcher sie war, ein ganzes Heer in die Flucht schlagen.

„Mein Herr Bürgermeister,“ rief sie mit zitternder Lippe aus – „was unterstehen Sie sich zu thun? – hier auf dem Grund und Boden unseres Gebiets wollen Sie einen Herrn von vornehmem Hause, einen Gast meines Vaters aufheben und gefangen nehmen? Wissen Sie, daß mein Vater einen solchen Schimpf, den Sie ihm noch dazu in meiner Gegenwart, unter meinen Augen anthun, nicht hinnehmen wird, ohne Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, um diese That zu rächen!“

„Meine gnädigste Comtesse,“ nahm hier der Bürgermeister das Wort, „dies von Euer Erlaucht wider unser Verfahren fürgebrachte Argumentum kann uns wenig beirren, zumal der Herr Reichsgraf am gestrigen Tage sich dieselbe Thathandlung auf Großlingenschem Grund und Boten mit Verletzung unseres Territorii erlaubt haben! Wir üben nur …“

„Das Jus retorsionis!“ rief hier der triumphirende Syndikus dazwischen, „ja wohl, meine Gnädigste, Aug’ um Aug’, Zahn um Zahn. Erlaucht halten zu Gnaden, aber wir würden unseren geschworenen Eiden untreu werden, wenn wir nicht also gemeiner Bürgerschaft von Großlingen Rechte und unantastbare Hoheit wahrnähmen; unsere Vater würden sich im Grabe umdrehen, wenn wir durch Mangel an Eifer und Wachsamkeit Großlingen um den Ruhm brächten, einen solchen des Hochverraths angeklagten Delinquenten justificirt zu haben. Was steht und zögert Ihr noch, Ihr Lungerer?“ rief der kleine Rathsherr den Dienern zu, „macht fort mit ihm – macht Euch auf den Heimweg, Ihr haftet mit Euren Köpfen für ihn!“

Albrecht blickte schweigend während dieses ganzen Vorganges erst seine Dränger und dann die Züge der jungen Gräfin an. Er sah sehr wohl ein, daß ihm bei jenen ein Protest nicht helfen werke, da sie so wenig Gewicht auf den Protest der Gräfin legten; und zudem bot ihm die offenbar von einem ganz ungewöhnlichen Aufgeregt- und Empörtsein zeugende Miene der Gräfin ein weit fesselnderes Schauspiel dar; so stand er denn das Auge wie Hülfe suchend auf sie gewendet, und es war, als ob der Blick dieses Auges Aglaë zu noch größerer Leidenschaft der Vertheidigung hinrisse. Sie drohte dem kecken Bürgerthume mit der ganzen Macht ihres Vaters, mit seinem wohlgerüsteten Heere, was aber durchaus keinen Eindruck hervorzubringen schien; sie drohte mit dem Reichskammergericht und mit der Reichsacht und Aberacht … aber mit noch viel weniger Erfolg. Während Albrecht also gute Miene zum bösen Spiele machen und alle seine Selbstbeherrschung zusammennehmen mußte, um unter den Augen der Gräfin sich mit möglichst viel männlichem Anstand und ungebeugter Würde in die Rolle eines von zwei Stadtknechten abgeführten Gefangenen zu finden – während deß vertheidigten die beiden regierenden Herren von Großlingen ihre Maßregeln mit allerlei süßsauren und stachlichten Redensarten, worin die zürnende junge Gräfin eben so viele grenzenlose Unverschämtheiten erblickte, welche sie endlich bewogen, diesen entsetzlichen alten Perrücken den Rücken zuzukehren und mit eiligen Schritten den Weg zum Schlosse einzuschlagen.

Die beiden Herren aber stülpten augenblicklich ihre großen Dreimaster auf ihre gerötheten und triumphirend blickenden Gesichter, und eilten ihrem Gefangenen nach, um dessen Abführung so zu beschleunigen, daß sie vom Schlosse aus auf reichsgräflich Glimmbach-Hohenklingenschem Gebiet nicht mehr erreicht und eingeholt werden könnten.

(Fortsetzung folgt.)




Das Manöver der Schweizermiliz am St. Gotthard

vom 14. bis 25. August 1861.

Daß die Führer des Schweizerheers kein eitles Spiel des Waffenglanzes treiben, sondern bei allen größeren Feldübungen den Ernst der Lage der Eidgenossenschaft vor Augen haben, das zeigten sie in der Wahl des Terrains für ihre Manöver. Stets wählten sie solche Punkte, welche durch die Kriegsgeschichte oder für die Landesvertheidigung besondere Wichtigkeit haben.

Ein solcher Punkt ist auch der Alpenknoten des St. Gotthard. Ueber ihn führte schon in den ältesten Zeiten ein Saumweg,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_660.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2022)