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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 42.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Die drei Großmächte.

Sittenbild aus dem vorigen Jahrhundert.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Nein, lächerlich ist Ihre Lage nicht gerade,“ unterbrach ihn Aglaë, die bei der sichern und gewandten Redeweise des mit gerötheten Wangen und aufgeregt leuchtenden Augen vor ihr stehenden jungen Grafen allmählich die kühle Sicherheit ihres Wesens verloren hatte und ihn nicht mehr so offen wie früher ansah, sondern die Augen niederschlug, „im Gegentheil, sie ist sehr ernst, denn mein Vater ist höchst erzürnt und durchaus nicht geneigt, das schwere Verbrechen, welches Sie begangen haben, in einem versöhnlicheren Lichte zu sehen. Ich gestehe Ihnen gern, daß ich vorhin eine Gelegenheit ergriff, mit meinem Vater allein darüber zu reden und …“

„Und das,“ fiel Albrecht beinahe mit einem flehentlichen Tone der Stimme ein, „das geschah gewiß nicht, um meine Lage zu verschlimmern!“

„Es geschah nicht dazu,“ antwortete sie, jetzt wieder offen und voll ihn ansehend, „es geschah, um ihn zur Milde geneigt zu machen; aber ich bin erschrocken, ihn so unnahbar und gereizt zu finden. Die ärgerliche Scene, welche zwischen meinem Vater und seinen Gebietsnachbarn Ihretwegen stattfand, hat eine Verstimmung in ihm erregt, welche nicht geeignet ist, Ihnen irgend eine Hoffnung auf eine andere Behandlung, als die allerstrengste, zu lassen. Ich gestehe Ihnen auch offen, daß ich erschrocken bin über den strengen und unbeugsamen Entschluß meines Vaters in dieser Sache, und daß ich deshalb die Jagd verließ, an der ich beunruhigt und besorgt keinen Theil mehr nehmen mochte.“

„O, ich danke Ihnen, Gräfin, ich danke Ihnen für diese Worte,“ fiel Albrecht hier feurig ein. „So schlimme Dinge Sie mir auch prophezeien, ich achte Alles dessen nicht, denn ich höre aus diesem Allen nur die Theilnahme heraus, womit Sie mich glücklich machen! …“

„Sie nehmen eben,“ erwiderte sie, abermals erröthend und die Blicke niederschlagend, „Ihre Lage mit demselben leichten Sinne hin, welcher Sie in diese Lage gebracht hat. Vielleicht halten Sie Ihren Namen, der allerdings der eines edlen und vorzüglichen Geschlechts ist, für den Zauber, welcher Ihre Fesseln sprengen wird. Aber täuschen Sie sich darin nicht – mein Vater selbst wird vielleicht das, was Sie gethan, als einen Pagenstreich ohne weitere bösere Absicht zu betrachten überredet werden können, wenn ihm nachgewiesen ist, daß Sie Graf Albrecht von Werdenfels sind. Allein er darf Sie deshalb doch nicht milder behandeln, weil den Gebietsnachbarn gegenüber seine Ehre verpfändet ist. Er hat diesen Leuten gegenüber die Verpflichtung, Sie so strenge zu behandeln, daß deren verletzte landesherrliche Würde und Autorität sich für befriedigt erklärt. Die regierenden Herren der Reichsstadt Großlingen werden sich in dieser Beziehung sehr wenig um die Ansprüche auf glimpfliche Behandlung kümmern, welche Ihnen Ihre Geburt in den Augen meines Vaters geben könnte!“

„Sie finden ein grausames Vergnügen daran, mir meine Hoffnungen zu zerstören, Comtesse,“ sagte Albrecht mit einem Tone des Vorwurfs, „… was hat ein armer Gefangener denn anders als seine Hoffnungen? Weshalb mir mein letztes Gut rauben?“

„Ich will Ihnen nicht Ihre Hoffnungen rauben,“ sagte sie eifrig, „ich wollte Ihnen nur Ihre Lage in einem Lichte darstellen, das Sie veranlassen sollte, mit dem Ernste, den die ganze Angelegenheit fordert, mir Alles das zu sagen, was Sie zur Erklärung Ihres unbegreiflichen Verfahrens, zur Entschuldigung, wenn Sie wollen, anführen können.“

„Das verlangen Sie nur, Comtesse … und wollen Sie, wenn ich es gethan, meine Fürsprecherin bei dem Grafen für mich werden – darf ich das hoffen?“

„Ich will es,“ erwiderte sie halblaut, „wenn Sie etwas anführen, was mich dazu in den Stand setzt.“

Albrecht machte eine leichte Verbeugung, wie um ihr seinen Dank auszusprechen, und begann dann zu erzählen, wie er überhaupt in diese Gegend gekommen, wie die Bilder in der kleinen Schankwirthsbude seine und seines Begleiters Lachlust gereizt, weil sie gar so lächerliche Physiognomien gezeigt … Albrecht war klug genug, sofort die plausibelste Entschuldigung zu finden, er stellte die Sache dar als hervorgegangen aus einem lebhaften artistischen Gefühle, das durch die abscheuliche Malerei verletzt worden sei, und wenn man ihn reden hörte, war man alsbald überzeugt, daß die beiden jungen Leute die Bilder nur an den Galgen gehängt hatten, weil sie diese Stelle als die passendste für die Werke eines so polizeiwidrigen Sudlers gehalten, wie der Maler dieser Portraits war.

Aglaë wenigstens glaubte an diese Auslegung sogleich, ohne noch das mindeste Bedenken zu hegen. Die beiden jungen Leute waren ja völlig fremd hier – wie konnte ihnen in den Sinn gekommen sein, die drei würdigen Urbilder der Portraits zu beleidigen ?

Sie hätte nun zu gleicher Zeit ohne Zweifel auch ihre Theilnahme an Albrechts Schicksale noch lebhafter an den Tag gelegt, als sie es bereits gethan, wäre nicht in der Erzählung des jungen Grafen etwas gewesen, was ihren Gedanken eine ganz eigenthümliche Richtung gab. Sie hörte offenbar mit großer Spannung dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_657.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2021)