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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

bei dem Mangel an Mitteln nur ein Werk der Noth sein, als es in einer schönen December-Mondnacht ins Wasser sprang und seinen ersten unterseeischen Lauf versuchte. Es war freilich noch ein unbeholfener Gang innerhalb des Hafens, aber dennoch hatte er den vollen Werth einer siegreichen That des deutschen Geistes, und es fehlte dieser That auch der äußere Erfolg nicht, denn kaum war die Kunde von dem gelungenen Sprunge des Unthiers zum Feinde vor dem Hafen gelangt, so eilte er mit vollen Segeln davon. Dieser Erfolg hätte wohl verdient, den Zopf des Vorurtheils von den Häuptern der Seeleute abzureißen. Dies geschah jedoch nicht, weil des Erfinders Zunftbrief nicht am Bord eines Schiffes, sondern am Lande auf einem Kanonenrohr geschrieben war und weil sein Elternhaus nicht nach dem Meere, sondern nach den Alpen schaute. Nicht der Feind, sondern das eigene Schiffsvolk nannte den unheimlichen Kampfgenossen den Teufel der See – und behandelte ihn auch so. – Doch – still davon, damit es die Nachbarn nicht hören! –

Noch war der Apparat nach des Erfinders Ueberzeugung nicht fähig, in einer größeren Tiefe, als von 27 bis 28 Fuß, dem Druck des Wassers zu widerstehen; es fehlten ihm außerdem die Cylinder, ein Mangel, der zur Anwendung von Eisenballast nöthigte, um die zum Sinken erforderliche Schwere zu erzielen; aber die maßgebenden Männer der Wissenschaft und des Fachs erkannten das Schiff als stark genug für eine Tiefe bis zu 100 Fuß. Hier konnte somit nur die Erfahrung als Schiedsrichter auftreten, und den Erfinder beseelte in der Begeisterung für sein großes Werk der volle Muth, das Wagniß einer solchen Erfahrung zu bestehen.

Diejenigen, welche die Widerstandsfähigkeit des Schiffs in solcher Tiefe so entschieden behaupteten, hielten sich gleichwohl nicht für moralisch verpflichtet, der Probefahrt selbst beizuwohnen.

Auf sich allein angewiesen, war der Erfinder entschlossen, auch allein das Werk seines Geistes zu besteigen. Nur zwei Männer, tüchtige Seemänner, die bisher immer treu zu ihm gestanden hatten, trennten sich auch jetzt nicht von ihm, wo eine augenscheinliche Gefahr ihnen bevorstand.

„Sie werden uns nicht mit Fleiß ertränken wollen,“ sagten sie – „und sollte ein Unglück über uns kommen, so wollen wir es redlich mit einander theilen.“

Gestärkt von solchem Vertrauen einfacher Matrosen, bestieg mit ihnen der Meister sein schwarzes Boot. Noch einmal erhob er das Auge zum Himmel mit einem Blick, von dem Niemand sagen konnte, ob er betete, oder ob er Abschied nahm von allem Lieben.

Es war am ersten Februar 1850. Der Schlag der neunten Morgenstunde tönte vom Gestade herüber, da schloß sich die Luke über den drei Männern, das Schiff begann zu sinken und entschwand den Augen der Menge, die am Ufer und auf den Booten des Hafens dem Schauspiel zusah.

Wir aber begeben uns mit in das Schiff, wir vertrauen uns unter des Erfinders Führung selbst dem „Teufel der See“ an.

Wir finden den Meister am Steuer und Witt und Thomsen, die treuen Matrosen, am Tretrade. Das Schiff dringt in der Fluth vorwärts bis zu einer Stelle, wo unter ihm die größte Tiefe des Hafens gähnt. Hier gebietet der Erfinder zu halten, er öffnet das Ventil nach dem Kielraume, und das Wasser dringt ein. Das Schiff sinkt tiefer und tiefer, an sechstausend Pfund der Salzfluth belasten es bereits, – da eilt plötzlich das Hintertheil des Brandtauchers voraus, das Wasser schießt im Kielraum der Richtung nach, vergeblich schließt Meister Wilhelm (so nennen wir vor der Hand den Erfinder) rasch das Ventil, die gesammte Wassermasse im Innern drängt nach dem tieferen Hintertheil, ein unheimliches Zischen und Kratzen beginnt, der Roheisenballast setzt sich in Bewegung und rutscht der Tiefe nach, endlich kommt das Schiff in eine der senkrechten immer näher tretende Stellung, Ballaststücke von hundert und anderthalb hundert Pfunden donnern an den drei Männern vorbei und drohen ihnen die Glieder zu zerschmettern. Fest angeklammert an die Rippen der Schiffswände hängen sie da, vom schauerlichen Augenblick übermannt, während das Boot tiefer und tiefer sinkt.

Da richtet der Meister den Blick nach dem Manometer, – er liest 27, 28, 29 Fuß Tiefe, – „Wenn das Boot jetzt nicht bricht, können wir uns retten!“ – ruft er, und – wie Eis rinnt es ihm durch die Adern: mit mächtigem Knistern und Krachen biegt erst die linke Wand des Schiffs sich einwärts, dann auch die rechte, – und gleich einer teuflischen Foltermaschine rücken die Wände näher und näher, – die Treträder, aus Gußeisen, sieben Fuß im Durchmesser groß, werden in Stücke zerdrückt, Eichenbalken zerknickt wie Zündhölzchen, Manometer und Pumpen zersprengt – alle Schrecken der Todesnoth umringen die drei Männer.

Und tiefer und tiefer sinkt das Schiff.

„Was ist’s? Witt, was ist’s?“

Dem stieren Blick, der sträubenden Gebehrde des erstarrenden Mannes folgend, sieht der Meister noch über sich einen Haufen Eisenballast aufgeschichtet, der bis jetzt der Verlockung zum Rutschen in die Tiefe widerstanden, aber, nun das Schiff immer mehr zur Senkrechten hinneigt, plötzlich auf die drei Männer herabzustürzen droht. Ein Blick, und der Meister erkennt, daß hier in diesem Knäul geballt ihrer Aller Tod ruhe; da, mit aller Energie in höchster Gefahr, ein Schwung und Wurf des starken Körpers, und plötzlich stemmen sich seine Füße gegen die Rippen der Wandung, während er mit dem Rücken und den Armen gegen den wankenden Haufen drückt – fünf fürchterliche Secunden lang, denn nicht weniger als viertausend Pfund Eisen bewältigt so lange des einen Mannes äußerste Kraftanstrengung: dann stößt das Hintertheil auf den Grund der See, langsam legt das Schiff sich hin und streckt die Riesenglieder aus, ein Eisensarg Lebendigbegrabener.

Wer giebt das Leben auf, so lange der Geist noch wacht?

Kaum ist der Tod zum zweiten Male in wenigen Secunden an den Männern vorübergegangen, kaum gestattet die Ruhe des Schiffs das Rühren der Hände, so ist ihr erstes Bemühen, die horizontale Lage desselben durch das Ordnen des Ballastes zu sichern. Um eine möglichst gleichmäßige Vertheilung der Eisenstücke herbeizuführen, müssen sie jedes einzelne Stück durch Untertauchen ihres schweißtriefenden Körpers aus dem eisigen Wasser hervorholen, das bereits vier Fuß hoch im Raume steht – eine entsetzliche Arbeit! – Und nun sie endlich vollbracht ist, und die Lebenslust mit der Hoffnung winkt, daß es möglich sei, das Leck-Wasser auszupumpen, die Lecke der eingebogenen Wandungen zu verstopfen und den Apparat wieder zu heben, – da sehen die unglücklichen Männer erst, was ihnen bis jetzt entgangen war: die Pumpen sind zerstört, die Brause der Hinterpumpe ist ganz abgesprengt! Alle Versuche des Pumpens sind vergeblich, vergeblich ist diese Hoffnung aus Rettung. Da lassen die Männer die Arme sinken, am Tretwerk stehen sie stumm beisammen, reichen sich die Hände und bieten einander das letzte Lebewohl. Sie fühlen den ungeheuren Schmerz, nun wirklich lebendig begraben zu sein.

Plötzlich leuchten wieder des Meisters Augen. „Wenn die Wand da oben einbricht, sind wir verloren; wenn sie hält, so öffnet sich uns noch ein Rettungsweg durch die Klappe. Aber merkt, Ihr Männer, jetzt ist es keiner Menschenkraft möglich, die Luke zu öffnen, weil das Wasser mit einem Drucke von wenigstens vierthalbtausend Pfund auf ihr lastet. Aber die Natur selbst hilft uns diese Last heben, sobald die Luft im Schiffe hinlänglich zusammengepreßt ist, um einen gleich starken Gegendruck zu erzeugen. Männer, jetzt gilt’s, mir noch einmal Euer Vertrauen zu bewähren. Gegen ein Naturgesetz kämpfen wir vergeblich. Laßt mich, so lange die Luft noch gut ist, das Ventil öffnen, damit das Wasser zu unserer Hülfe eindringe. Versäumen wir das jetzt, so verderben wir uns selbst die Luft, und uns bleibt nichts, als der Tod durch Ersticken!“

Diesmal sind des Erfinders Worte vergeblich, sie stoßen in beiden Matrosen auf denselben Unglauben: die braven Männer können ein solch physikalisches Gesetz nicht fassen, sie bitten den Meister dringend, das Ventil unberührt zu lassen, weil sie dann doch unrettbar ertrinken müßten.

So sieht sich denn Meister Wilhelm genöthigt, den Weg, den er als den nächsten und sichersten zur Rettung erkennt, aufzugeben, um seine Schicksalsgenossen nicht in Verzweiflung zu bringen. Mit diesem Augenblick tritt zwischen die drei Männer in so entsetzlicher Lage das Gespenst der Uneinigkeit; der Zweifel führte zum ersten Ungehorsam, und dieser führt weiter.

Entschlossen, das Steigen des Wassers als letztes Rettungsmittel ruhig abzuwarten, hüllt der Meister sich in seinen Mantel, schwingt sich auf das rechte Tretrad und sucht durch sein Beispiel und seine ermuthigende Zusprache hebend auf den Geist der zusehends in die Hast der Angst verirrenden Gefährten einzuwirken. Während Witt und Thomsen vergeblich ihre Kräfte an den Pumpen erschöpfen, erst vereint, dann abwechselnd, und Alles mit der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 649. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_649.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)