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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

den unerhörten Fall berichten lassen, und in guter Freundschaft – denn was kümmerte sie der „Streit der Mächtigen“ – bei den ausgebotenen Erfrischungen darüber discuriren. Das zopfwedelnde Männchen gab Antwort auf alle Fragen, die es beantworten konnte; es war weit entfernt, seine Sache – es glaubte seine Sache stände sehr schlimm, da es durch sein Geplauder den ganzen Vorfall veranlaßt hatte – durch Leugnen noch schlimmer zu machen. Und so stellte sich denn bald heraus, daß der Frevler zwei gewesen: und daß der Hauptschuldige, der die Bilder aufgehangen, ein schwarzbrauner Italiener gewesen, oder doch ein Mensch aus sonst einem Lande, wo die Sonne die Köpfe schwarz brennt und die Hölle die Seelen, daß sie solcher erschrecklicher Thaten fähig werden. Denen aus der Versammlung aber, die mit dem hochwürdigen Herrn von Triefalten als dessen Büchsenspanner und Leibdiener gekommen, ward alsbald klar, daß die Verbrecher Niemand anders als die zwei Leute seien, welche in der vergangenen Nacht im Konvente ihre Herberge genommen, und von denen Einem der Mannen bekannt war, daß sie ihr Reisegepäck dort gelassen … es war also wahrscheinlich, daß der flüchtige Frevler sich auch im Stifte wieder einstellen werde, um sein Eigenthum zu reclamiren, und bei dieser Gelegenheit brauchte man ihn nur zu fassen, um den Hauptthäter in Haft zu bekommen und über beide Nebenbuhler zu triumphiren. Nachdem die Leute des Convents ihre Gläser geleert, trennten sie sich deshalb von den Städtischen und eilten ihrer Herrschaft nach, um diese zu erreichen und Bericht zu erstatten.

Unterdeß war Albrecht, unser gefangener Freund, zwischen den zwei handfesten Gesellen, denen seine Obhut anvertraut war, durch dichte Waldgründe bergab und wieder bergauf geführt, durch wahrhaft prächtige Bergwälder, in denen die Drossel schlug, der Finke sang, und im Sommersonnenscheine Alles in lustigem Leben und Treiben begriffen war: die Mücken, die auf und ab tanzten vor den eilig schreitenden Männern her, der weiße Falter, der quer über den Weg her flatterte, und die Menschen, die aus den fernen Gründen herüber die Fanfaren und Signale der begonnenen Jagd durch die reine Morgenluft schmettern ließen. In dieser schönen freien Gotteswelt wollte es Albrecht gar nicht zu Sinn, daß er wirklich ein Gefangener, ein von Strafen und Mißhandlungen bedrohten Delinquent sei, den man in einen dunklen und fürchterlichen Kerker und vor ein Gericht eines kleinen Despoten führte, das sicherlich nicht geneigt war, ihm auch nur das Geringste von seinen entsetzlichen Proceduren zu schenken, da es selten in dem Hochgenuß schwelgen konnte, einen solchen Capitalverbrecher vor seine Schranken zu ziehen. Als er aber bei einer Wendung des Weges vor sich ein ärmlich aussehendes Städtchen und neben demselben, auf halber Höhe des dahinter emporsteigenden Berges, das massiv und stattlich dastehende Schloß Hohenklingen erblickte, welches von vier oder fünf äußerst düster und tückisch aussehenden dicken Thürmen überragt wurde, da begann Albrecht das Mißliche seiner Lage zu fühlen; eine gewisse Verzweiflung bemächtigte sich seiner, und er sah sich seine beiden Begleiter darauf an, ob es möglich sein werde, ihnen auf irgend eine Weise zu entkommen. Die Aussicht dazu war schwach; der eine dieser wohlbewaffneten Burschen schritt vor ihm her, und der andere folgte. Geladene Büchsen führten sie beide; Mienen, als ob sie geneigt wären sich überrumpeln zu lassen, machten sie auch nicht … es war von dieser Seite keine Hoffnung da. Und so kam man dem unerfreulichen Ziele näher und näher und endlich in eine Gasse der kleinen Stadt, wo die Straßenjugend zusammenlief, um dem stattlichen jungen Herrn, den man als Verbrecher transportirte, zu folgen, und die Hunde hinterdrein bellten, als ob sie, die Sicherheits-Wächter und Beschützer nächtlicher Ordnung, ihre moralische Entrüstung darüber ausdrücken wollten, daß ein so anständig aussehender junger Mann sich in solche Lagen durch seinen Leichtsinn bringe. Und dann kam man in einen Hohlweg, der zum Schlosse hinaufführte, und dann unter den dunklen Thorbogen des alten Bergcastells und endlich auf einen kleinen, von allerlei Gebäudetheilen aus den verschiedensten Zeiten umringten Hof. Links war eine Thür mit gothisch gewölbtem Bogen, neben welcher einige Gewehre an die Wand gelehnt standen. Die Thüre war offen; ein schrecklicher Geruch von Bier und furchtbar schlechtem Tabak drang Albrecht daraus entgegen; er mußte jedoch nichts desto weniger diesen Qualen trotzen und sich der eigenthümlich aussehenden Gesellschaft vorstellen lassen, welche da drinnen schmauchend, plaudernd oder schlafend auf Pritschen umherlag oder mit äußerst schmutzigen Karten sich die Zeit vertrieb. Albrecht befand sich dem reichsgräflich Glimmbach’schen Armeecorps, welches hier sein Hauptquartier hatte, gegenüber.

Der Commandeur dieser Armada, der in der militärischen Hierarchie die hohe Staffel eines Feldwebels erreicht hatte, auch durch martialische Haltung und wohleingebundenen, fettglänzenden Zopf solcher Bedeutsamkeit alle Ehre zu machen beflissen war, musterte schweigend und düster den Gefangenen, den man ihm brachte.

„In den Thurm soll er?“ sagte der Mann nach einer stummen Pause zu einem der beiden escortirenden Jäger. „Weshalb in den Thurm? Hat Er was Schriftliches darüber?“

„Die Erlaucht haben’s so befohlen!“ versetzte der Jäger.

„Befohlen? Ihm? Das geht uns vom Militäre nicht an. Wenn Er nichts Schriftliches hat, so geht es uns nichts an. Das Militär braucht sich nicht darum zu kümmern, sondern nur um sein Dienstreglement. Auf der Hauptwache abgelieferte Arrestanten kommen in das Wachtgefängniß. Ich werde das Subject in das Wachtgefängniß einsperren, bis Serenissimus selber es anders ordiniren! Komm Er mit!“ wandle er sich dann an den Gefangenen. Albrecht folgte ihm.

Es war eine schmale Zelle, wie die Wachtstube selbst gewölbt, braun geräuchert und dunkel, in welche Albrecht geführt wurde. Rechts war das Fenster, links im Hintergründe eine Pritsche. Es war natürlich, daß Albrecht sich eher nach der Seite des Lichtes, als nach der Dunkelheit wendete; er trat an das Fenster und da er bemerkte, daß es sich öffnen ließ, so beeilte er sich, frische Luft in seine Zelle einströmen zu lassen. Draußen vor dem Fenster befanden sich allerdings Stangen, welche dicht und fest genug waren, um jeden Gedanken an Flucht im Entstehen zu erdrücken; aber diese Stangen waren unten rund ausgebaucht, so daß man sich ungehindert in das Fenster legen und mit vorgebeugtem Kopfe nach rechts und links den Hof überschauen konnte. Albrecht schob den einzigen Stuhl, der in dem Raume war, heran und ruhte sich eine Weile, den Arm auf die Fensterbrüstung gestützt, von seinen morgendlichen Wanderungen aus. Sein Auge überflog dabei mit einer lässigen und halben Aufmerksamkeit den Schloßhof mit allen seinen aus verschiedenen Zeiten stammenden und unvermittelt an einander geschobenen Bautheilen, die bald das schwerfälligste, grobsteinige Mittelalter, bald Rococostyl und bald Fachwerkgestocke zeigten, an welchen letzteren die Balken und Ständer und Streben mit allerlei Schnitzereien verziert und mit schönen Bibelsprüchen bedeckt waren.

Für’s Erste benutzte jedoch Albrecht die ihm gebotene angenehme Gelegenheit zur Lectüre der frommen Sprüche nicht; sein Auge schweifte müde über die ihn umgebenden hohen Mauern, die Fenster von allerlei Gestalt, die Erker, Giebel und Dächer, von denen hohe Essen und Thurmhauben in die weite Ferne blickten. Auch sah er mancherlei eigenthümliche Gestalten, Diener in sauberen Jacken und Hausröcken, Mägde in seltsamen Trachten mit radgroßen Mützen und faltigen kurzen Röcken, Soldaten in ganz curiosen Uniformen mit Blechmützen, die wie Bischofsmützen aussahen, im Schloßhofe sich müßig, schäckernd, lungernd umhertreiben. Vor seinem Fenster und vor der Thüre der Wache schritt eine Schildwache auf und nieder, gähnte, blieb stehen, reckte die Glieder und begann dann wieder ihren langsamen Wandelgang; endlich stellte sie ihr Gewehr an die Mauer und zog aus der Patrontasche ein, wie es schien, zum Privatbesitz des Mannes gehörendes Taschenmesser hervor und begann die Klinge desselben auf seinem Nagel zu probiren. Mechanisch war dadurch Albrecht’s Aufmerksamkeit auf des stattlichen Kriegers Patrontasche gezogen worden, auf deren Teckel sich ein Namenszug von blankem Messing befand. Was war an diesem Namenszug, das ihm bekannt vorkam oder vielmehr wie eine Art Erinnerung in ihm weckte, und das; er darauf hinblickte, ohne doch sich Rechenschaft darüber geben zu können, was ihm daran auffiel? Und dann … war es nicht wieder derselbe Eindruck, den er erhielt, als er nach einer Weile das Auge abwandte und über den ihm gegenüberliegenden Gebäudetheil hinstreifen ließ und über dem Portal ein großes, aus Stein gehauenes Wappen erblickte, auf welchem ganz derselbe Namenszug angebracht war? Es war eine höchst künstlich verschnörkelte Chiffre, aber man mochte sie nun betrachten wie man wollte, das Endresultat des darauf verwendeten Studiums war allezeit, daß sie ein C und zwei X bildete. Ein C und zwei X … das war CXX; und dies war ja die Hieroglyphe,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_643.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)