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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

respectiven Territorien, der Galgen ist gemeinschaftlich, der Galgen ist nicht allein aus Ihrem Holze aufgebaut, sondern auch zu Nutz und Frommen gemeiner Bürgerschaft von Großlingen – ich protestire gegen die einseitige Verhaftung. Da, wo wir jetzt stehen und wo der Inculpatus steht, ist Großlingensches Gebiet; das Seiner Erlaucht fängt erst dahinter, an der andern Seite des Galgens an.“

„Was verlangen Sie denn?“ fuhr der Reichsgraf verwundert und unwirsch auf.

Der Bürgermeister wollte antworten, aber diesmal fiel ihm der Prälat in die Rede. „Allerdings, Erlaucht,“ sagte er mit seinem schärfsten Tone, „einem einseitigen Vorgehen in dieser Sache muß auch ich mich Namens des gefürsteten Hochstifts Triefalten nachdrücklichst widersetzen.“

„Aber was fällt Ihnen denn ein, Hochwürdigster?“ rief jetzt der Reichsgraf, vollständig ergrimmt; „einen Strolch, der mein Bild an den Galgen gehängt hat, soll ich nicht einsperren lassen?“

„Bedenken die Erlaucht,“ versetzte der Prälat mit seinem kühlen, scharfen Tone, der zu der Aufregung und dem Toben des Bürgermeisters einen eigenthümlichen Contrast bildete; „Sie haben nicht allein daran gehangen, mein Conterfei hat ebenfalls daran gehangen!“

„Und das meine ebenfalls!“ schrie der Bürgermeister, „ich muß mich auch widersetzen, daß auf einseitigen Befehl der Comtesse Aglaë die Bilder abgenommen werden. Was meint Er, Syndicus Schaumlöffel?“ wandte er sich zu einem kleinen Herrn, der während dieser Verhandlung zornig mit den Augen blinzelnd hinter ihm gestanden hatte.

„Was ich meine?“ sagte dieser jetzt laut und heftig, „ich meine, wir dürfen den Rechten der Gemeinde, deren Väter und Vertreter wir sind, nicht das Mindeste vergeben. Ich beantrage, daß die Bilder, welche man eben auf einseitige reichsgräflich Glimmbach’sche Veranstaltung abzunehmen beflissen ist, wieder an ihren Platz gebracht werden. Man darf für die einzuleitende Untersuchung nichts an dem corpus delicti verändern. Ich verlange den status quo!“

Wir verlangen den status quo – die Bilder müssen hingehängt werden!“ schrie der Bürgermeister.

„Ich kann mich diesem Verlangen nicht anschließen!“ sagte kopfschüttelnd der Prälat.

„Es hieße ein Scandalum verlängern,“ flüsterte ein langer, dürrer Mann mit einem Pferdegesicht und einem tief in die melancholische Stirn gedrückten dreieckigen Hute dem Prälaten zu.

„Er hat Recht, Hofrichter Hopfensteck,“ sagte der Prälat, „es wäre ein Scandalum. Die Bilder müssen herunter.“

„Man nehme sordersamst eine Restitutio in integrum vor,“ fuhr der Hofrichter des Prälaten fort, „man hange sie wieder hin, und dann läßt Jeglicher der drei also in ihrer Ehre gekränkten Herren das seinige abnehmen.“

„Macht’s damit, wie Ihr wollt,“ fuhr mürrisch der Reichsgraf dazwischen, „alles Andere aber sind Flausen. Der Gefangene ist von meinen Leuten auf meinen Befehl in sichere Hand genommen, und der marschirt in meinen Thurm und wird von meinem Gericht justificirt!“

„Er ist auf Großlingenschem Grund und Boden betroffen und wird demnach auch in Großlingen inhaftirt gehalten!“ rief der Bürgermeister mit dem äußersten Zorn dawider.

„Ei, seht mir doch die Magnificenz an!“ rief der Reichsgraf jetzt mit einem äußerst beleidigenden Höhne. „Ich habe die Herren heute als meine Gäste zur Jagd geladen, und was bei dieser Gelegenheit vorfällt, das habe ich als Jagdherr zu schlichten und zu richten. Dabei bleibt’s – fort mit dem Gefangenen!“

Albrecht war jedoch zu seinem Heile, zu seiner unbeschreiblichen Erleichterung längst zwischen zwei handfesten gräflichen Jägern davon gegangen und auf dem Wege nach Hohenklingen. Das aber endete den gewaltigen Zwist nicht, der über ihn zwischen den drei Gewaltigen entbrannt war.

In diesem Zwiste war der Reichsgraf eben nahe daran, obzusiegen, und zwar durch das zuletzt von ihm vorgebrachte Argument, als er sich plötzlich in seiner zornigen Aufregung eine Blöße gab, welche die Hartnäckigkeit seiner Widersacher auf’s Höchste brachte. „Ueberdem,“ setzte er nämlich hinzu, „ist das Hauptverbrechen an mir begangen, ich bin der regierende Reichsgraf von Glimmbach zu Hohenklingen, und dem spielt man nicht einen solchen Streich, ohne daß er sich selber Revanche dafür nimmt, das merkt Euch, Ihr Herren!“

„Das können wir Euer Erlaucht nicht einräumen, müssen geziemendst depreciren,“ fiel hier sogleich der Prälat ein. „Die eine Landesherrschaft steht so hoch wie die andere, das crimen commissum ist vollständig ein und dasselbe, ob es gegen Euer Erlaucht oder gegen mich …“

„Es ist ein und dasselbe,“ rief hier der Bürgermeister dazwischen, „ob es an einem Reichsgrafen oder an der hohen Obrigkeit einer gemeinen Stadt und Landschaft Großlingen, oder an einem zeitigen Prälaten hochwürdigen und gefürsteten Stifts Triefalten begangen wird! Es ist ein völlig gleich zu qualificirendes Reat! “

Dabei stelzte der Bürgermeister mit langen Schritten, wie ein zorniger Hahn in der Kampfbahn, dicht an die Seite des Prälaten. Dieser aber sah mit einem ganz unbeschreiblichen Blick bemitleidenden Hochmuths auf den ihm zu Hülfe kommenden Bundesgenossen und sagte sehr ruhig: „Mit Verlaub, Euer Magnificenz – dagegen ließe sich doch etwas erinnern! Was die Beleidigung einer landesfürstlichen Obrigkeit angeht, so ist allerdings das Reat vollständig gleich zu qualificiren, ob es nun einen Reichsgrafen, wie Seine Erlaucht, unsern sonderbaren Freund und Gönner, oder den fürsichtig-wohlweisen Consuln der freien Reichsstadt betrifft. Ich bitte aber in Anbetracht zu nehmen, daß bei uns, dem zwar unwürdigen, aber erwählten und infulirten Abten des Gotteshauses Triefalten, unsere geistliche Würde hinzukommt und der unauslöschliche Charakter unserer priesterlichen Würde, deren Antastung dieses Verbrechen zu einem gegen Gott, die Religion und die Kirche stempelt, weshalb denn weiter gar kein Streit und Zweifel mehr obwalten kann, daß sofort der Gefangene an uns auszuliefern sei.“

„An uns auszuliefern sei,“ echoete der Hofrichter Hopfensteck, der während der obigen Rede still andächtig seinen hochwürdigen Amt- und Brodherrn angeschaut hatte und jetzt die Schlußfolgerung derselben mit einer ganz entsetzlichen Entschiedenheit wiederholte, als ob er sich wie ein Löwe auf Jeden stürzen wolle, der ihm widersprechen werde.

„Der Gefangene wird nicht ausgeliefert, der Gefangene bleibt, wo er ist!“ erwiderte mit zorniger Barschheit der Reichsgraf.

„Und er wird doch ausgeliefert,“ schrie der Syndicus Schaumlöffel; „er ist auf unserem Grund und Boden inhaftirt, und man soll Großlingen nicht an seine Rechte tasten! Hier steh’ ich, auf unserem Territorio, und protestire feierlich gegen die Verletzung unserer Jura, Privilegia und kaiserlichen Gnadenbriefe!“

„Und hier steh’ ich,“ rief der Hofrichter Hopfensteck aus, indem er mit seinen langen Beinen auf die andere Seite des Galgens stelzte, wobei der Prälat nebst seiner Dienerschaft ihm folgte, „hier steh’ ich auf meines gnädigsten und hochwürdigsten Herrn von Triefalten Immunität und gefreitem Gebiet und protestire wider jegliches einseitige Vorgehen!“

„Protestirt so viel Ihr wollt,“ sagte der Reichsgraf sich mit seinem Gefolge auf die dritte Seite des Galgens zurückziehend, „hier steh’ ich auf meinem Grund und Boden und lasse mir nichts vorschreiben. Und damit basta – die Jagd kann beginnen – Oberförster, stelle Er die Schützen an.“

Aber die zwei in ihren Rechten und in ihrem Ehrgefühl so bitter gekränkten Parteien hatten nicht Lust mehr, an der Jagd Theil zu nehmen. Während der Oberförster des Reichsgrafen begann, die Standpunkte der Jäger zu bestimmen, und zugleich Hornsignale für die Treiber geben ließ, hielten der Prälat und der Bürgermeister, jeder in seiner Gruppe, einen kleinen Kriegsrath und dann begaben sie sich ohne Abschied von dem Reichsgrafen, der sich nicht weiter um sie kümmerte, jeder auf seinen respectiven Heimweg.



3.

Während die Herren so mit unversöhnlichem Groll auseinander gingen, der Reichsgraf mit seiner schönen Tochter und seinem Triumph dem Jagdvergnügen nach, der Bürgermeister mit seinem Syndicus und seinem Ingrimm nach Hause, und der Prälat mit seinem Hofrichter Hopfensteck und Racheplänen in’s gefürstete Stift Triefalten heim – unterdeß sammelte sich eine kleine Gruppe von Dienern der beiden geschlagen abziehenden Herrschaften vor der Bude des kleinen Schenkwirths. Sie wollten sich von diesem Näheres über

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_642.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)