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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

des Wassers selbst unheimlich wird, und auf der Oberfläche des jetzt zum Strome angeschwollenen Baches die Spuren einer Wellenbildung sich zeigen. Spurlos zerstreut sich der lärmende Schwarm, und an die Stelle der lauten Lust tritt jetzt die Ruhe des bittersten Ernstes. Gurgelnd, schäumend, brausend ergießt sich die Hochfluth aus allen Fleethen durch jeden Spalt, jede kleinste Oeffnung in die angrenzenden Wohnungen. Der Strom zieht mitten durch Hausfluren, durch bis vor Kurzem bewohnte Zimmer, und auf Straßen und Plätzen, wo noch vor wenigen Stunden Kinder spielten, gleiten jetzt Nachen und Jollen, geführt von stämmigen Männern, die zum Schutz gegen die Wuth des rasenden Nordweststurmes den echten Hut des Seemannes, den wetterdichten Südwester, tragen.

Je höher das Wasser steigt, desto störender wirkt es auf den Verkehr ein. An allen lebhaften Uebergangspunkten bilden sich Gruppen harrender, unruhiger, oft verdrießlich werdender Menschen. Viele lockt nur die Neugierde herbei, Andere aber haben jenseits des heftig durch die Straßen wogenden Stromes unaufschiebbare Geschäfte und wissen nicht, wie sie über das zwei bis drei Fuß tiefe Wasser kommen sollen. Eine Zeit lang behilft man sich mit Wagen. Aber diese Wagen müssen mit einer hinreichenden Anzahl Menschen besetzt sein, damit sie der Kraft des Stromes Widerstand leisten können. Später, wenn die Fluth immer mehr anschwillt, kann die Verbindung der überflutheten Straßen mit den vom Hochwasser frei gebliebenen nur noch durch Kähne vermittelt werten.

Bei solchen Vorgängen macht die Spekulation, welche in Hamburg den meisten Menschen angeboren ist, sofort ihre Rechte gellend. Bei jedem Hochwasser, das immer mehrere Stunden lang anhält, ist auf bequeme Weise ein Stück Geld zu verdienen. Droschkenkutscher haben ihre Taxe, die sie einhalten müssen, wenn ihre Passagiere die Sätze derselben ebenfalls ihrem Gedächtnisse gut eingeprägt haben. Zu Fuhren durch’s Hochwasser aber giebt es weder für Droschken noch für Jollen und andere Fahrzeuge festgesetzte Preise. Deshalb wird der Preis nach den Personen, welche übergesetzt zu werden begehren, nach der Eile des Geschäftigen, nach der wirklichen oder vorgeblichen Schwierigkeit der Passage und nicht selten nach bloßer Laune bestimmt.

„Betalen!“ (bezahlen) das ist das Wort, das mit fester Stimme und trotziger Miene von Jedem unzählige Male ausgesprochen wird, der so glücklich ist, an einem der besuchtesten Uebergangspunkte den Fährmann zu spielen. Zu diesem Dienst stellen sich die verschiedensten Individuen ein, und da der Begehr nach beschleunigter Passage allgemein ist, so findet in der Regel Jeder seine Rechnung dabei. Nicht ungewöhnlich ist das Tragen Eiliger durch’s Wasser. Besonders kräftige und schmucke Männer, deren Körperformen die beste Empfehlung für ihre Anerbietungen sind, legen sich vorzugsweise auf das „Uebertragen“. Aus Galanterie bieten sie ihre Dienste natürlich zuerst dem weiblichen Personal an, das ängstlich trippelnd an der schmutzig gelben Wasserfläche, die so ungastlich durch die Straßen fluthet, hin und wieder geht. Junge, hübsche Kleinmädchen und gewandte Köchinnen leisten selten der freundlichen Einladung langen Widerstand. Ist es doch immer besser, einem Einzelnen sich anzuvertrauen, als mit Mehreren zugleich in einem meistentheils zu schwer beladenen Nachen die Ueberfahrt zu unternehmen. Ohnehin hat der stämmige Mann in seinen gewaltig hohen Wasserstiefeln bereits dargethan, daß er an Kraft und Ausdauer dem heiligen Christophorus wenig nachgeben dürfte.

„Was kostet’s?“ fragt eine sauber gekleidete Köchin, die sehr feines Schuhzeug trägt, und die ihre blendendweiße Mütze mit breitem Rosa-Bindeband vortrefflich kleidet, den sie ansprechenden Christophorus.

„Veer Schilling, Köksch (Köchin)“, lautet die Antwort, indem er der ängstlich auf das wallende Wasser Blickenden die offne Hand hinhält.

Die Köchin hat sich verspätet. Das prächtig farbige Tuch, welches den schmalen Korb unter ihrem Arme bedeckt und das ihr die Herrschaft zum Anzüge erst neu gekauft hat, damit sie auf der Straße gehörig damit prahlen kann, streift fast das schmutzige Pflaster. Schnell entschlossen zieht sie das Portemonnaie und entnimmt demselben ein Vierschillingsstück – morgen beim Handel mit der Vierländerin läßt sich die kleine Ausgabe wohl wieder verdienen – und vertrauensvoll reicht sie dem schmunzelnden Manne die Hand.

Ein lautes „Hurrah!“ der gaffenden Menge begleitet den Abzug des Trägers mit seiner schönen Last. Mitten im Strome, der dem starken Manne bis über die Kniee strudelt, seufzt das junge Mädchen ängstlich und klammert sich fest um den Hals des Retters. Christophorus bleibt stehen und blinzelt die Aengstliche mit verliebten Augen an.

„Lüttje Köksch, hat Se Bange?“

„Man to! Man to!“ antwortet die Geängstigte.

„Ick mut erst en Trinkgeld hebben.“

„Drüben … gern,“ stottert das Mädchen.

„Nee, mien lütt Deern, glick up de Stell’!“

Die Köchin will abermals ihr Portemonnaie ziehen, der schreckliche Mann aber lacht kopfschüttelnd und fährt fort:

„Geld hebb’ ich genog, ich will, dat mi de lüttje Köksch enen Söten (Kuß) gift. Will Se oder will Se nich? Veer Foot Water sün hier; ich smiet Se glick dal (nieder).“

Das erschrockene Mädchen faßt sich ein Herz und erfüllt, um wieder auf’s Trockene zu kommen, das Verlangen des Unerbittlichen. Dieser lacht wie ein Kobold und setzt unter lautem Gekreisch der drüben Stehenden die Erröthende auf festem Boden ab.

Scenen solcher und ähnlicher Art kommen bei Hochwasser am hellen Tage häufig vor, in der Nacht ist man weniger geneigt zu Scherzen. Dann überwiegt das Gefühl der Bangigkeit auch bei den an Hochwasser Gewöhnten jede heitere Regung. Man kann nicht wissen, welchen Verlauf die Sturmfluth nimmt, und um sich auch gegen das Schlimmste zu sichern, sind alle Bedrohte nur auf Rettung ihrer Habe und ihrer Familien bedacht. Je häufiger die Lärmkanonen sich hören lassen, die das Wachsen des Wassers verkündigen, desto schweigender arbeiten die Menschen in den überflutheten Quartieren. Man hört nur vereinzelte Zurufe und Commandoworte, und sieht rothen Laternenschein über den zitternden Wellen schimmern.




Blätter und Blüthen.

Der größte Bienenvater der Welt. Wenn man auf der Oberschlesischen Eisenbahn von Osten oder von Westen her auf die Station Brieg gelangt und hier die Oder überschreitet, so ist man im Lande der Wasserpolaken. Hat man hier durch dürftige Sandflächen und düsteres Nadelgehölz noch zwei und eine halbe Meile zurückgelegt, so erreicht man das polnische Dorf Karlsmarkt (Karlowicze). Dies kleine Dörfchen mit seinem unscheinbaren katholischen Pfarrhause ist seit etwa zehn Jahren der Zielpunkt von Reisenden aus allen Gegenden Europa’s, ja selbst aus der neuen Welt; denn von hier aus ging eine Reform in der Bienenzucht, welche diese landwirthschaftliche Branche auf eine nie erreichte Höhe hob.

Der Garten am Pfarrhause ist dicht besetzt mit wohl Hunderten von Bienenwohnungen verschiedenartiger und zum Theil noch nie gesehener Form, und die Luft erfüllt von Tausenden summender Bienen. Unter diesen wandelt im einfachen Hausrocke, ein Käppchen auf dem Haupte, ein schlichter, rührsamer Mann so ruhig umher, als sei er von Baumblüthen umflogen. Die Bienen sitzen ihm auf Hals und Rücken, Brust und Händen, ja in den Aermeln seines Rockes; doch das stört ihn nicht im Mindesten; er nimmt sie von da und dort fein säuberlich herab und läßt sie fliegen und lächelt dabei still vor sich hin, wenn Besucher anwesend sind und vor den Bienen die Flucht ergreifen oder über einen Bienenstich Ach und Weh schreien. Ihn selbst stechen sie fast nie, und wenn es ja geschieht, so achtet er das nicht mehr als einen Mückenstich. Immer ist sein Blick auf die Stöcke und die fliegenden Bienen gerichtet, und wenn seine Besucher Fragen an ihn richten, so sind seine Antworten meist sehr kurz. Man muß schon interessante Fragen zu stellen wissen, wenn er näher darauf eingeben soll. Wer hier von der Bienenwirthschaft etwas profitiren will, der muß insbesondere zu sehen und zu beobachten verstehen, wie der Mann selbst, dessen Gesicht so gutmüthig und gewöhnlich, doch nicht ohne einen sehr geistvollen Zug darin ist, und dessen Wesen eine gewisse Sprödigkeit, fast der Schüchternheit ähnlich, zeigt, so lange er sich nicht besonders angeregt fühlt.

Das ist Dzierzon, der Pfarrer (wie man hier sagt, Curatus) des Orts, durch seinen Namen schon als der polnischen Nationalität angehörig bezeichnet, der die Bienen so genau kennt, als wäre er selbst eine Biene, und der sie förmlich zu dressiren versieht. Was er will, das müssen sie thun: braucht er Honig, so müssen sie Honig fabriciren: bedarf er Wachs, so müssen sie Wachs bereiten: hat er mehr Bienen nöthig, so müssen sie sich mit ihrer Vermehrung beschäftigen. Diese seine Gewalt über die Bienen hat er eben durch seine gründliche Kenntniß ihrer Natur erreicht. Darnach macht er Gebrauch von ihren Trieben und Neigungen, vermeidet Alles, was diesen zuwider ist, schützt sie vor ihren Feinden und vor jedem übeln Witterungseinflusse, pflegt sie in Krankheiten, macht ihnen so zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_638.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)