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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

dem umgestülpten Korbe davor sitzt, sieht nicht aus, als würde er einen kleinen Verdienst zurückweisen.“

Der bezeichnete Mann sah allerdings nicht so aus, er hüpfte, sobald er die Fremden ihre Schritte seiner Bude zulenken sah, in die Höhe und kam ihnen entgegen, zum Gruße mit seiner langen blauen Schlafmütze wedelnd. Dabei pries er seinen Land- und Seewein, sein Bier und seine Eßwaren mit vollen Backen an.

„Laß uns erst einmal Deine merkwürdige Bude betrachten,“ sagte Albrecht zu dem geschäftigen Männchen; „Du hast ja alles Mögliche gethan, sie herauszustaffiren.“

Er hatte alles Mögliche gethan. Er hatte sie mit frischen Maien umstellt; er hatte ein sehr reinliches weißes Laken über das Auslagebret geschlagen; er hatte die Vorderseite ausgeschmückt mit drei großen Bildern in schwarzen Rahmen, welche die Conterfeis von drei höchst stattlichen Herrn in gewaltigen, wie eine Welt von Locken und Puder aussehenden Perrücken darstellten; und in die Bude als ihren Hauptschmuck hatte er seine kleine, rundliche, stilllächelnde Frau in einer mit falschem Gold und Silber und noch falscheren Perlen gestickten Sonntagshaube gesetzt; und diese kleine Frau war bei der Annäherung der fremden Herren von dem Schemelchen, auf welchem sie saß, aufgeschnellt und fuhr nun mit einer Hast zwischen ihren Gläsern und Flaschen umher, als ob sie Alles aneinander schlagen und zerstoßen wolle, und ihre flinken Hände zerstießen und zerstörten doch nichts, als höchstens die saubere Ordnung, womit Alles gereiht stand.

„Nur ruhig, liebe Frau, gebe Sie uns einen Trunk von Ihrem Seewein,“ sagte Albrecht. Das Mütterchen schenkte aus einem Kruge in zwei große Stangengläser ein, und der Mann stand lächelnd, zopfwedelnd und so voll Eifer, die Herren rasch zu bedienen dabei, daß es aussah, als sei er entschlossen, sofort selbst in den Krug zu schlüpfen und Händel mit dem Wein anzufangen, weil er aus dem engen Hals nicht schnell genug heraus wollte.

„Welche merkwürdige alte Herren hast Du denn hier vor Deine Bude gehängt?“ sagte Fano.

„O das sind unsere Herren, unsere lieben Landesherren, Ihr werdet sie gleich hier sehen … sie werden gleich hier sein, unsere gestrengen Herren, der Herr Reichsgraf …“

„Das ist wohl der da in dem grünen Rock mit goldnen Schnüren und der großen Meerschaumpfeife in der Hand?“ fiel Albrecht ein.

„Ganz richtig, Herr, ganz derselbe, just wie er leibt und lebt, Seine Erlauchten Gnaden – und der Andere hier, in dem schwarzen Pelzrock mit der güldenen Kette, das sind Seine wohlweisen Gestrengen, der Herr regierende Bürgermeister von Großlingen; und der Dritte, das sind Seine Gnaden, der hochwürdigste Herr Prälat von Triefalten, der mit dem großen Kreuz auf der Brust und der mit der …“

„Langen, schiefen, merkwürdig gescheidten Nase!“ fiel Fano lächelnd ein.

„Ja, sie haben eine etwas länglichte Nase, der hochwürdigste Gnädige; es sind schöne Bildwerke, und weil wir denn heute unsere kleine Bude hier aufschlagen wollten, von wegen der großen Jagd und der paar Kreuzer, die es dabei zu verdienen geben kann, wenn Alles hübsch reinlich und nett und sauber ist, so hat sie uns unser Rentschreiber geliehen, dem gehören sie, dem guten Herrn Rentschreiber, und da habe ich sie denn hingehängt; werden’s auch nicht ungnädig vermerken, die Herrschaften, wenn sie kommen; sie müssen augenblicklich hier sein, auf Hohenklingen ist allbereits vor einem halben Stündchen zum Aufbruch geblasen, man hört’s hier recht gut von drüben herüberschallen, obwohl man das Schloß nicht sehen kann, von wegen der Bäume und auch von wegen der Berge, und weil’s da unten durch den Tobelgrund und dann rechts um die Ecke geht, sonst würde man’s ganz gewiß sehen können, und ich könnt’s den Herrschaften schon zeigen …“

Albrecht unterbrach dadurch, daß er abermals sein Glas zum Füllen hinreichte, den Redestrom des kleinen Mannes und sagte dann: „Ihr lebt wohl recht glücklich hier, unter der Herrschaft so stattlicher Herren?“

Der kleine Mann machte eine ganz unbeschreibliche Miene; es war offenbar, daß diese Frage des fremden Herrn einen tiefen Schatten von Ernst auf seinen Gesichtszügen hervorlockte, und daß er es doch für respectwidrig hielt, den beiden jungen Leuten etwas Anderes als die lautere Freundlichkeit und Heiterkeit zu zeigen.

Mit einem süßsauren Lächeln versetzte er:

„O ja, recht glücklich, wenn Sie’s nicht für ungütig nehmen wollen, recht glücklich, nur thät’s Noth für unser Eins, daß man von Zeit zu Zeit so einen kleinen Schatz von guten groben Münzsorten fände, wie sie sie dazumal in der Schwedenzeit wohl vergraben haben, denn sonst kommt unser Eins wahrhaftig nicht durch, Herr, mit den Renten und den Gülten und Allem; mit den Renten nun einmal gar nicht, und was die andern Steuern sind, die an den Rentschreiber gehn, und was die Abgaben an die Gemeindlade sind …“

„Sind die so schwer und drückend?“

„Schwer, Herr. wenn Sie’s nicht ungütig nehmen, daß ich’s so frei heraussage, Angst und Noch muß unser Eins drum schon schwitzen, und Hunger und Kummer auch ein wenig; aber sonst freilich leben wir hier recht glücklich im Lande, es thut genug wachsen, und der Wein ist auch nicht übel, und das Handwerk könnte seinen Mann nähren, und mit der Robot, nun ja, mit der Robot ist’s wohl ein wenig schlimm, und dann die Zehnten, die Blutzehnten, die Rauchhühner …“

„Um Gotteswillen hört auf.“ rief Albrecht hier, „das ist ja entsetzlich, was Euch Alles aufgebürdet ist!“

„Nun, ein klein wenig schlimm ist’s schon.“ sagte der zopfwedelnde kleine Mann, und seine Freundlichkeit ging immer mehr in einer greinenden Miene unter, „ein klein wenig schlimm ist’s schon, absonderlich Heuer, bei den Kreisumlagen und der Kriegssteuer und …“

„Wahrhaftig, er ist immer noch nicht zu Ende!“ rief Fano aus, „Kriegssteuern, Kreisumlagen, Gülten, Robot, Renten, Blutzehnten, Rauchhühner …“

„Blutzehnten – was ist das?“ unterbrach ihn Albrecht.

„Das will ich Euch sagen. Herr.“ fuhr der Schenkwirth fort.

„Blutzehnten, mit Verlaub zu sagen, das ist der Zehnten von den Lämmern und den Kälbern, die fallen – sehen Sie. wenn Sie’s nicht ungütig nehmen, da hatt’ ich ehedem von meinem kleinen Gehöft, das will sagen zu meines Vaters Zeiten, jährlich an’s Stift Triefalten ein Rauchhuhn zu liefern; aber damit waren die Herren bald nicht mehr zufrieden, und es hieß, es müsse ein fetter Kapaun sein; und als es dann weiter kam, da wurde uns gesagt, der Kapaun sei eine Ehrung für die vier Hochzeiten des Jahres, und so mußten wir jährlichs vier Kapaunen bringen … und das war nun eine gar lästige Sache mit den Kapaunen, denn Kapaunen, mit Verlaub zu melden, sind heiklich aufzubringen und absonderlich im Winter und dann waren sie den Herren immer nicht fett genug, und so riethen sie uns endlich, um unsres eigenen Besten willen, statt der vier Kapaunen jährlich ein Kalb zu bringen, damit wollten sie zufrieden sein, und weil es nun wohl leichter für uns zu beschaffen war, so fingen wir denn nun an, es mit einem Kalb gut zu machen; und das ging denn eine Weile so hin, bis nach etzlichen Jahren das Kalb immer länger gesäugt sein sollte, und so ward ein Rind daraus, und aus dem Rind ward ein Ochse, und jetzt haben wir an das hochwürdige Stift jährlichn einen wohlausgewachsenen fetten Ochsen zu liefern,[1] zu Michelis ist der Termin, wenn Sie’s nicht ungnädig nehmen …“

Fano brach in ein lautes Gelächter aus, und Albrecht schlug die Hände über dem Kopf zusammen:

„Und so haben sie Euch ein Huhn in einen Ochsen verwandelt – das ist ja unerhört – und das duldet Ihr?“

„Ja, liebes Herrle, da macht unser Ein's nichts dawider: wer ein böses Maul hat, der kommt in’s Loch, und wer mit seinen Prästationen in Rückstand bleibt, der kommt um Haus und Hof und hat viel Ungemach!“

„Also so werdet Ihr regiert von Euren Bedrückern, die Ihr noch dazu respektvoll und demüthig da vor Eure Bude hängt, diese abscheulichen Perrücken? An den Galgen dort hängt sie lieber – an den Galgen gehören sie; kommt, Fano, wir wollen ihnen diesen Ehrenplatz geben!“

Fano rieb sich vor Vergnügen die Hände über diesen Einfall.

Zornig und empört streckte Albrecht die Hand nach einem der Bilder aus, ohne sich durch den Schreckensruf und das Abwehren des kleinen Wirths stören zu lassen. Fano blickte umher, ob er nicht etwas wie eine Leiter in der Nähe der Bude entdecke, und da keine da war, nahm er von dem seitwärts stehenden Gefähr die eine Wagenleiter, warf sie auf seine Schulter und eilte damit auf

den Galgen im Hintergründe zu. Albrecht folgte ihm nach wenig

  1. Buchstäblich war.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 627. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_627.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)