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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Holberg’s über das gemeinsame deutsche Geschäft. Frank bat Holberg darin, dem deutschen Geschäfte, als diesem gehörig, eine Reihe speciell benannter Capitalien zum Betrage von mehr als zweimalhunderttausend Dollars zuzuschreiben und ihm darnach unter Hinzurechnung dieser Capitalien schleunig den Vermögensabschluß des deutschen Geschäfts zu übersenden. Den Grund zu dieser Bitte wolle er ihm in seinem nächsten Schreiben angeben; es fehle ihm jetzt an Zeit, da die Sache eilig sei und der Brief sofort zu dem wartenden Dampfboote müsse.

Ich hatte auf einmal Licht. Wie der Brief in die Hände seines Schreibers zurückgekommen war, blieb mir ein Räthsel. Alles Andere stand klar vor mir.

Wenige Monate nach der Zeit, da der Brief geschrieben, war in Amerika eine jener Handelskrisen ausgebrochen, mit denen Schwindel aller Art jenes Land mitunter heimsucht. In den Schwindel hatte sich unzweifelhaft auch Frank hineingeworfen, der erfahrene, gewandte Betrüger. Um ihn mehr zu benutzen, hatte er sich von Holberg den falschen Vermögensabschluß geben lassen; unter Vorzeigung desselben und seines Gesellschaftsvertrags mit Holberg konnte er sich natürlich einen großen Credit verschaffen. Holberg, der ihn erst später als den Betrüger kennen lernte, hatte sich durch sein Vertrauen zu dem Mann, der sich in Amerika zuerst seiner angenommen und dem er den Grund seines Glückes verdankte, zur Aufstellung des Abschlusses verleiten lassen. Die Krisis hatte bald nachher Frank mit ergriffen. Auch seine Trennung von Holberg und die dreißigtausend Dollars, die er dadurch baar erhielt, halten ihn nicht retten können. Später, vor ungefähr drei Jahren, nachdem wahrscheinlich seine Gläubiger selbst unterdeß gestorben, verdorben und verloren waren, hatte er von dem Abschlusse gegen Holberg Gebrauch gemacht, zu der Aufstellung der Theilungsforderung in jener Correspondenz.

Der alte Schurke war darüber gestorben. Sein Sohn, nicht besser als der Vater, hatte sich in neuerer Zeit auf den Weg nach Deutschland gemacht, um die Ansprüche des Vaters an Ort und Stelle zu verfolgen. Vielleicht hatte er nur den Brief Holberg’s an diesen verkaufen wollen. Er war unterwegs von dem verbrecherischen Abenteurer Richter ermordet worden. Diesen hatte jetzt eine andere Mörderhand getroffen. Und dieser zweite Mord? Der erste hatte seinem Urheber keine Früchte eintragen sollen, und der zweite –?

Holberg war kein Betrüger, kein Fälscher. Er hatte wahrscheinlich – nach seiner Unterredung mit mir am vorigen Abende erschien es mir unzweifelhaft – objectiv falsche Eintragungen in seine Bücher gemacht, aber nicht um zu betrügen, sondern nur um sich gegen einen frechen Betrug zu schützen, gegen den er kein weiteres Schutzmittel hatte. Es war ein Fehler, ein großer Fehler; aber es war kein Verbrechen. Wurde der Grund bekannt, es konnte kaum seiner Achtung, die er überall genoß, Abbruch thun. Und die ganze Sache blieb begraben, wenn der Ermordete wenige Stunden früher noch lebend wäre betroffen worden. Welchen furchtbare Schicksal hatte eine bis dahin fleckenlose Hand zum Morde geleitet!

Ich mußte zum Schlosse. Frau von Holberg hatte von Neuem mich bitten lassen. Es war ein schwerer Gang. Ich trat in ein Trauerhaus. Die Diener schlichen gesenkten und bleichen Hauptes einher. Zu der Trauer hallen sich Schreck und Angst gesellt. Ich wurde durch das todtenstille Haus zu dem Zimmer der Baronin geführt. Aus dem Wege dahin öffnete sich leise eine Thür. Therese, die Tochter Holberg’s, stand darin. Sie hatte mich ankommen sehen und winkte mit den, blassen, verweinten Gesichte mich zu sich. Ich konnte nicht an ihr vorbeigehen. Sie ergriff meine Hand.

„O, wo ist der Vater? Wissen auch Sie es nicht?“

Ich wußte es ja so wenig wie sie.

„Und was ist noch mehr vorgefallen? Die Mutter will keins von uns Kindern zu sich lassen, und wir dürfen nicht aus unseren Zimmern. Die Bedienten schütteln stumm, aber weinend den Kopf, wenn wir sie fragen. Es muß noch ein großes Unglück geschehen sein, das wir nicht erfahren sollen.“

Die Arme, sie wußte von dem Tode des Amerikaners noch nichts. Ich mußte sie mit allgemeinen Worten trösten.

„Ich gehe zu Ihrer Mutter, Therese. Ich selbst wünsche von ihr noch so Manches zu erfahren. Vertrauen Sie auf den lieben Gott, der die Schicksale der Menschen regiert.“

Sie nahm noch einmal meine Hände. „Wenn Sie zur Mutter gehen, so bitten Sie sie, daß sie mir verzeiht. Es war ein unbedachtes Wort, das ich zu ihr sprach. Sagen Sie ihr das. Ich will gern Alles thun, um den Vater zu retten.“

Eine schwere Ahnung durchflog mich. „Was müßte die Mutter Ihnen verzeihen? Was hätten Sie zu ihr gesprochen?“

„Als der Mr. Jones fort war, als die Mutter mit dem Vater gesprochen hatte, theilte sie mir mit, daß der Vater Verbindlichkeiten gegen den Mann habe, die er nicht lösen könne, und daß der Amerikaner dafür meine Hand gefordert habe. Ein Schreck fuhr mir durch den ganzen Körper, ein Grausen. „Mutter, es ist nicht möglich!“ mußte ich rufen. „Nie kann der Mensch mein Gatte werden!“ Es war unbedacht, unüberlegt von mir. Ich will ja gern Alles für meinen braven Vater thun. Sagen Sie das der Mutter. O, wenn ich wüßte, wo der Vater ist, ich würde selbst zu ihm eilen, auf der Stelle, und es ihm sagen, daß ich morgen, heute die Frau des Amerikaners werden will.“

„Braves, braves Kind! Ja, Du bist die Perle unter seinen, unter allen Kindern.“ – Armes, armes Kind! mußte ich draußen fast laut aufweinen.

Ich kam zu der Mutter. Sie flog mir mit dem leichenblassen Gesichte entgegen. Weinen konnte sie nicht; die furchtbarste innere Angst hielt ihre Thränen zurück. Mit den trocknen, heißen Augen starrte sie mich an, als wenn sie in meinem Gesichte Leben oder Tod suche.

„Er ist ermordet?“ rief sie.

Ich konnte es ihr nicht verschweigen. „Alle Anzeichen sprechen bis jetzt für eine gewaltsame Tödtung.“

„Und wer ist der Mörder? O, verhehlen Sie mir nichts. Martern Sie mich nicht mit Ungewißheit, wecken Sie keine leeren Hoffnungen in mir.“

„Der Thäter ist noch nicht ermittelt.“

„Der Seiltänzer ist es nicht?“

„Ich halte ihn nicht dafür.“

„So ist er, nur er es – nur er –“

„Gnädige Frau,“ rief ich entsetzt, „wie können Sie selbst –? Nein, nein! Wen halten, wen können, wen dürfen Sie für den Mörder halten?“

„O mein Gott, wenn Sie meinen armen, unglücklichen Gatten gesehen hätten!“

Ich nahm ihre Hand und führte sie zum Sopha. „Setzen wir uns, gnädige Frau, um über den wichtigsten und zugleich schrecklichsten Gegenstand so viel möglich mit derjenigen Ruhe zu sprechen, deren seine Erörterung für uns Beide bedarf. Noch ist kein Beweis da, noch ist der Name Ihres Gatten nicht ausgesprochen. Es liegt eine gewaltsame Tödtung vor. Das Verbrechen ist aller Wahrscheinlichkeit nach an der Parkbrücke verübt. Von der Brücke ist der Amerikaner in das Wasser geworfen worden, in dem er seinen Tod gefunden hat. Weiter ist bis jetzt nichts ermittelt. Theilen Sie mir jetzt Alles mit, was Sie wissen und mir vielleicht noch nicht vollständig gesagt haben. Wir gelangen auf diese Weise vielleicht am ersten zu den Spuren des Thäters; mögen sie dann führen, wohin das Schicksal sie einmal bestimmt hat.“

Sie hatte sich gefaßt.

„Ich hatte Ihnen heute Nacht nicht Alles gesagt,“ sagte sie.

„Ich ahnte es. Sie hatten Geheimnisse, die Sie mir ohne die größte Noth nicht anvertrauen durften.“

„Es galt die Ehre meines Mannes. Verzeihen Sie mir.“

„Sie haben gehandelt, wie Sie handeln mußten. Jetzt kann ich Ihnen sagen, daß die Ehre Ihres Mannes gerettet ist.“

Sie erblaßte doch von Neuem. „Wie?“ rief sie in einer schrecklichen Ahnung.

„Niemand kann Holberg mehr zu einem Betrüger und Fälscher machen. Ich habe die Beweise in den Händen.“

„Allmächtiger Gott, und jetzt ist er ein Mörder!“

Es war ein furchtbarer, herzzerreißender Aufschrei. Sie konnte sich erst nach langer Zeit wieder erholen. Ich theilte ihr dann von den Papieren mit, die der Polizeidirector in der Untersuchung, und die ich auf der Reiche den Amerikaners gefunden hatte; ich legte sie ihr vor, ich hatte sie mitgebracht; ich setzte sie von den weiteren Ermittelungen über die Person dieses letzteren in Kenntniß. Ich fügte meine Combinationen hinzu.

„Sie haben richtig combinirt,“ sagte sie. „Auch in Betreff

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_610.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)