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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

der Höhe zur Rechten, hinter dem Tannenwald verborgen, liegen die Trümmer des Schlosses Fürsteneck, von einem Erben der Zähringer, Heinrich von Fürstenberg, 1260 zu besserem Schutze seiner Herrschaft Oberkirch erbaut.

Nähern wir uns nun langsamen Schrittes dem Städtchen Oberkirch. Wir stehen hier im Herzen der gesegneten Ortenau, jetzt einer der schönsten und verhältnißmäßig bevölkertsten Gegenden des herrlichen badener Landes. Die Felder bringen Getreide aller Art, Hanf, Kartoffeln, die Fluren und Hügel den reichsten Obstsegen an Aepfeln, Birnen, Nüssen, Kirschen, womit ganze Märkte an Ort und Stelle veranstaltet und fremde, weit entlegene Märkte versehen werden, sowie auch zahme Kastanien hervor, die sonnigen, den warmen Süd- und Westwinden offenen Halden trefflichen Wein; aus den Wäldern wird Holz in Scheiten, Kohlen, Baustämmen, Bretern und Latten theils nach den reich versehenen Lagerplätzen in den Städtchen und Dörfern im Thal, theils geraden Weges an den Rhein und nach Straßburg verführt; Pech und Harz siedet der Hinterwäldler und versendet es in schweren Ladungen; der Viehstand ist blühend, süßen Honig in Menge liefern die würzigen Bergkräuter; frisches, labendes Trinkwasser sprudelt allenthalben aus den Rinnsalen der Berge, wässert in künstlichen und natürlichen Runsen die Matten, und selbst die Göttin der Gesundheit, die wohlthätige Hygiea, läßt an vielen Stellen aus dem Schooß der Berge ihre heilbringenden Quellen strömen.

In solcher glücklichen Natur ist auch die Anlage der Menschennatur eine glückliche und kernhafte. Natürliche Gutmüthigkeit, Gottesfurcht, Offenheit, Redlichkeit, unverdrossener Fleiß, heitere Lebensanschauung, Gehorsam gegen Gesetz und Obrigkeit, Treue gegen das Fürstenhaus sind von jeher hervortretende Züge in dem Charakterbilde des wackern Völkleins gewesen, und selbst da, wo die Verfeinerung der neuern Zeiten dieselben etwas verwischt hat, ist das alte gute Gepräge nicht ganz unkenntlich geworden. Nächst dem Bau des Bodens ist der Handel mit dessen Erzeugnissen, so wie mit Durchgangswaaren ihre vornehmliche Nahrungsquelle.

Frühe schon theilte sich, wie die Geschichte der genannten Geschlechter und Herrensitze zeigt, die alte fränkische Gaugrafschaft Mortenau (Ortenau) in kleinere Gebiete. Das größte derselben blieb die Herrschaft Ulmburg, später Herrschaft Oberkirch genannt, welche von dem Fuße des Kniebis bis in die Rheinebene durch das Renchthal und Kappeler Thal sich erstreckte.

Wir übergehen die wechselnden Schicksale des Ländchens in älterer Zeit, in welcher die oft streitbaren Bischöfe von Straßburg mancherlei Kriegsnoth herbeiführten und der Krummstab schwer auf dem Nacken des armen Volkes lag. Die Tage des Bauernkrieges riefen mit dem Ortenauer Haufen auch unsere Oberkircher unter die Waffen, aber der edle Markgraf Philipp von Baden, zu dessen Landeshoheit die Herrschaft gehörte, brachte am 22. Mai 1525 den glücklichen Tag zu Renchen zu Stande. Den Bauern ward großmüthig Vergebung zu Theil, nur Korn, Mahlfrüchte und Wein sollten fortan den ganzen Zehnten leisten, der Kleinzehnten ward zur Hälfte herabgesetzt, Jagd- und Waldrecht wurden geregelt, Wölfe, Bären und Wildschweine sollten zur freien Jagd zählen, die Frohnden wurden gemildert, der Todfall abgeschafft, nur der Ehrschatz als Erbsteuer für Güter beibehalten. Der Sturm des Bauernkrieges umtobte rechts und links unser friedliches Eiland, es gewann aus demselben seine bessern Zustände. Der dreißigjährige Krieg löste abermals auch hier alle Bande, Schweden und Kaiserliche wütheten abwechselnd in dem schönen Ländchen; mehr denn einmal flüchteten die Bewohner das nackte Leben in die Berge. Im Jahre 1648 kam die Herrschaft abermals als Reichslehen pfandweise an Württemberg, bis 1665 Straßburg sie wieder einlöste. Als aber in den Kriegen des Reiches mit Ludwig XIV. der Bischof Egon von Straßburg zu dem Reichsfeind sich neigte, wurde 1683 Markgraf Ludwig von Baden mit der Herrschaft Oberkirch belehnt, welche dafür die schwere Rache der Franzosen zu tragen hatte, bis sie 1699, freilich als eine öde Brandstätte, wieder an Straßburg kam.

Das 18. Jahrhundert brachte langwierige Waldprocesse mit dem Stift; der französische Revolutionskrieg konnte unser Thal als Durchgang zu dem wichtigen Kniebispaß nicht unberührt lassen. Drei Mal standen die tapfern Bewohner des Thales in offenem Kampfe wider den zügellosen Feind, im Jahr 1800 starben 70 Bürger bei Bolzhurst den Tod für’s Vaterland. Das Jahr 1801 brachte Friede und eine neue bessere, die badische Herrschaft.

Unser Städtchen Oberkirch selbst, welches sich malerisch an den linken Fuß des Gebirges anlehnt, und an welchem die lustige Rench vorüberfließt, hat seinen Namen offenbar daher, daß in ältern Zeiten nach der ersten Kirche des Thales zu Nußbach die zweite weiter oben im Thale hier entstand, sodaß hier die obere, dort die untere Kirche war. Unter straßburgischer Herrschaft war Oberkirch nicht nur Sitz des Oberamtes, sondern auch Hauptort eines eigenen Gerichtsbezirkes, dem ein Schultheiß, Stabhalter und 10 Richter vorstanden, und hatte das Münzrecht in einem dazu bestimmten Gebäude. Auch bestand hier ein jetzt eingegangenen Kapuzinerkloster. Jetzt ist es Sitz eines Decanates und Bezirksamtes, sowie der übrigen herrschaftlichen Stellen. Auf der Höhe nordöstlich davon steht zwischen herrlichen Nebengebäuden das freundliche Landhaus des Herrn v. Haber, und die Geselligkeit der friedlichen Bewohner hat sich manches traute Plätzchen geschaffen, an welchem auch der fremde Gast eine stets freundliche Aufnahme und eine frohe Abendstunde im trauten Kreise findet.

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.

Fahrlässigkeit im Betriebe der englischen Eisenbahnen. Nur erst acht Tage sind dahin seit dein 25. August, wo ein fürchterliches Unglück auf der nach Brighton führenden Eisenbahn die gesammte Bevölkerung Londons in Angst und Schrecken versetzt hatte, und auf’s Neue standen heute früh dicht gedrängte Menschengruppen vor den Expeditionslocalen der hiesigen Tagesblätter, um Näheres über die neue, fast noch schrecklichere Eisenbahn-Katastrophe zu erfahren, welche gestern, Montag den 2. September, auf der sogenannten North-Junction-Railway stattgefunden hat. Noch ist die gesammte Einwohnerschaft der Riesenstadt in höchster Spannung und folgt mit theilnehmendem Interesse der Mittheilung der täglich mehr und mehr zur Kenntniß des Publicums gelangenden Einzelheiten des vor acht Tagen stattgehabten Unglücks, und schon dringt neuer, zahlreicherer Wehe- und Schreckensschrei von der andern Seite Londons heran. – Am Sonntag, 25. August, war ein sogenannter Excursion-Train in den fünf englische Meilen von dem Seebadeorte Brighton aus der Londoner Linie gelegenen Tunnel eingedrungen, nachdem der am südlichen Eingänge desselben stationirte Signalbeamte das Zeichen dazu gegeben hatte. Fast zu gleicher Zeit und in Folge eines, sei es mißverstandenen, sei es falsch gegebenen Signals erscheint am nördlichen – nach London zu belegenen Eingänge des fünf englische Meilen langen Tunnels ein anderer Zug. Es wird nun dem zuerst eingefahrenen ein Noth- oder Gefahrsignal gemacht; allein der Maschinist kann den Zug nicht sofort zum Halten bringen und dringt eine ziemliche Strecke in das Innere des Tunnels ein. Nachdem er endlich den Zug zum Halten gebracht, läßt er ihn langsam wieder zurückgehen. Indessen naht sich der Courierzug (Parliament Train) von Portsmouth, der mit fabelhafter Geschwindigkeit dahinfliegt. Der am südlichen Eingänge stationirte Wächter, diesen letzteren Zug herankommen sehend, macht demselben die verzweifeltsten Signale, jedoch umsonst. Unaufhaltsam saust der Courierzug in den Tunnel hinein und trifft hier auf die ihm entgegenkommenden letzten Wagen des vor ihm in den Tunnel eingefahrenen Vergnügungszuges, welcher sich vor dem von London herkommenden Personenzuge zurückzieht. Der Zusammenstoß ist fürchterlich. Ueber 30 Todte und mehr Verwundete schafft man nach Brighton, nachdem Stunden vergangen sind, ehe man die Unglücklichen aus Trümmern und totaler Finsterniß des Tunnels hervorgebracht hat. Die Mehrzahl der Todten und Verwundeten sind Damen; auch eine ganze Familie – Vater, Mutter und Kinder – befindet sich unter den Getödteten. Alle sind so entsetzlich verstümmelt, zerrieben, zerquetscht, daß eine Erkennung bei den Meisten nur mit Mühe, nach mehreren Tagen erfolgen kann. Einzelne der Cadaver sind bis heute noch nicht recognoscirt. Von den mit dem Leben davon Gekommenen sind wiederum Viele so beschädigt, daß sie entweder den Folgen der Operationen oder Amputationen erliegen oder zu fürchterlichen Krüppeln werden. Andere sind von Strömen siedenden Wassers aus der Maschine beim Zusammenstoß überschüttet und liegen unter unsäglichen Schmerzen, den Tod als eine Erlösung herbeisehnend.

Man sollte glauben, daß ein so schreckliches Ereignis; eine neue, verdoppelte Aufmerksamkeit im Betriebe der übrigen Linien zur Folge haben müsse. Bewahre! Gestern, Montag 2. September, kommt ein Zug von Kew-Garden, welcher in einer Geschwindigkeit von 20 engl. Meilen in der Stunde dahinfliegt, und bringt Spaziergänger, heitere, vergnügte Gesellschaft, die sich die Schönheiten der Gärten in Kew angesehen und sich an dem herrlichen Spätsommertage ergötzt hat, auf der nördlichen Verbindungsbahn nach den nördlichen und nordöstlichen Stadttheilen Londons zurück. Nahe bei der Station Hampstead – so zu sagen im Weichbilde Londons – beschreibt die Bahn eine bedeutende Curve. Plötzlich erblickt der Maschinist einen Güterwagen mitten auf der Bahn vor sich. Er hemmt … Zu spät! Die Locomotive rennt gegen den kolossalen, schweren Wagen an, steigt, kommt aus den Schienen und stürzt den 20 Fuß hohen Eisenbahdamm hinunter, vier Wagen hinter sich herreißend, von denen der letzte auf halbem Wege sich dermaßen in die Böschung hineinarbeitet. daß er fast

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_607.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)