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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

gellenden Ruf vernehmen; zur Rechten dehnt sich eine fruchtbare Ebene, einst das inselreiche Bett des breit dahinfließenden Rheinstromes, auf dem des Römers Ruderflotte herrschte, in dessen Moorgebieten das Mittelalter seine Tiefburgen und Weiherhäuser baute, – und in nebeliger Ferne, vor dem blauen Hintergründe der Vogesen ragt der Dom Erwin’s, ein einsam stehender Riese, zum Himmel. Zur Linken öffnet sich das breite Renchthal. Wir sind in Appenweier, der Hauptzug eilt weiter dem badischen Oberlande zu, eine Seitenbahn fährt rechts ab nach Kehl und Straßburg. Wir verlassen hier den Schienenweg. Lachender Sonnenschein lagert sich über Feld und Wald, ein frischer Herbstwind bringt uns aus dem Thale den trauten Gruß der Berge. In einer Breite von einer Stunde öffnet sich vor uns das Thal; zur Linken, an der fernen Hügelkette, glänzt zwischen wechselnden Rebgeländen, Wäldern und Matten Giebel an Giebel; auf dem trümmerbedeckten Vorhügel stand ehemals, wie eine Vorwache des Thales, Schloß Ulmburg. Zur Rechten, über rebenbedeckte, fruchtbare Vorhügel und lichtgrünen Buchenwald herüber, grüßen die Zinnen von Staufenberg, und über demselben, im Hintergründe erhebt sich die dunkle, waldbedeckte Kuppe des Stollenwaldes, auf dessen Höhe einst schon der Römer seine weithin herrschende Zwingburg errichtet und kleine Rittergeschlechter des Mittelalters, Staufenbergische Gauerben, gesessen hatten.

Als 1683 von dem kaiserlichen Hoflager in Ungarn aus der Türkensieger, Markgraf Ludwig von Baden, mit unserm Staufenberg und der ganzen Herrschaft Oberkirch belehnt worden, wurde dies die Veranlassung schwerer Drangsale für das Schloß und sein Gebiet, denn 1689 fiel es in plündernde Feindeshand, und die Durbacher Bauern konnten nur unter blutigen Opfern den beutegierigen Feind aus ihren Bergen jagen. Im Jahre 1693 wütheten neue Kämpfe zwischen den welschen Mordbrennern und den Oesterreichern rings in unsern Bergen und Thälern, und der übel berüchtigte Führer des schlimmen Feinden, General Melac, beehrte Staufenberg mit einem Besuche, um es zur Feste wiederherzustellen. Aber dies kam nicht zur Ausführung.

An den sonnigen Bergen und Hügelzügen zu Füßen des Schlosses bis hinab zu dem Dorfe Durbach im Thale wächst der süße, feurige Durbacher Wein, unter den Mauern desselben, in sonnenhellem, lustigem Bezirk, der edle würzige Klingelberger, den im Jahre 1770 der österreichische Feldzeugmeister von Ried, der damalige Inhaber des Schlosses, zuerst hierher verpflanzte, späten Enkelgeschlechtern zu süßer, wonnespendender Labung.

Durch den Großherzog Leopold wurde Schloß und Gut Staufenberg dem Fiscus abgekauft, und ist jetzt noch in den Händen seiner Nachkommen. Um die finstern Höhen des Stollenwaldes, auf denen, über den Grundmauern des alten Römerbaues, die weiten Trümmer eines mittelalterlichen Herrensitzen, des sogenannten „versunkenen Schlosses“, umhergestreut liegen, schweben noch heute die Geister der Sage, und nur mit Bangen geht zur nächtlichen Stunde der Wanderer an dem überwachsenen Gemäuer vorüber, auf dem die „Waldfrau“ noch jetzt ihr Lieblingsplätzchen hat. Dort war’s, wo einst Sobald, des Amtmanns Sohn von Staufenberg, im Waldbusch die schöne Melusine, die Himmel-Stollen-Tochter, erblickte und ihr gelobte, sie in dreien Tagen nach einander mit einem Kuß auf Mund und Wangen zu erlösen, wogegen sie ihm einen reichen Brautschatz, nebst sich selber zum Weibe versprach. Am ersten und zweiten Tage that der Jüngling, wie ihm geboten, obwohl die Waldfrau bereits Flügel und Drachenschweif trug, aber zum dritten Male hatte das Angesicht der Schönen sich in einen Krötenkopf verwandelt. „Kannst Du Dein Antlitz nicht entblößen, so kann ich Dich nicht küssen,“ sprach der bebende Sebald und eilte, vom Schrecken gejagt, den Berg hinab, während unter lautem Schrei Melusine ihre Arme nach dem Fliehenden ausstreckte. Mehrere Jahre nachher saß Sebald in fröhlicher Tafelrunde neben seiner angetrauten Braut, da fiel von der leise gespaltenen Decke herab ein Tropfen auf seinen Teller in seine Speise; ohne es zu wissen, aß er davon und sank augenblicklich todt zur Erde.

Drunten auf dem Staufenberg aber gebot in alten Zeiten Ritter Peter, ein männlicher Held. Heimkehrend von edlen Thaten, findet er neben dem Burgweg eine wunderliebliche Jungfrau sitzend. Die Flamme der Liebe loderte jählings in seinem Herzen.

Ich bin Deine, ewig Dein,
Doch mußt Du auch der Meine sein!

erwiderte die Jungfrau seinem werbenden Worte, und der Bund der Liebe mit der Waldfei war geschlossen.

Unangefochten wirst Du nicht bleiben.
Man wird Dich treiben, Dich zu weiben.
Wo Du es thust, red’ ich ohn’ Zagen.
So bist Du todt in dreien Tagen,

so hatte die Schöne drohend hinzugesetzt, und er hatte ihr freudig Treue geschworen. Allnächtlich kehrte nun zu süßer Minne das schöne Traumbild bei ihm ein, und wenn er erwachte, so erschien ihm Alles wie ein seliger Traum. Da zog Herr Peter fort zur Kaiserkrönung und vergaß dort seines Gelübdes auf der heimischen Burg und freite eine Verwandte des Königs zum Weibe.

Und als zur festlichen Hochzeit die Gäste in der Runde saßen, der Ritter kosend neben der strahlenden Braut, da spaltete sich über ihnen des Saales Decke, und, wie sie vorausgesagt, zeigte die Meerfei durch die Oeffnung den wunderlieblichen Fuß bis an das Knie, und der Ritter fühlte, daß sein Urtheil gesprochen. Der Hochzeitjubel verhallte, die Gäste eilten in banger Sorge von dannen, in drei Tagen war Peter von Staufenberg eine Leiche. So die Sage.

Doch wir eilen weiter im Renchthale vorwärts. Fruchtbares Ackergelände, herbstlich geröthete Rebhügel, liebliche Waldschluchten mit einsamen Hütten, dunkler Tannenbusch, wechselnd mit lichtem Birkenschlag zur Rechten, breite, reichbewässerte Wiesengründe zur Linken, erreichen wir das in einem Walde von Obstbäumen liegende Dorf Nußbach.

Das Dorf sieht gar freundlich und wohlhäbig drein mit seinen großen, stattlichen Bauernhöfen, seinen freundlichen Häusern an der breiten Straße, mit dem schönen Pfarrhof zwischen blühenden Gärten, an dessen Vorderseite eine Steinschrift bekundet, daß der Abt von Allerheiligen des Hauses Gründer gewesen. Trotz dem neuen Aussehen ist aber Nußbach schon ein alter Ort, vielleicht das älteste Dorf des Thales, denn als Uta von Schauenburg 1196 das Kloster Allerheiligen gründete, vergabte sie demselben auch die hiesige Kirche.

Die Aepfel-, Birn- und Nußbäume, bisher unsere steten Begleiter am Wege hin, machen dem weniger empfindlichen Kirschbaume Platz, ein Zeichen, daß wir uns der Heimath des besten Kirschwassers nähern, von dem mancher Hofbauer seine 1200 Maß im Keller hat. Der Vogelbeerbaum wiegt im Herbstwinde seine rothbehangenen Zweige; Elster, Rabe, Häher, die beweglichen, unruhigen, schreienden Gäste des Herbstes, hüpfen um uns her, jetzt führt der Weg hart um den Vorsprung eines waldigen Hügels zur Rechten, und wie mit einem Zauberschlage liegt das liebliche, großartig eingerahmte Oberkircher Thal vor uns ausgebreitet.

Wir rasten eine kurze Weile auf dem Steindamm am Rande der Straße, in dem zauberischen Anblick versunken, der sich vor uns ausbreitet, aber nicht lange, denn es treibt uns vorwärts, mitten in die reiche Gebirgsherrlichkeit hinein, die uns in buntem, wechselvollem Rundgemälde umgiebt. In wenigen Minuten stehen wir mitten in dem Thale. Nahe vor uns liegt die von modernem Sprengwerk getragene Brücke über die rauschende Rench; überall ziehen sich lebendige Wasser und glitzernde Rinnsale durch die dunkelgrünen Wiesen; zur Linken treten die steilen Rebgehänge näher heran, zur Rechten erheben sich die Waldgebirge über Fürsteneck hinauf bis zu der weit über 2000 Fuß emporragenden langen Kupp: des Mooswaldes, der Scheide des Rench- und vordern Kinzigthales; im Hintergründe umsäumen, immer höher und wilder emporsteigend, die gewaltigen Berge des obern Renchthals bis gegen den Kniebis hin, aus dessen Wurzeln jene perlenden Quellen hervorsprudeln, aus denen schon so mancher Leidende und dem Tode Verfallene den lindernden und rettenden Trank geschöpft; vor uns, von eilenden Wassern getrieben und gefördert, klappern, stampfen, ächzen die Mühlen, rauchen die Schornsteine, rühren sich Hunderte geschäftiger Arme, und dort stehen in behaglicher Ruhe die altersgrauen Giebel und Thürme des Städtchens Oberkirch. Wahrlich, selten wirst Du ein Plätzchen finden, an dem so viel liebliche und großartige, so viel anmuthig milde und wilde Natur, so viel idyllisch ländliches, so viel reges, rastlos geschäftiges Menschenleben, so viel Gegenwart und so viel Vergangenheit im engen Rahmen eines kleinen Bildes sich vereinigt.

Blicken wir von der Brücke an der linken Thalwand gerade, fast senkrecht empor, so sehen wir auf steilem Felsenvorsprung die noch in ihrer Zertrümmerung stolz herabschauenden Mauern der Schauenburg, einst ein zähringisch Erbgut, und drüben auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_606.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)