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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

die im nördlichen Afrika lebenden spanischen Colonisten „Bellombra“ (schöner Schatten) nennen, und unter dessen Zweigen hölzerne Bänke mit Rücklehnen standen, während am Stamme des Baumes selbst ringsherum Klapptische befestigt waren. Die Pfeifen wurden auf’s Neue gestopft, und Herr Wöhler begann folgendermaßen seine Erzählung :

„Es ist zwar eigentlich eine traurige Erinnerung für mich, die Zeiten und Begebenheiten wieder durch die Erzählung aufzufrischen, welche meiner Uebersiedelung nach Afrika unmittelbar vorangingen, doch kann ich nicht umhin es zu thun, da deren Mittheilung zum Verständniß nothwendig ist. Ich besaß in S ......, einem großen und reichen Dorfe nahe der preußisch-hannöverischen Grenze ein schönes und sehr einträgliches Bauerngut, welches in meiner Familie seit Jahrhunderten vom Vater auf den Sohn fortgeerbt war. Theils Familien-Differenzen, theils das für mich ungeachtet meines guten Rechtes ungünstige Resultat eines Processes, der zehn lange Jahre gedauert und ein beträchtliches Theil meiner Ersparnisse aufgezehrt hatte, trugen mehr und mehr dazu bei, mir den Aufenthalt in der Heimath zu verleiden. Ich entschloß mich rasch, den lockenden Versprechungen der französischen Regierung zu folgen, verkaufte mein ganzes Eigenthum und zog mit meiner Frau, zwei Söhnen und drei Töchtern nach Marseille aus, um mich dort nach Algier einzuschiffen. In Marseille brachte ich meine Colonisations-Angelegenheiten in Ordnung und trat von dem Augenblicke an, wo ich die betreffenden Papiere in den Händen hatte, in Verpflegung der französischen Regierung, das heißt so viel als: Ueberfahrt nach Afrika, Beköstigung während derselben, Ein- und Ausschiffung meiner gesammten Effecten bis zu meinem Bestimmungsorte geschah auf Kosten des französischen Kriegsministeriums, in dessen Händen damals wie jetzt (1853) die gesammten Afrika betreffenden Angelegenheiten ruheten.

Bevor ich mich mit den Meinigen an Bord des Schiffes begab, das uns nach der neuen Heimath bringen sollte, versah ich mich in Marseille noch mit Waffen und Munition reichlich und kaufte alle diejenigen Gegenstände ein, welche wir für den Anfang meines Colonistenlebens, über dessen Schattenseiten ich mir keineswegs Illusionen machte, unentbehrlich erschienen. So ausgerüstet betraten wir am 20. August 1837 das Schiff, auf dem wir denn endlich am nächsten Tage den Hafen von Marseille verließen und dem Süden zusteuerten. Unsere Ueberfahrt, die neun Tage dauerte (heute macht man sie in kaum 3 Tagen), und mit deren Beschreibung ich Sie nicht aufhalten will, lief ziemlich gut ab und am 30. August Abends 5 Uhr traten wir in Algier an’s Land und wurden mit Sack und Pack in ein casernenartiges Gebäude untergebracht, welches man die „Karawanserai des Dey“ nannte und das auf einer Anhöhe in der Nähe der Stadt sich befand. Meine ersten bittern Erfahrungen machte ich hier. Das Land, welches mir die Regierung (allerdings zu einem sehr mäßigen Preise) verkauft, doch nicht, wie die Berichte in den Zeitungen angekündigt, unentgeltlich überwiesen hatte, war 2 Stunden südöstlich von Algier belegen. Dasselbe war durch ein starkes Fort, „La Maison Carrée“ (das Häuserquadrat) genannt, gedeckt, in welchem eine ansehnliche Besatzung sich befand. Um jedoch dahin zu gelangen, mußten wir die Prolongen[1] abwarten, indem es damals um Algier herum noch nicht so sicher wie jetzt und die große Kabylie nicht allzu entfernt von meinen Ländereien war. So kam es, daß ich mit meiner Familie 5 Tage in der „Karawanserai des Dey“ zubringen mußte. Außer uns mochten hier wohl noch zehn oder zwölf andere Familien oder Gesellschaften von Reisenden aller Art und Nationen den Abgang der Prolongen erwarten, und es war in Folge dessen der eben nicht kleine innere Raum des nur ein Erdgeschoß haltenden Gebäudes vollständig besetzt. Dasselbe bildete ein regelmäßiges Viereck, dessen vier zusammenhängende Flügel einen mäßig großen Hofraum umschlossen, in welchem Hunde, Last- und Zugthiere, Rindvieh, Schafe, Ziegen u. dergl. ebenfalls auf die Abreise ihrer respectiven Eigenthümer warteten.

Endlich am 4. September Abends wurde uns eröffnet, daß wir uns bereit halten sollten, um 3 Uhr in der Nacht uns den vorbeipassirenden Prolongen anzuschließen. Ich hatte gerade am Tage zuvor mich auf dem Markte mit dem für meine erste Niederlassung nöthigen Last- und Zugvieh versehen, einige Vorräthe an Lebensmitteln, Mehl, Wein u. s. w. eingekauft und zwei mir sehr empfohlene Leute in meinen Dienst genommen, welche, kurz zuvor erst mit sehr guten Attesten entlassen, für mich den Vortheil hatten, das Land und seine Bewohner genau zu kennen; der Eine war ein Deutscher, der Andere ein Belgier, und Beiden war außerdem die französische Sprache vollkommen geläufig. – Um 2 Uhr früh, in der Nacht zum 5. September 1837, standen wir vollständig ausgerüstet und bewaffnet im innern Hofraum neben unsern Thieren und erwarteten das Eintreffen unserer Escorte. Meine bewegliche Habe befand sich auf den Rücken von acht Maulthieren, vier andere trugen mich und meine drei Diener, während meine Frau mit den Kindern auf einem der vier von mir angekauften, zur Landwirthschaft bestimmten, zweiräderigen Karren Platz genommen hatte. Meine Vorräthe an Lebensmitteln, Saat- und Mahlkorn u. s. w. befanden sich auf den übrigen drei von je zwei starken Ochsen gezogenen Karren. Kurz vor 3 Uhr kündigte uns Hufschlag, Waffengerassel und das Knarren der Fuhrwerke die Ankunft der Prolongen an, welche, von einer starken Escorte umgeben, sich uns näherten. Wir schlossen uns denselben an, sowie auch die übrigen Bewohner der Karawanserai, welche nach derselben Richtung abreisen wollten.

Ohne irgend einen Unfall waren wir gegen 10 Uhr Vormittags am Orte unserer Bestimmung angelangt. Ein Vermessungsbeamter der Regierung überwies mir die von mir angekauften Ländereien. Dieselben bestanden in größtentheils uncultivirtem Boden, der zum Theil mit niedrigem Buschwerk oder Zwergpalmen, zum Theil mit hohem, wohlriechendem Grase, hier Alfa genannt, bewachsen war. Ein aus dem Innern kommendes kleines Flüßchen durchschnitt dieselben der Länge nach, und die Heerstraße lief an deren südlicher Breitenausdehnung hin. Gegen Norden zog sich meine Besitzung bis an das Meer. Obgleich ich sah, daß nur durch ungeheure Anstrengungen die Urbarmachung dieses Bodens zu erlangen sein würde, war ich dennoch mit demselben nicht unzufrieden, indem einestheils die Nähe der Stadt Algier mir schnellen, leichten und vortheilhaften Absatz meiner Producte sicherte und anderntheils ich sowohl durch eigene Wahrnehmung, als durch die Versicherung meiner beiden neuen, des Landes kundigen Diener die Gewißheit erlangt hatte, daß der Boden ein sehr fetter und culturfähiger sei.

Ich überspringe einen Zeitraum von drei und einem halben Jahre und sage Ihnen aus dieser Zeit nur so viel, daß ich nach unermüdlicher Arbeit und Ausdauer endlich so weit gelangt war, mein Land vollkommen cultivirt und ertragsfähig gemacht zu haben. Schon mancher Liebhaber hatte sich gefunden, dem die schöne, so nahe der Hauptstadt liegende Besitzung gefiel, und mehr denn einmal hätte ich sie mit bedeutendem Vortheil verkaufen können. Bis jetzt jedoch, – es war im Frühjahr 1841, – hatte ich trotz der großen Unannehmlichkeiten, welche mit den errungenen Vortheilen Hand in Hand gingen, mich noch nicht zu einer Veräußerung entschließen können. Die Zelte waren durch ein ziemlich geräumiges, aus Fachwerk erbautes Wohnhaus ersetzt, und mein schon recht ansehnlicher Viehstand unter langen Schuppen gegen die Unbilden der Witterung geschützt. Eine massive, hohe, von einem tiefen, mit dem Flüßchen in Verbindung gesetzten Graben umgebene Mauer umschloß meine Niederlassung, in der sich außer mir, meiner Familie und meinen Dienern noch 10 Mann Besatzung befanden. Die Militair-Behörden gaben damals den Colonisten diese Hülfe aus doppelten Gründen: einmal um sie gegen die unausgesetzten Angriffe der Araber und Kabylen möglichst zu schützen, und dann um die Truppen zu beschäftigen und ihnen Gelegenheit zum Verdienst zu geben, da die Soldaten gegen eine mäßige Bezahlung dem Colonisten in allen seinen Arbeiten an die Hand gingen. Seit längerer Zeit war meine Niederlassung in keiner Weise durch Angriffe der Eingeborenen beunruhigt worden; Alles ging seinen ruhigen, geregelten Gang, und es war selbst die Rede davon gewesen, die unter so bewandten Umständen entbehrliche Schutzmannschaft in ihre Garnison zurückzuziehen.

Am Abend des 7. April 1841 hatte ich von Algier aus die Nachricht erhalten, daß acht Tage später das bei mir stationirte Commando eingezogen werden würde. Ich hatte beim Eintritt der Dunkelheit wie gewöhnlich das große Einfahrtsthor, die einzige Oeffnung der Ringmauer, fest geschlossen, doch unterlassen, die Zugbrücke, welche es mit dem gegenüberliegenden Rande des Grabens verband, aufzuziehen. Diese Vorsichtsmaßregel hatte ich schon seit mehreren Monaten außer Augen gesetzt. Nach dem gemeinschaftlichen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_604.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2024)
  1. Siehe die Skizze: „Eine europäische Dame unter den Kabylen“ in Nr. 49 der Gartenlaube, Jahrg. 1860.