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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

ich mich auf den Weg, um die Umgebungen des Lagers ein wenig in Augenschein zu nehmen und mir vor dem Abendessen in Begleitung einiger Cameraden noch etwas Bewegung zu machen.

Es war gegen 4 Uhr Nachmittags (in der vorhergehenden Nacht um 12 Uhr waren wir von Saint-Denis aufgebrochen); die Sonnenstrahlen verursachten jetzt eine weniger unangenehme Wärme, die Atmosphäre war abgekühlter und reiner. Unser Lager befand sich auf der südlichen, gänzlich uncultivirten Seite des Colonistendorfes, dessen Bevölkerung zu zwei Drittheilen aus Deutschen, der Rest aus Spaniern und Franzosen besteht. Tlelat liegt auf halbem Wege zwischen Oran und Sidi-bel-Abbès und auch zwischen Oran und Maskara. Die von Oran kommende Straße theilt sich am südlichen Ausgange des Ortes, um rechts, in südwestlicher Richtung, nach Sibi-bel-Abbès und links, in beinahe östlicher Richtung, nach Makara zu führen. Diese verschiedenen, sehr gut construirten und erhaltenen Straßen durchschneiden rings um Tlelat herum eine weite Ebene, die nur erst im fernen Südwesten durch mehr und mehr ansteigende Bergrücken begrenzt ist. Diese Hochebene, denn eine solche ist sie, da sie nur erst in unmittelbarer Nähe der Meeresküste einen plötzlichen, schroffen Abfall von circa 500 Fuß gegen dieselbe hat, ist, so weit das Auge reicht, mit üppigen Weizenfeldern bedeckt, und nur hin und wieder, wie z. B. da, wo die Straße sich am südlichen Ausgange von Tlelat theilt, findet man in geringer Ausdehnung sumpfige Strecken. Die Fruchtbarkeit oder, besser gesagt, der heutige Culturzustand dieser Ebene ist das Werk deutscher Colonisten, welche vorzugsweise aus dem Elsaß, aus Baden und Thüringen ausgewandert sind und – nachdem sie lange Jahre unter Gefahren, Entbehrungen und der mühseligsten Arbeit hier gelebt – nun endlich anfangen den Segen ihres Fleißes und ihrer nicht ermüdenden Thätigkeit zu ernten. Einer der hervorragendsten dieser Colonisten ist Christian Wöhler, und ich will in Folgendem wiedergeben, was er mir über sein Leben in Afrika mitgetheilt, nachdem ich den Leser zuvor bei ihm eingeführt habe.

Nachdem am nächsten Tage meine dienstlichen Obliegenheiten beendet, machte ich mich unter Leitung meines Fritz auf den Weg, um den versprochenen Besuch abzustatten. Beim Eintritt in das Dorf, welches nur aus zwei langen Reihen von Gebäuden auf beiden Seiten der Heerstraße besteht, fiel mir unter andern ein durch seine Größe und Ausdehnung alle übrigen überragendes Haus auf, welches, ziemlich in der Mitte der Colonie belegen, noch besonders durch sein gefälliges Aeußere einnahm. Dasselbe hatte, wie alle Baulichkeiten in diesem Lande, nur eine Etage über dem Parterre, war jedoch in größeren Höhen-, Tiefen- und Längen- Dimensionen, als die es umgebenden Häuser gebaut und von weitläufigen Wirtschaftsgebäuden umgeben. Die Hauptfacade des Wohnhauses, welches der Heerstraße zugekehrt und von dieser durch einen ziemlich breiten Graben und ein hohes, vor demselben gezogenes Eisengitter getrennt war, zeigte eine Front von 10 Fenstern in der obern Etage und 8 im Erdgeschoß ; sämmtliche Fenster waren mit grünen Jalousieen verschlossen, um die brennenden Sonnenstrahlen vom Innern zurückzuhalten.

„Das ist Christian Wöhler’s Wohnung,“ sagte Fritz. „Vor drei Jahren hat er sich dieses schöne Haus gebaut.“

Ich wollte schon auf die große Eingangsthür zugehen, als mein Führer mir mittheilte, daß der gegenwärtige Zutritt zum Innern von der Hintern Seite aus stattfinde. Wir umgingen demnach das Haus und befanden uns bald einem weitgeöffneten Thorweg gegenüber, welcher, zwischen zwei Stallgebäuden angebracht, in einen sehr großen und geräumigen Wirthschaftshof führte. In diesem sprangen mehrere zahme Schakals und Gazellen lustig zwischen Federvieh aller Art umher, ein Strauß durchmaß mit gravitätischem Schritt den weiten Hof, und zwei Prachtexemplare echter Neufundländer hatten sich behäbig im Schatten eines großen Nußbaums ausgestreckt, der den Mittelpunkt des Hofes bildete. Verschiedene geöffnete Stallthüren ließen den reichen Viehstand des Besitzers sehen, und die zahlreichen Wagen und landwirthschaftlichen Geräthe auf die Ausdehnung seines Eigenthums schließen. Wir schritten der Hinteren Eingangsthür des Wohnhauses zu und wurden an derselben vom Familienvater, der unsern Eintritt in den Hof wahrgenommen, empfangen und herzlich begrüßt.

Christian Wöhler war ein Mann von etwa 52 Jahren, eine athletische Gestalt. Sein lebhaftes blaues Auge, das durch die afrikanische Sonne gebräunte, von einem vollen, dunkelblonden Barte eingefaßte Gesicht, in dem herzliche Gutmüthigkeit mit männlicher Festigkeit sich aussprach, sowie der kräftige deutsche Händedruck und das aufrichtige „Willkommen“, das er uns zurief, nahmen mich sofort für den Colonisten ein. Er führte mich in das große, zu ebener Erde gelegene Wohnzimmer, in welchem der Mittagstisch bereits gedeckt stand.

„Wir haben,“ sagte unser Wirth, „noch ein Stündchen Zeit bis zum Essen, und da, denke ich, vertreiben wir uns die Zeit mit einer Pfeife Tabak und einem Glase Rheinwein. Habe Beides direct aus Deutschland bekommen und zwar ganz kürzlich erst, durch einen Bremer Schiffscapitain, der in Oran vor Anker lag und mir unter andern meine kleine Nichte aus Braunschweig mitgebracht hat. Sie werden sie sehen, ein munteres Ding, wild und toll wie ein Junge. Wird nicht ermangeln, Ihnen Neuigkeiten aus der Heimath mitzutheilen. Doch nun lassen Sie uns ein Glas auf's Wohl des lieben Vaterlandes trinken, Herr Lieutenant; um so besser wird dann nachher das deutsche Mittagsbrod schmecken, bei dessen Zubereitung meine Frau schon seit frühem Morgen thätig ist. Ja, die deutsche Hausfrau läßt sich’s nicht nehmen, selbst in der Wüste muß Alles in hergebrachter Ordnung gehen. Na, sie versteht das Küchendepartement, und wenn man, so wie die Herren Officiere hier in Afrika, elf Monate im Jahre mit der Compagnieküche vorlieb nehmen muß, da wird sie wohl heute Lorbeern ernten.“

Unter diesen Mittheilungen hatte Herr Wöhler eine Grüngesiegelte entstöpselt und drei Gläser gefüllt. Wir stießen an, tranken den goldenen Rheinwein auf das Wohl der Muttererde und nahmen dann die langen Pfeifen zur Hand, um den aus Deutschland gekommenen Knaster zu probiren. Inzwischen hatte sich die Gesellschaft vergrößert: zwei Söhne des Hauses und ein junges Mädchen von 17 Jahren erschienen nach einander und wurden durch den Alten mit mir bekannt gemacht. Fritz, mein Bursche, schien Freund von altem Datum mit dem älteren der beiden jungen Leute zu sein, und ich erfuhr denn auch, daß die Familie Wöhler und mein Fritz aus einem Orte, einem großen Dorfe an der preußisch-hannöverischen Grenze, seien. Das junge Mädchen war die jüngste Tochter des Hauses, zwei ältere hatten sich bereits in der neuen Heimath vortheilhaft verheirathet. Endlich ließ sich auch von außen die Stimme der Hausfrau vernehmen, rufend, Befehle ertheilend; und endlich hielt sie ihren feierlichen Einzug in’s gemeinschaftliche Wohnzimmer, eine mächtige Suppenterrine tragend. Nachdem sie diese vor ihrem Platze auf der gedeckten Tafel niedergesetzt, trat sie zu mir, bot mir die Hand und hieß den „Landsmann“ in mir herzlich willkommen. Ihre Erscheinung war die einer echten deutschen Hausfrau aus dem wohlhabenden Bauernstande, ihr Alter ungefähr 45 Jahr. Ihr auf dem Fuße folgte die oben erwähnte, kürzlich angekommene Nichte, welche singend und springend die Begrüßungsceremonien abmachte, kaum 14 Sommer zählte und muthwillig und neckisch die langen blonden Locken um das frische, blühende Gesichtchen herumwarf.

Auf eine Aufforderung der Hausfrau setzte sich die Gesellschaft zu Tische, vermehrt noch durch drei Mägde und zwei Knechte, sämmtlich Deutsche. Obgleich alle Gerichte nur der Kategorie der sogenannten Hausmannskost angehörten, hätte ich sie doch nicht für ein Diner bei Béry und Béfour gegeben, so schwelgte ich bei den kräftig zubereiteten und schmackhaften Speisen in den Erinnerungen an die Heimath. Unter Tische kramte denn auch Elise, so hieß die Nichte, Nachrichten der Heimath aus und erheiterte zu verschiedenen Malen die Tafelrunde durch ihren Mutterwitz und die Art und Weise, wie sie ihre Reise von Bremen bis Oran beschrieb. Endlich erhoben wir uns von Tische und gingen – da die Sonne nicht mehr zu heiß brannte – in den hinter den Wirtschaftsgebäuden gelegenen Garten, um hier den Kaffee zu nehmen. Ich hatte bisher noch nicht gewagt, unsern freundlichen Wirth zum Erzählen seiner hier erlebten Abenteuer zu bewegen; jetzt jedoch benutzte ich die Gelegenheit, ihn auf das Thema zu bringen, indem er von den Schwierigkeiten sprach, welche ihm die Anlage seines Gartens bereitet habe.

„Sind Sie schon lange Zeit in Algerien?“ fragte ich.

„Seit 1837,“ entgegnen er; „bald sind es 16 Jahre. Ich vermisse recht sehr die theure Heimath, und doch ..... Kommen Sie, Herr Lieutenant, wir wollen uns hier im Schatten auf die Bank setzen, und bis man uns den Kaffee bringt, werde ich Ihnen ein wenig aus den ersten Jahren meines Colonistenlebens erzählen.“

Wir setzten uns unter einem breitästigen Baume nieder, den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_603.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)