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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

des Nordens für die liebevolle Aufnahme darbrachten. Nachher sprach ein Schweizer kräftige Worte für die Freundschaft zwischen Deutschland und der Schweiz, und hieran knüpften sich wieder einige Einzelvorträge. Der Bürgermeister Seiler trat alsdann mit der Meldung auf, daß der Richterspruch sämmtlicher Vereinsvorstände den von Bern als Preis gesandten Pokal den Wiener Sängern zuerkenne, daß aber, wäre noch ein zweiter Preis zu vergeben gewesen, diesen entschieden die Innsbrucker würden erhalten haben. Die Versammlung gab durch donnernden Beifall die Uebereinstimmung mit dem ausgesprochenen Urtheile zu erkennen. Eine dumpfe Stille lagerte sich aber bald über Alle, als Bürgermeister Seiler im Namen des Ausschusses und der Stadt den Sängern das Lebewohl darbrachte. Er wußte jedoch die trübe Stimmung bald zu besiegen, als er von der Bedeutung des Festes sprach:

„Unser Fest ist in der Geschichte Deutschlands ein Ereigniß. Hier im Herzen Deutschlands, in der alten Noris, da hat deutsches Herz deutschem Herzen sich erschlossen, und die Macht des deutschen Liedes war es, die solches ermöglichte.“

Und hierauf brachte der Redner dem ganzen großen Deutschland ein Hoch! Es war das letzte Hoch, was in der Festhalle angestimmt wurde, aber gewiß auch das begeistertste, und es schien, als sollte das Hüteschwenken und Rufen kein Ende finden. Aber das Schicksal blieb unerbittlich – es mußte geschieden sein. Als allgemeines Schlußlied war Mendelssohns „Abschied vom Walde“ erwählt, und bei dem darin vorkommenden „Lebewohl“ war wohl kein Sänger, der nicht ein Beben der Wehmuth im Tone und im Auge gefühlt hätte. Bewegt und schweigend drückten wir uns noch die Hände; die Stimme versagte den Meisten unter uns die Worte des Abschieds, und so mußte der herzliche Händedruck sie ersetzen. Noch einen letzten Blick warf ich zurück in die zauberische Festhalle, aber sie erschien mir jetzt trotz aller Gasflammen düster und traurig, denn die Freunde und Genossen schieden ja aus ihr.

Schweigsam und in Gedanken versunken wanderten wir der alten, lieben Stadt zu, die wir ja morgen auch verlassen sollten. Wie lebendig traten noch einmal gerade jetzt, wo es zum Scheiden ging, alle die glänzenden Bilder der froh durchlebten Tage vor meine Augen! Mit welcher Freude gedachte ich des Beisammenseins mit den biedern, fröhlichen Sängern aus den verschiedenen österreichischen Hochlanden! Diese treuherzigen Männer waren rasch die Lieblinge Aller geworden, und wurde bekannt, daß eine oder die andere ihrer Corporationen sich zu einer bestimmten Stunde an irgend einem der öffentlichen Vergnügungsorte versammeln wollte, da fanden sich gewiß Hunderte der übrigen Sänger mit ein, die nicht müde werden konnten, sich an den herrlichen Leistungen der Bergessöhne zu erfreuen. Dann wurden oft diese lieben Sänger so lange gebeten und gequält, bis sie einige ihrer in der von ihnen vorgetragenen Weise ganz unbeschreiblich lieblichen Alpenlieder zum Besten gaben. Und hatten sie uns einmal durch ein schwermüthiges Lied selbst traurig gestimmt, dann erschallte plötzlich wieder so ein unnachahmlicher Bergjauchzer, und damit waren sie wieder mitten in ihrer unverwüstlichen Fröhlichkeit, die Alles mit sich fortriß. – Welche herrliche Erinnerung gewährte mir der Nachmittag, wo die Wiener und Münchner Sänger in den alten Kreuzgängen des germanischen Museums gemeinschaftlich und fürwahr in höchster Vollendung ihre Lieder ertönen ließen! – Wie heiter waren wieder die Bilder, wenn bei der mächtigen Tafelrunde die abenteuerlichen Humpen kreisten, wie z. B. der riesenhafte kleine Finger der Bavaria, den die Münchener, oder das Schweppermannsei, das die Augsburger mit sich führten!

Wie viel Märlein erzählte man sich nicht von dem geheimnißvollen Sänger, der Nachts bald dort, bald hier auf den Straßen angetroffen worden war, wie er mit seelenvoller schöner Stimme Lieder zur Guitarre gesungen. Ich stellte dem Fabelhaften lange nach, bis ich endlich erfuhr, daß er in später Nachtstunde schon mehrere Male vor demselben Hause in einer der ältesten Gassen Nürnbergs gehört worden sei. Ich ging mit einigen Freunden dorthin, und – richtig, da trafen wir ihn, wie er eben ein Lied von glühender Liebe in die mondhelle Nacht hinauf ertönen ließ. Als er geendet hatte, trat ich zu ihm heran und sagte, daß der Gegenstand, dem ein so feuriges Lied geweiht würde, gewiß das wunderlieblichste Mädchen in ganz Nürnberg sein müßte. Da aber lachte der Minnesänger hell auf und meinte, er sei blos Natur- und Architekturschwärmer, und wo er zum Beispiel ein so köstliches altes Haus sähe, wie just das dort vor uns, da stimme er gern die schönsten seiner Lieder an und seine Phantasie bevölkere alsdann die Söller, Fenster und Erker des Hauses mit jungen Edeldamen aus der Ritterzeit, denen sein Sang geweiht sei. – Hierauf wanderten wir mit einander fürbaß, und der Minnesänger, ein lieber, treuherziger Oesterreicher, erzählte uns noch viel von seinem abenteuerlichen Wanderleben, wobei er, gleichsam wie Bilder, seine Lieder einflocht, heitere und ernste, die er mit unvergleichlicher Seelenwärme vortrug. Die Nacht war bereits zu Ende, als wir uns trennten, und wir haben uns später noch öfter getroffen, wo sich Alles an seinen Gesängen erfreute.

Alle diese Erinnerungen wurden jetzt nur um so lebhafter, und doch waren sie gleichzeitig auch wieder mit Wehmuth gemischt, wenn man daran dachte, wie bald man sich von dem lieben Schauplatze aller der herrlichen Bilder trennen mußte. Als ich heute noch einmal die Stadt umwanderte, um von den wunderbaren alten Mauerthürmen und von den Thoren mit ihren so bezeichnenden Festsprüchen Abschied zu nehmen, da gewahrte ich drüben am Bahnhofe schon die Tafel, welche den Abschiedsgruß für die abziehenden Sänger in folgendem Verse enthielt:

Lebt wohl! Das ist das letzte Wort,
Wenn uns des Festes Freude schwindet.
Doch bleibt die Hoffnung unser Hort,
Daß uns ein Vaterland verbindet.
Wenn Alles flieht und Alles schwand,
Ein Vaterland – das deutsche Land!

Und als es nun am andern Morgen auch bei uns zur Trennung kam, da gab es wahrlich einen schweren Abschied, denn in den wenigen Tagen hatte man sich mit den lieben Nürnbergern so innig verlebt, als ob man schon seit Jahren zu einander gehört habe. Wie sie uns nun aber hinausgeleiteten zum Bahnhofe, wo die brausende Locomotive schon harrte, um uns wieder gen Norden zu führen, da wurde so manches Auge der Scheidenden feucht, und diese Thränen werden Euch, Ihr herzigen Nürnberger, gewiß deutlicher gesagt haben, als Worte es je vermochten, wie wohl und glücklich wir uns bei Euch, fühlten.

Mit innigem Danke sind wir von dem schönen Nürnberg geschieden und zugleich voll Bewunderung für diese Stadt, wo bürgerlicher Gemeinsinn so Großes und so Schönes zu schaffen gewußt hat.

Werfen wir nun einen kurzen Rückblick auf den Zweck und auf die Erfolge des Festes, so muß man vor Allem eingestehen, wie dasselbe die davon zum Voraus gehegten und hoch gespannten Erwartungen nicht blos erfüllt, sondern auch weit übertroffen hat. Die musikalische Bedeutung des Festes ist unbestritten eine sehr große, indem auf’s Neue dadurch dargelegt wird, wie keinem andern Volke die Befähigung und das Verständniß der Musik so eigen sei, als dem deutschen. Ein unschätzbarer Vorzug, den das Fest anstrebte und erreichte, ist jedoch die Vereinigung von Sängern aus allen deutschen Ländern zu einer wahrhaft erhebenden nationalen Feier. Nord und Süd sollten sich im Herzen Deutschlands einmal die Hand reichen und einander klar in’s Auge schauen, und so würde die brüderliche Zuneigung, die wir schon nach kurzem Beisammensein einander entgegentrugen, rasch zum lebendigen Bewußtsein, daß die Einheit Aller auch zugleich die Freiheit und das Glück Aller sei. Die Begeisterung jener Tage war zu edel, als daß sie nach kurzer Zeit spurlos verschwinden könnte wie ein Traum; sie hält sicher die Herzen noch warm, wenn auch düstere Tage der Noth erscheinen sollten.

Und Euch, Ihr lieben Sangesbrüder drunten im Süden, die Ihr den nordischen Genossen durch Euer biederes, herzinniges Wesen so rasch zu lieben Freunden wurdet, Euch reiche ich nochmals aus der Heimath im Geiste die Bruderhand. Wir haben treulich mit einander gesungen, und es hat einen herrlichen Einklang gegeben, als sich Nord und Süd so innig verband. Jedes Lied aber, was wir mit Euch vereint gesungen, soll uns zum Markstein deutscher Einheit werden. Wo wäre wohl einer der Festtheilnehmer, der hinfort unseres Arndt’s Vaterlandslied singen könnte, ohne dabei im Geiste all die lieben Nürnberger Genossen um sich zu sehen!

Das ganze Deutschland soll es sein! Und das ganze Deutschland muß es werden, sei es nun ersungen oder – errungen. Mein Lebewohl aber sage ich Euch mit dem herrlichen Passauer Festspruch:

„Lied wird That,
Früh oder spat!“

A. B.



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