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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

letzterem, auf der Burggasse, hatte Kaiser Maximilian I. wiederholt gewohnt, da es ihm dort besser gefallen, als droben auf der mächtigen Burg. Ein großes Bild verherrlichte des Kaisers Eintritt in dies Haus. Am Rieter’schen Hause auf dem Herrenmarkte war auf einem gewaltigen Fries ein hier gehaltenes Turnier unter Kaiser Friedrich III. dargestellt, ein lebendiges Bild des damaligen Patricierlebens. Ein herrliches Leben muß hier geherscht haben zur Zeit jener Turniere. Die Patricier haben freilich viel von ihrer Macht und Bedeutung verloren, das aber haben die Bürger gewonnen, und ich denke – zum Heile der Welt und des Geistes.

Die kostbaren riesigen Bilder waren theils von einzelnen Nürnberger Künstlern, theils in der Kunstschule unter Leitung des Director Kreling entworfen und ausgeführt, und sie legten den Beweis dafür ab, daß Nürnbergs Kunst noch heute auf der altgewohnten hohen Stufe rüstig steht und schafft.

Die Sonne brannte gewaltig auf unsere Häupter, als wir einzeln oder in Gruppen am Nachmittag hinaus nach der Halle wanderten. Doch was kümmerte uns die Hitze? trugen wir doch große Erwartungen in der Brust; die Probe am Morgen hatte durch die Präcision, mit welcher auch die schwierigsten Tonstücke des Festprogramms vorgetragen wurden, alle Mitwirkenden und Hörer überrascht, deshalb durften wir wohl auch schon voll Vertrauen auf den Erfolg der Aufführung blicken.

Wie wunderbar strahlte uns aber jetzt im vollen Tageslichte die festliche Riesenhalle entgegen! Da drinnen erschien durch die transparenten Fenster Alles in zauberhaften, träumerischen Lichtern; man glaubte sich in der That in einen morgenländischen Feenpalast versetzt. Man konnte auf allen Mienen eine wohlthuende, freudige Erregung sehen, mit der die kommenden Dinge erwartet wurden. Der eigentlichen Aufführung ging eine kurze, aber würdige Feier voran: die Enthüllung der Festfahne, die als ein Denkmal bleibender Erinnerung an diese erhabenen Tage gestiftet worden war. Die hierauf bezügliche Festrede hielt in würdigster Weise der Vorstand des Festausschusses, Rechtsanwalt Dr. Lindner. Er feierte das Lied als Zeichen deutscher Einheit, aber er forderte auch auf zum männlichen Zusammenhalten in der That. Die sich enthüllende Fahne begrüßte er heute noch als ein Zeichen des Friedens, aber Alle forderte er auf, dieser Fahne auch für die Zeiten der Gefahr Treue zu geloben. Der Redner schloß hierauf mit den Worten:

„Zum großen Baue der deutschen Einigkeit sei dieses Fest
ein Stein, und deshalb stimmt Ihr Alle ein mit mir:
Ein ganzes Deutschland, ein einig Deutschland
lebe Hurrah Hoch!“

Einen ergreifenden Eindruck machte es, als die Schlußworte der Rede von allen den Tausenden von Sängern mit tiefbewegter Stimme nachgesprochen wurden, worauf erst der donnernde Zuruf der ganzen Versammlung erfolgte. Hierauf begrüßte der Bürgermeister von Wächter im Namen der Stadt herzlich die Sängergäste, und ein niederrheinischer Sänger dankte feurig dafür in Aller Namen. Daß der fern im Seebade weilende König von Baiern auch dort noch Nürnbergs und des Festes gedachte, bewies eine nach dem ersten Theile der Aufführung anlangende, vom Bürgermeister sofort vorgetragene Depesche, worin der treuen Stadt und ihren Gästen ein Gruß gesandt ward, der sofort die herzlichste Erwiderung auf telegraphischem Wege fand und zu einem freudigen Lebehoch auf den kunstsinnigen König als Beschützer dieses Festes Veranlassung gab.

Die Aufführung selbst übertraf in der That auch die kühnsten Erwartungen. Man hörte sofort, daß die Sänger daheim bereits fleißige Vorstudien gemacht hatten, und deshalb gewährte das Ganze auch einen in dieser Weise kaum für möglich gehaltenen Genuß. Der erste Theil des Concertes enthielt folgende Compositionen: Der 23. Psalm, von Jul. Otto; Festgesang, von A. Methfessel; All-Deutschland, von Fr. Abt, und An das Vaterland, von F. Hiller. Der zweite Theil brachte: Sturmesmythe, von Fr. Lachner; An die deutsche Tricolore, von Herzog Ernst zu Sachsen-Coburg; An die Deutschen, von Tschirch, und Des Sängers Herz, von G. Emmerling.

Sämmtliche Compositionen waren mit Instrumentalbegleitung, und die Direction hatte mit Ausnahme der beiden Tonschöpfungen vom Herzog Ernst und von A. Methfessel stets die Componisten übernommen, die auch immer mit verdientem Beifall empfangen wurden. Unendlich aber wurde bedauert, daß der hochherzige, kunstgeübte deutsche Fürst, dem alle Herzen hier mit Liebe entgegen schlugen, und der alte, fast erblindete Nestor des deutschen Männergesanges, Methfessel, nicht auch erschienen waren.

Den Preis des Tages errang nach dem allgemeinen Urtheile die herrliche Composition „Sturmesmythe“ von Fr. Lachner. Da war alles Gesuchte und Geschraubte vermieden, und das Erhaben- Natürliche erlangte den wohlverdienten Sieg. Das schöne Werk mußte auf allgemeines Verlangen und zum Danke aller wahren Kunstfreunde wiederholt werden; ebenso verlangte man auch das Lied des kunstliebenden Fürsten zur Wiederholung, und an dieselbe schloß sich ein begeistertes Hoch auf den fürstlichen deutschen Tondichter.

Der Totaleindruck dieser Aufführung war ein für alle Theile im höchsten Grade zufriedenstellender, und die deutsche Kunst konnte sich mit vollem Rechte eines neuen Sieges rühmen. Jetzt, nach beendigtem Concerte, zog Alles hinaus zur Erholung und Erfrischung unter den köstlichen Abendhimmel. Rings um die große Festhalle und in der ganzen Ausdehnung des Maxfeldes waren eine Menge Schankstätten unter dem Schutze prächtiger Bäume errichtet, dem Verschmachteten ein herrliches Asyl. Das Gewühl in den Etablissements, die wegen der Güte des dort verzapften Stoffes den meisten Zuspruch hatten, ist gar nicht zu beschreiben; um einen oberflächlichen Begriff zu erhalten, müßte man ein Verzeichnis der Hunderttausende von absichtslosen Rippenstößen und getretenen Hühneraugen anfertigen. Wer aber endlich so glücklich war, Platz erlangt und den gefüllten Bierkrug vor sich zu haben, der sah sich das Gewühl mit absonderlichem Wohlgefallen an. An munterer Nachbarschaft fehlte es nirgends, und Bekanntschaften waren rasch angeknüpft. Obgleich die Sänger wohl nach Tausenden zählten, so waren sie in dieser Volksmenge dennoch bei weitem die Minderheit, allein fürwahr eine glückliche, bevorzugte Minorität. War eine Bank auch noch so voll, für einen Sänger wurde immer noch Platz, und dem Unbekannten begegnete man sofort mit gewinnender Herzlichkeit. Ob Tenor oder Baß, Solist oder Chorbrummer, danach ward nicht gefragt. Ganze Vereine, welche gern beisammen bleiben wollten, suchten sich wohl auch ein schattiges Plätzchen mitten auf der Wiese, lagerten sich und ließen ihre Humpen füllen und dann immer wieder frische Lieder ertönen, wo sich auch gewiß bald, angezogen von bekannten Tönen, fremde Sänger einfanden und einstimmten in die Lieder und in die Herzlichkeit. Gezecht wurde freilich tapfer in diesen heißen Tagen der Freude, sowohl drinnen in der Stadt, als am Maxfelde draußen. Krüge, Trinkhörner und Pokale gingen fleißig von Munde zu Munde, aber ein Ausarten selbst der lautesten Fröhlichkeit war nirgends zu sehen. Die Würde des ganzen Festes hielt unwillkürlich Jeden in der rechten Bahn.

Am Sonntag Abend wurden in der Festhalle von neun Uhr an die Einzelvorträge fortgesetzt, mit wahrhaft Schönes gab es da zu hören. Den meisten Beifall ernteten wohlverdient die Wiener und Innsbrucker Sänger; die letzteren wurden von allen Seiten so lange bestürmt, bis sie noch eines ihrer Nationallieder anstimmten. Wirklich vollendet war der Vortrag der Wiener Sänger, und von allen Seiten hörte man sicher äußern, wie schwer es sei, nach solchen Leistungen noch um den Ehrenpreis in die Schranken zu treten. Trotzdem gab es jedoch noch muthige Sänger genug, die ihre Lorbeeren zu erkämpfen suchten. Schriftliche und telegraphische Grüße wurden wieder in den Pausen in Menge aus allen Weltgegenden gemeldet. Deutsche Sänger aus Newyork, Paris, Aarau, Hermannstadt, Rostock, Judenburg und hundert andern Orten wollten wenigstens auf diese Weise ihre Theilnahme an dem großen nationalen Feste zu erkennen geben.

Das riesige Parterre der Festhalle hatte für die Abendstunden eine höchst praktische Veränderung erfahren, indem man durch Indiehöheschrauben immer der dritten Bank Tische bildete, wo man sich bei der durch die Tausende der Anwesenden leicht erklärlichen Hitze mit einem kühlen Trunk erlaben konnte, für den die großen Büffets unter dem Sänger-Podium reichlich sorgten. An jene rasch entstandenen Tische wurden die Städte und Vereins-Schilder befestigt, und dabei nahmen nun die Zugehörigen Platz. Auf diese Weise konnte man hier die Sangesgenossen der verschiedenen Städte vereint antreffen, und bald entspann sich der herzlichste Verkehr zwischen den deutschen Landsleuten aus Nord und Süd, aus Ost und West. Da sprachen oft vier Freunde, die sich rasch gefunden hatten, jeder das Idiom seiner Heimath, und dennoch verstanden sie sich alle rasch,

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