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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Ich bin Signor Trapani Simo!“ antwortete er stolz.

„Richtig, Sie suchte ich. Folgen Sie mir. Ihr Uebrigen rührt Euch nicht von hier. Gensd’arm, Sie sind mir dafür verantwortlich.“

Einer der Gensd’armen blieb in der Scheune zurück. Der andere mußte den Gaukler mir in eine Stube der Schenke nachführen. Dort befragte ich ihn.

„Wie heißen Sie jetzt?“

Er war auffallend kleinlaut geworden.

„Heinrich Hochmann.“

„Aus –?“

„Aus Sachsen.“

„Treiben Sie Ihr Handwerk schon lange?“

„Meine Kunst,“ sagte er.

Er war fast ängstlich geworden, aber Künstler wollte er bleiben.

„Ihre Kunst denn?“

„Seit meinen Kinderjahren. Mein Vater war gleichfalls Künstler.“

„Kennen Sie Jemanden Namens Johansen?“

„Nein,“ sagte er fest, bestimmt, aber zu fest und zu bestimmt für die bis jetzt völlig beziehungslose Frage. Er hatte sich auf sie vorbereitet und mußte für die Antwort sich dennoch Gewalt anthun. Ein Geheimniß lag sicher da vor. Durfte ich auch schon eine Schuld annehmen? Aber welche?

„Waren Sie in Amerika?“ fuhr ich fort.

„Nein.“ Er war schon sicherer geworden.

„Waren Sie nie außerhalb Deutschlands?“

„O ja, oft, in Italien, in den Niederlanden, in Ungarn, Frankreich –“

„Und niemals in Amerika?“

„Niemals.“

„Sie haben heute auf dem benachbarten Schlosse Ihre Künste producirt?“

„Ich habe eine Vorstellung gegeben.“

„Bei der Gelegenheit sind Sie an einen fremden Herrn herangetreten, der zum Besuch kam?“

„Ich erinnere mich.“

„Sie haben eine Gabe von ihm gefordert?“

„Ein Zutrittsgeld. Er war ein fremder, vornehmer Herr.“

Wir wurden unterbrochen. Ein Polizeidiener trat in die Stube, eilig, mit einem wichtigen, zugleich Schrecken verkündenden Gesichte. Er bat mich allein sprechen zu dürfen. Ich verließ mit ihm das Zimmer. Bei dem Gaukler ließ ich den Gensd’armen zurück. Der Polizeidiener kam vom Schlosse; der dort eingetroffene Polizeidirector hatte ihn zu mir geschickt. Er überbrachte mir eine Nachricht, die mich eben so sehr überraschte als erschreckte.

„Der Amerikaner, der gesucht wird, ist todt gefunden.“

„Und der Herr von Holberg?“ war meine Frage, die die höchste Angst mir eingab.

„Von ihm ist noch immer keine Nachricht da.“

Ein furchtbarer Schlag hatte mich getroffen. Ich durfte es nicht zeigen.

„Wo ist der Amerikaner gefunden?“

„Im Schloßparke.“

„In welcher Gegend?“

„Hinten am Parke fließt ein Bach vorbei, eigentlich ein Fluß, er ist tief und reißend.“

„So ist es; ich kenne ihn.“

„Vom Parke aus führt eine hölzerne Brücke mit einem verschlossenen Thore hinüber.“

„Nicht weit von der Chaussee, nach dem Gasthofe hin.“

„Dreißig Schritte unterhalb der Brücke wurde der Leichnam gefunden. Er lag in den Zweigen einer Weide, die in das Wasser hineinreichten. Der Strom mußte ihn dahin getrieben haben.“

„Wer hat ihn gefunden?“

„Einer der Diener vom Schlosse, beim Nachsuchen nach dem Herrn.“

„Wann?“

„Vor etwa einer halben Stunde, als es angefangen hatte, hell zu werden.“

„Hat man die Leiche aus dem Wasser genommen?“

„Auf Befehl des Herrn Polizeidirectors, der sogleich herbeigerufen war und hineilte.“

„Hat man Verletzungen, Spuren von Gewalt gefunden?“

„Keine.“

„Eine Beraubung des Todten?“

„Durchaus nicht. Uhr und Börse waren noch in den Taschen.“

Und Holberg war noch immer nicht wieder da, man hatte noch nicht die geringste Nachricht von ihm! Ich sprach es nicht aus, desto schwerer lastete der Gedanke auf mir.

„Ich werde sogleich zum Schlosse kommen,“ sandte ich den Polizeidiener dahin zurück.

Ein anderer Gedanke war mir plötzlich gekommen. Der Gaukler, Heinrich Hochmann, der in der Welt herumstreichende Mann des gemeinen Aussehens, der nach Allem mit dem verstorbenen Amerikaner bekannt gewesen sein mußte, der ihn dennoch abgeleugnet, der bei meinem und der Gensd’armen Erscheinen sich erschreckt hatte! Wie hatte ich auch an Holberg denken können, den stolzen, edlen, ritterlichen Mann? Wie konnte er ein Mörder, ein gemeiner Meuchelmörder sein? Freilich was hätte jenen bewegen können, den Amerikaner ums Leben zu bringen? Umgekehrt hätte es wohl in den Interessen des Amerikaners liegen mögen, den Gaukler, den ehemaligen Cameraden aus dem Wege zu räumen, der ihn verrathen, sein ganzes Glück vernichten, ihn sogar auf das Schaffot bringen konnte. Indeß die beiden ehemaligen Gesellen konnten auch in Streit gerathen sein, mit einander gekämpft haben, und in dem Kampfe konnte der riesige Seiltänzer den Gegner, dessen er sich vielleicht nicht anders zu erwehren wußte, in das Wasser geworfen haben.

Aber mußte denn nothwendig ein Mord, nur ein gewaltsamer Mord vorliegen? Ueber Alles, auch über das letztere, mußte mir eine sofortige Fortsetzung der abgebrochenen Befragung des Gauklers, wenn auch nicht ein klares Licht, eine bestimmte Auskunft, doch irgend einen Anhalt zu weiterer Aufklärung geben. Ich traute mir wenigstens so viel Gewandtheit des Inquirirens und der Beobachtung zu, um für meine innere Ueberzeugung Anzeichen darüber zu gewinnen, ob, wenn eine gewaltsame Tödtung verübt worden, der Gaukler der Thäter sei oder nicht.

Ich kehrte zu ihm zurück und konnte die gleichgültigste Miene von der Welt annehmen. Er empfing mich mit der nämlichen Ruhe und Kaltblütigkeit. Aber aus dem äußersten Winkel seines Auges sah er mich forschend an, und tief hinten im Auge konnte eine Angst sich nicht verbergen. Wir hatten einen Kampf mit einander begonnen, den Kampf des Inquirenten mit dem Inquisiten.

Wie viele hundert Mal hatte ich ihn schon durchgekämpft! Meist war ich der Sieger geblieben. Wie oft aber auch war der Verbrecher siegreich daraus hervorgegangen, frech und verstockt, oder listig und gewandt! Wenn ich ihm nachher das ganz oder gewöhnlich nur vorläufig freisprechende Urtheil publiciren mußte, dann hatte der lauter und freier triumphirende Blick mir wohl deutlich genug meine Niederlage verkündet, bei der es doch nun einmal bleiben mußte. Aber ich hatte redlich meine Schuldigkeit gethan, als Richter und auch als Mensch, und ich dankte doch Gott, daß ich – kein Geschworner war.

Wer sollte jetzt der Sieger bleiben? Jenes Lauern aus dem Augenwinkel, jene Angst hinten im Auge, sie waren schon zwei Kampfesblößen, die er sich gegeben hatte. Er hatte vorhin das etwas Außerordentliches und Schreckhaftes verkündende Gesicht des Polizeidieners gesehen. Nur sein Schuldbewußtsein konnte die Nachricht, die mir mitgetheilt worden, auf sich beziehen. Aber hatte ich nicht vielleicht in demselben Augenblicke auch ihm schon eine Blöße gegeben? Es war mir um das Herz wahrhaftig immer schwer und traurig genug gewesen, wenn ich mich als Inquirent von der Schuld eines Menschen überzeugen mußte. Aber jenes Zeichen eines Schuldbewusstsein wollte mir das Herz leichter machen. Deutete ich es richtig, so war mein Freund Holberg kein Schuldiger. Ich, knüpfte das Verhör mit ihm wieder an, wo ich es hatte abbrechen müssen. Er nahm eben so ruhig denselben Faden wieder auf.

„Wir sprachen von dem Herrn, dem Sie eine Gabe oder ein Zuschauergeld abforderten.“

„Er war ein fremder Herr, der bezahlen konnte.“

„Und Sie kannten ihn nicht?“

„Ich kannte ihn nicht.“

„Er hat Sie erkannt!“

„Hat er das gesagt?“ .

„Sein Blick hat es Ihnen selbst gesagt.“

„Ich habe den Blick nicht gesehen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_579.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)