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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

riesigen Ausdehnung dennoch überall die schönsten Verhältnisse und machte dadurch einen prächtigen Eindruck. Dieser ward jedoch auf das Höchste gesteigert, als wir nun das innere betraten. Welch ein gewaltiger Raum! Nach Art der Basiliken war das Innere in fünf Schiffe abgetheilt; das Auge wurde in dem kolossalen hohen Mittelschiffe auch nicht durch eine einzige Säule oder Stütze gestört. Es erschien Alles so leicht und ungezwungen, und dennoch wieder so solid, daß die Furcht, 15,000 Menschen in diesem Gebäude versammelt zu sehen, gar nicht die Oberhand gewinnen konnte. Die für 5 bis 6000 Sänger eingerichtete Tribüne bot hinreichenden Raum zu freier Bewegung, und dennoch war von allen Seiten der Dirigent bequem zu sehen, was bei andern Gesangsfesten, wo vielleicht blos der vierte Theil an Sängern anwesend war, oft unmöglich erschien. Die schlanken Säulen, welche die Gallerien und die Bedachung der Seitenschiffe trugen, waren


Die Sängerhalle in Nürnberg.


mit Guirlanden umwunden und zeigten die Wappen sämtlicher Städte, welche Sänger hierher entsandt hatten, so wie die Namen unsrer gefeiertsten Dichter und Componisten. Das Licht erhielt der großartige Raum durch bunte Fenster, in denen das Glas durch gemaltes starkes Oelpapier ersetzt wurde. Herrlich war der hierdurch erzielte Lichteffect, wenn die Sonne diese Fenster beschien, im Innern der Halle; eben so großartig war wieder der Anblick des Abends, wenn das Licht, welches vier enormen Gaskronleuchtern und einer Masse einzelner Flammen entströmte, von außen der Festhalle eine erhabene Weihe verlieh. In der Mitte des Zuhörerraumes war ein von Blumen eingefaßter großer Springbrunnen, dessen Wasser während der Pausen zwischen den Gesängen eine erfrischende Kühle, wenigstens in nächster Umgebung, verbreitete. Die Fahnen der Sänger wurden auf der hoch oben um das ganze Mittelschiff laufenden Gallerie angebracht und trugen nicht wenig zu dem schönen Eindruck des Ganzen bei, wenn sie auch in akustischer Einsicht wohl einigen Abbruch thaten.

Ungemein herzlich und erhebend aber war der Verkehr, der sich zwischen den hier zum ersten Male vereinigten Sängern rasch entwickelte. Da genügte ein biederer Händedruck, ein ehrlicher Gruß, um Männer rasch zu Freunden zu machen, deren Heimath Hunderte von Meilen auseinander lag. Die Mitglieder jedes einzelnen Vereins trugen neben dem Nürnberger noch das aus der Heimath mitgebrachte Sängerzeichen, und so war bei dem sich immer herzlicher gestaltenden Verkehre nichts natürlicher, als daß man zum Andenken an das herrliche Fest die heimischen Sängerzeichen gegen fremde auszutauschen suchte, wobei man überall williges Entgegenkommen fand. Der Preuße freute sich, das Zeichen seines österreichischen Festgenossen auf der Brust zu tragen, und ebenso umgekehrt. Da gab es keine politische Scheidewand mehr, denn der erhabene Zweck, ein wahrhaft nationales Fest zu feiern, hatte jeden Einzelnen mit Allgewalt durchdrungen.

Als endlich das Zeichen zum Beginn der Feier gegeben ward, trat in den weiten, dicht besetzten Räumen plötzlich tiefe Stille ein. Die Nürnberger Gesangvereine trugen zur Eröffnung der Feierlichkeit ein Lied vor, einen alle Genossen willkommen heißenden Sängergruß, der allgemeinen Dankesjubel hervorrief. Hieran knüpfte sich die Ansprache des Sängerausschußvorstandes Dr. Gerster, der in begeisterten Worten das Glück Nürnbergs pries, dieses herrliche Fest zum Ruhme der Stadt hier gefeiert zu sehen, womit er ein Hoch auf den König von Baiern verband, in welches die Versammlung von Herzen einstimmte. Tiefergreifend sprach der Redner dann noch von der großen Bedeutung dieses Festes und schloß mit den Worten:

„Wie verschiedenartig auch die Pfade des Lebens sind, welche wir sonst wandeln und naturgemäß wandeln müssen, in der Liebe zum deutschen Vaterlande, in dem Streben nach dessen Einigkeit, Unabhängigkeit und Macht schreiten wir Alle, ob aus Süden, ob aus Norden, auf gemeinsamem Wege. Auf diesem Wege leuchtet uns das deutsche Banner voran, auf diesem Wege leitet uns das deutsche Wort, begleitet uns das deutsche Lied. In diesem Sinne, mit diesem Willen heiße ich Euch Alle nochmals willkommen als unsre lieben Gäste, und es sei und bleibe immer wahr unsres Festes Spruch:

Deutsches Banner, Lied und Wort
Eint in Liebe Süd und Nord!
Hoch! Hoch!“

Wie enthusiastisch hierbei Alles einstimmte, brauche ich wohl kaum zu sagen. Nach einem würdevollen Instrumentalvortrag (Festmarsch von B. Lachner) begrüßte die Augsburger Liedertafel in einem trefflichen Liede die Stadt Nürnberg, und hieran knüpften

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_573.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)