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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Der Jäger brachte den Tornister, öffnete ihn vorsichtig – er war voll von Krammetsvögeln.

„Zählen – ein bei ein,“ befahl der General.

„Een, twee, dree, veer, fif –“

„Hochdeutsch zählen! bleiben Sie mir mit Ihren „Fifen“ weg! Hochdeutsch!“

„Ich kann nicht, Herr General!“

„Sie sprechen doch Hochdeutsch, da werden Sie doch auch zählen können.“

„Nein, Herr General.“

„Nun, denn man immer zu mit Ihren Fifen!“

„Söß, söben, ocht, negen, tein –“ hier blickte der Jäger mich ängstlich an; ich gab ihm aber durch alle möglichen Zeichen zu verstehen, daß er sich nicht fürchten solle; und er hub wieder an zu zählen und hörte nicht eher auf, bis er „Söben und dörtig“, siebenunddreißig Krammetsvögel ausgepackt hatte.

„Was glauben Sie, wird jetzt geschehen?“ fragte der General; „ich möchte blos wissen, ob Sie eine Idee von dem haben, was heute mit Ihnen passirt? Nun, was denken Sie wohl?“

„Ich weiß nicht,“ sagte der Jäger.

„Ein Jahr Festungsarrest ist das Allerwenigste, vielleicht fünf Jahre Zuchthaus! Ich will Ihnen was sagen, Jäger, – wie heißen Sie?“

„Matthias Johannsen, Herr General.“

„Also, Jäger Johannsen, Sie sind ein Lurbaß, ein ganz niederträchtiger Lurbaß! Jetzt nehmen Sie die Krammetsvögel und bringen sie dem Lorenz, und dann melden Sie sich beim Wachtcommandanten in Arrest. Ich will Euch lehren, meinen Dohnenstieg respectiren! Also, daß Sie es wissen, Sie sind ein Lurbaß!

Wissen Sie, was Sie sind?“

„Ein Lurbaß, Herr General.“

„Ja, und ein ganz gehöriger Lurbaß sind Sie! Jetzt marsch fort! Sie Millionen-Lurbaß! Das einzige Vergnügen, das man hat, wird Einem von den eigenen Leuten gestört; ich thue den Leuten zu Liebe, was ich kann, und zum Dank dafür nimmt mir der Lurbaß meine Vögel aus. Ist der Kerl von Ihrer Compagnie?“

„Zu Befehl, Herr General.“

„Scheint eine saubere Compagnie zu sein! Gefällt mir nicht! Müssen Ihre Leute besser anhalten! Taugt der Kerl etwas? dient er schon lange?“

„Er ist ein braver Soldat, Herr General – und trotzdem steht er in der zweiten Classe und hat die schleswig-holsteinsche Cocarde ablegen müssen.“

„Ein braver Soldat, und Krammetsvögel steh– ausnehmen!

Ein braver Soldat und doch keine Cocarde? Wie reimt sich das zusammen?“

„Wenn Sie es erlauben, werde ich Ihnen erzählen, durch welchen Umstand er die Cocarde einbüßte. Der Mann jammert mich, und ich möchte ein gutes Wort für ihn einlegen, damit Sie ihm verzeihen, Herr General.“

„Ihr Schleswig-Holsteiner haltet zusammen wie Pech!“ knurrte der General. „Schießen Sie los und erzählen Sie mir, was diesen Tugendhelden in die zweite Classe gebracht hat.“

„Er war mit vielen anderen Soldaten auf einem Tanzboden. Ein Unterofficier, der des Guten zu viel gethan, zog gegen einen Soldaten den Säbel. Die Anderen fielen über ihn her, nahmen ihm den Säbel ab und brachten ihn aus dem Saal. Am folgenden Tage zeigte der Unterofficier Matthias Johannsen als denjenigen an, der sich gegen seinen Vorgesetzten thätlich vergangen habe – und das Kriegsgericht verurtheilte ihn zu einmonatlichem Arrest und Verlust der Cocarde. Seit dieser Zeit ist der Jäger Johannsen tiefsinnig und begeht bisweilen Thorheiten wie die heutige, gleichsam, als wolle er sich absichtlich ins Unglück stürzen.“

Der General kaute am Schnurrbart. „Also sonst ein braver Kerl?“ fragte er, mich scharf anblickend.

„Ein sehr braver Mann.“

„Soll die Cocarde wieder haben!“

„Und wegen der Vögel, die er ausgehoben?“

„Der verdammte Lurbaß! Siebenunddreißig Vögel hat er ausgenommen und nicht einmal die Dohnen wieder gerichtet. Bestraft muß er werden, geben Sie ihm zwölf Stunden Arrest – und, damit er die Vögel nicht umsonst ausgenommen hat, soll er mir sie rupfen, alle Siebenunddreißig. Sagen Sie aber Ihren Leuten, daß ich mir ausbitte – Wer Teufel kommt da an? Ist das nicht der Pape?“

„Ja wohl, Herr General, es ist der Lieutenant Pape, und wie mir scheint, hat er Eile!“

Pape sprengte im Galopp heran, sprang vom Pferde und übergab dem General einen Befehl des Generalkommandos.

Während der alte Herr las, flüsterte er mir zu: „Morgen früh um vier Uhr marschiren wir nach Missunde. Diesmal setzt es etwas. Fünfzehntausend Mann und acht Batterien haben Marschordre.“

Der General winkte dem Adjutanten und gab mir durch ein freundliches Kopfnicken zu verstehen, daß ich gehen könne. Ich begab mich zu meinen Leuten und erzählte ihnen, was ich eben vernommen hatte. Den Lurbaß nahm ich extra vor und sagte ihm, daß er morgen seine Cocarde wieder haben solle; er möge nur vermeiden, dem General zu begegnen, und die unglücklichen Drosseln rupfen.

Die Jäger nahmen die Nachricht, daß es morgen zum Gefechte kommen würde, mit der Ruhe und Besonnenheit auf, welche den Deutschen, besonders den Norddeutschen, so eigenthümlich ist. Statt Hurrah zu rufen und sich zu betrinken, packten sie ihre Tornister aus und behielten nur das Nothwendigste zurück. Wer seine Bandage verloren hatte, ersetzte sie durch eine neue; die alten Zündhütchen wurden vorsichtig abgenommen und gegen frische vertauscht. Manche schrieben nach Hause, andere horchten der Terrainschilderung aufmerksam zu, die ein Unterofficier von der Gegend um Missunde entwarf.

Die Dänen hatten ein Lager aufgeschlagen bei Kochendorf, einem Kirchdorfe zwischen Eckernförde und der Schlei. Das Lager war, wie wir durch Spione wußten, durch einen Laufgraben gedeckt und durch mehrere Batterien verstärkt. Die Zahl der Feinde wurde auf 6–8000 angegeben. Die Rückzugslinie der Dänen ging über das Dorf Cosel nach Missunde, wo ein starker Brückenkopf die an dieser Stelle sehr schmale Meeresbucht, welche unter dem Namen Schlei bekannt ist, vollständig beherrschte. Zudem hatten die Dänen vor Eckernförde Kriegsschiffe liegen, und das nördliche Ufer der Schlei, Missunde gegenüber, mit Batterien bespickt. Die Knicke und Wälle waren rings umher niedergerissen, die Distancen sorgfältig gemessen, sodaß die dänische Artillerie ein schrecklickes Feuer auf die Angreifenden richten konnte. Um aber der deutschen Artillerie das Auffahren zu erschweren, waren die Wege durchstochen und unpassirbar gemacht.

Die Jäger hörten diesen Mittheilungen mit gespannter Aufmerksamkeit zu und bemerkten sehr richtig, daß es nothwendig sein werde, nicht viel Federlesens zu machen, sondern mit dem Bajonnet darauf loszugehen.

Früh am 12. September 1850 marschirten wir von Friedrichshof ab. Es war ein herrlicher Herbstmorgen; unsere Straße führte uns durch prangende Wälder und reiche Dörfer und Felder – das schöne deutsche Land war wohl eines Kampfes werth. Die Bewohner der Dörfer kamen uns mit Erfrischungen aller Arten entgegen; manche Mutter erkannte ihren Sohn und drückte ihm weinend einen Kuß aus das bärtige Gesicht. Das zweite Jägercorps hatte die Spitze; es traf schon vor Kochendorf auf den Feind, warf ihn aber überall mit dem Bajonnet zurück. Als wir uns Kochendorf näherten, rückten das erste Bataillon und das dritte Jägercorps in die Gefechtslinie. Es war ein Wetteifer unter den Bataillonen, welches zuerst an den Feind kommen sollte. Das zweite Jägercorps, geführt von dem tapferen Hauptmann von Ganzer, ließ uns lange nicht in’s Gefecht kommen. Der kleine Hauptmann schwenkte seinen Säbel und stürzte sich, von dem herrlichen Corps gefolgt, auf die Dänen. Eine Position nach der anderen, ein Haus, ein Zaun, eine Waldlistère nach der anderen wurde mit dem Bajonnet genommen, und wenn der begeisterte Führer nach der Erstürmung einer Position „Schlagt an! Feuer!“ rief – beantworteten unsere Leute sein Commando mit einem lauten Hurrah. – Wir hatten noch keinen Schuß gethan und glaubten schon, daß das zweite Jägercorps die ganze Arbeit allein thun würde; aber es kam anders.

Vor uns stand das Lager der Dänen – eine vollständige Stadt aus Stroh und Latten gebaut; aus den Laufgräben blitzten die Bajonnete, die Kanonen drohten Tod und Verderben. Hauptmann von Ganzer drängte die Dänen nördlich nach der Schlei zu, wir – d. h. das erste Bataillon und dritte Jägercorps – griffen mit Sturm das Lager an. Kaum waren wir aus freiem Terrain, als die Kanonen uns begrüßten. Zweiunddreißig Geschütze beschossen uns mit Voll- und Hohlkugeln – noch höre ich den klatschenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_569.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)