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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

erkannte sogleich den elektrischen Tausendfuß und zog aus der ganzen Geschichte nur den Schluß, daß de Geer Unrecht habe, wenn er das Leuchten der Thiere bezweifle. Zu bedauern ist freilich, daß die Geschichte nicht in bessere Hände kam. Für einen Verfasser von Tractätchen oder einen Zögling des Rauhen Hauses wäre sie wohl einige Pfund Sterling werth gewesen.

Die Kellerasseln (Oniscus murarius) gehören in die Nähe der Tausendfüße, obgleich sie von ihnen wesentlich verschieden und in ihrer Organisation mehr den eigentlichen Krustenthieren genähert sind. Ihre Athmung wird durch eigenthümliche Blättchen mit verzweigten Höhlungen bewerkstelligt, die unter den Klappen am Hinterleibe verborgen sind und die auch beim Weibchen zum Schutze der Eier während der Entwickelung dienen. Die verschiedenen Arten, von denen einige sich kugeln können, leben, wie schon der Name andeutet, an feuchten, dunkeln Orten und verbergen sich im Freien Tags über unter Steinen und faulenden Blättern, um Nachts ihrem Fraße nachzugehen, der besonders aus modernden Pflanzenstoffen besteht. Solche Lebensweise könnte ihnen nun wohl schwerlich zum Vorwurfe gereichen; aber da sie außerdem auch noch die süßen Obstbaumfrüchte, welche man in den Kellern aufbewahrt, namentlich die Birnen, an solchen Stellen, wo die Oberhaut schon etwas beschädigt ist, und selbst die Spalierfrüchte, die noch an den Bäumchen hängen, angreifen und Höhlungen hineinfressen, so thut man wohl besser, wenn man sie so viel als möglich zu vertilgen strebt. Auch sollen sie eine ganz besondere Vorliebe für einige Arten von Sämlingen und Setzlingen haben, besonders für die Petunien, die in den Mistbeeten oft gänzlich von ihnen verwüstet wurden. Da diese Blumen jetzt eine Lieblingspflanze für die moderne Cultur geworden sind, so dürfte allerdings einige Vorsicht in dieser Beziehung anzurathen sein.

Die Spinnenthiere oder Arachniden, welche die eigentlichen Spinnen, die Skorpionen und Geißelspinnen, die Weberknechte, Zecken und Milben begreifen, zeichnen sich fast alle durch ihren räuberischen, heimtückischen Charakter und das Gift aus, welches sie theils in ihren Kinnladen, theils in ihrem Schwanze tragen. Durch den vielfachen Wechsel ihrer Formen und die Mannigfaltigkeit ihrer Organisation wiederholen sie gewissermaßen in der Reihe der Gliederthiere die Reptilien, mit denen sie sonst übrigens im Entferntesten keine Aehnlichkeit haben. Trotz ihrer Häßlichkeit und Grausamkeit sind doch die meisten unter ihnen dem Menschen nur nützlich, indem ihr Gift nur kleineren Thieren schädlich ist, unter welchen sich zahlreiche Feinde des Menschen befinden. Denn was sonst ihnen aufgebürdet wird, ist größtentheils Fabel und Verleumdung und kann vor der besonnenen Naturforschung nicht Stich halten.

Die Zecken (Ricinus) und Milben (Acarus) sind meistens Schmarotzer und fallen demnach nicht in den Kreis unserer Beschäftigungen, obgleich Vieles über sie zu sagen wäre. Namentlich unter den Angriffen der Milben hat die Menschheit nicht wenig gelitten, da ja, wie jetzt festgestellt ist, eine häßliche, fast mikroskopische Bestie aus dieser Familie, die Krätzmilbe (Sarcoptes scabiei), die alleinige Ursache jener juckenden Hautkrankheit und ihrer Ansteckung ist. Das kleine Thier gräbt sich in die Oberhaut ein, legt in diese Gänge Eier; die Jungen graben weiter und bringen durch die Reizung Pusteln und Schärfe hervor. Kömmt nur eine einzige Milbe lebend auf die Haut einen anderen Menschen, so erzeugt sie bei diesem dieselbe Krankheit. Soviel die Menschen früher, wo man die Ursache der Krankheit nicht kannte, durch diese selbst, sowie durch die langwierige Behandlung geplagt wurden, ebenso viel wurden die Geister angefüllt mit pathologischem Unsinn über die schreckhaften Folgen der vermeintlichen Krankheit. War ja doch die allgemeine Krätzkrankheit, die Psoriasis, das hohe Parateroß, auf welchem seiner Zeit Ehren Hahnemann, der Erfinder der gleichwerthigen Homöopathie, vor der staunenden Menge einhertrabte und sich Ruhm und Geld erwarb! „Zurückgetretene Krätze“ war zu jenen Zeiten das Schibboleth für alle chronischen Krankheiten ohne Ausnahme, und da es wohl nie einen Menschen gegeben hat, der nicht einmal in seinem Leben ein Bläschen oder eine Blüthe auf der Haut gehabt hätte, so war die innere Krätze gleich demonstrirt und die Ursache der Krankheit gefunden. Heutzutage, wo man das Thierchen kennt, wo man seine Lebensweise bis in die kleinsten Einzelheiten erforscht hat, heutzutage sind alle jene Hirngespinste einer auf die Leichtgläubigkeit gegründeten Speculation in ihr Nichts zerfallen. Man heilt die Krätze, indem man die Milben tödtet; man tödtet sie so schnell als möglich, in wenigen Stunden, mit einigen Bädern und ätzenden Einreibungen, was früher für ein Verbrechen an der Zukunft des Menschen gehalten wurde, und man weiß nichts mehr von all den schauderhaften Uebeln, welche die zurückgetretene Krätze verursachen sollte.

(Schluß folgt.)




Erinnerungen aus dem Schleswig-Holsteinschen Kriege.
Von Graf A. Baudissin.
Nr. 2.
Der Lurbaß.

Ich lag mit einer Compagnie des dritten Jägercorps auf Friedrichshof, wo der Commandeur der Avantgarde, General von Gerhardt, sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Der General war ein liebenswürdiger Vorgesetzter; er suchte die Gesellschaft der jungen Officiere, brachte ganze Abende plaudernd und erzählend unter ihnen zu, und erfreute sich deswegen einer großen Popularität. Zu seinen vielen Eigenthümlichkeiten gehörte auch die, daß er Morgens nach dem Frühstück den Dohnenstieg besuchte, um die Krammetsvögel auszunehmen, welche sich über Nacht gefangen hatten. Ich stand bei dem General gut angeschrieben, und als ich mich daher eines Morgens mit der ersten Compagnie des dritten Jägercorps zum Dienste meldete, sagte er: „Lassen Sie es gut sein – ich will gerade Vögel ausnehmen. Sie können mitgehen – der Lorenz hat einen Korb, bitten Sie den Lorenz, Ihnen denselben zu geben. Nach der nebligen Nacht müssen viele Vögel in den Dohnen hängen.“

Lorenz gab begreiflich den Korb her, und ich wanderte mit dem Commandeur der Avantgarde nach dem Tannenholze, um Weindrosseln auszunehmen. „Da hängt einer!“ rief der General, der jeden Platz kannte, wo eine Dohne hing. „Da ist wieder einer – zwei! Sehen Sie nicht? da hängen zwei in einer Schlinge.“ Der alte Herr war ganz entzückt über den reichen Fang. Fast in jeder Dohne hing ein Vogel, so daß unser Korb halbvoll war, als wir die erste Hälfte des Dohnenstiegs ausgenommen hatten.

„Warten Sie nur, bis wir auf den Hügel kommen,“ sagte der General; „ich wette Ihnen eine Flasche Champagner, daß wir in jeder Schlinge einen Vogel treffen. Hier unten in der Ebene habe ich nie viele gesehen, aber oben hängt es brechend voll.“

Wir erreichten die Höhe und betraten den Dohnenstieg. Die ersten Dohnen waren leer – leer – Alles leer – wo eine Dohne hing, war die Schlinge in Unordnung, die Beere abgerissen – die Vögel waren ausgenommen. Kaum hatte ich die schwarze Ahnung ausgesprochen, als der General zwischen den jungen Tannen eine Uniform zu entdecken glaubte. „Kommen Sie doch ’mal her, mein Geliebter,“ rief er wuthschnaubend. Ein Jäger meiner Compagnie kam etwas verlegen aus dem Dickicht und stellte sich vor dem General in Positur.

„Was machen Sie hier?“ fragte der General.

Der Jäger sah mich bittend an, ich nickte ihm verstohlen zu, und da er sah, daß ich ihm mit einem blauen Auge durchhelfen würde, gestand er seine Schandthat.

„Wie viele Vögel haben Sie ausgenommen?“

„Ich weiß nicht, Herr General!“

„Sie wissen nicht? Können Sie zählen?“

„Zu Befehl, Herr General!“

„Dann zählen Sie mir sie vor!“

„Die Vögel liegen da in meinem Tornister,“ stotterte der Jäger.

„Holen Sie ihn her! – Der Kerl soll die Angst kriegen. Mir die Vögel ausnehmen und in den Tornister packen! Himmelsacrament und kein Ende!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_568.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)