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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Ich habe eine Frage an Dich,“ begann er, „eine Frage an den Freund, aber auch an den Criminalrichter –“

Er stockte. Es war, als wenn ihm die Zunge festklebe, oder als wenn er nach Athem suchen müsse.

„Also doppelt auf Dein Gewissen,“ fuhr er dann fort.

„Ich werde Dir nach meinem besten Wissen und Gewissen antworten,“ sagte ich.

„Aber,“ stieß er heraus und er konnte mich nicht dabei ansehen, „die Sache betrifft nicht mich. Ich habe von einem Freunde den Auftrag, Dich um Deine Ansicht und Deinen Rath zu befragen.“

„Meine Antwort soll Dir werden, als wenn es Deine Sache wäre. Trage sie vor.“

Er mußte trotz der Versicherung, daß er nur eine fremde Sache vertrete, wiederum eine Pause machen. Es kostete ihm Ueberwindung, mit ihr hervorzukommen.

„Dem Kaufmann,“ sagte er dann, „sind seine Bücher sein Ehren- und Adelsschild. Habe ich Recht darin?“

„Es ist die Anschauung eines Edelmannes,“ erwiderte ich, „aber auch eine sachlich richtige.“

„Und durch eine Unrichtigkeit darin hat er sein Schild beschmutzt, zerbrochen?“

„Und vor dem Gesetze eine Fälschung, ein Verbrechen begangen.“

„Immer?“ fragte er hastig. „Durch jede Unrichtigkeit?“

„In der Regel wenigstens, zumal wenn die Rechte eines Andern verletzt werden sollen.“

„Dann immer?“

„Ich wüßte kaum eine Ausnahme. Nur ganz besondere Umstände des Falles möchten sie begründen können.“

Er mußte sich wieder zusammennehmen.

„Denke Dir folgenden Fall: Jemand hat mich betrogen, oder er will mich betrügen, und ich habe in das Geschäft, durch das dies geschehen soll, mich wirklich mit ihm eingelassen, es auch schon in meine Büchern eingetragen. Ich kann mich nun vor den nachteiligen Folgen nicht anders retten, als durch weitere falsche Eintragungen in meine Bücher. Ist daß ein Verbrechen?“

„Eine objective Fälschung wäre immer da,“ sagte ich.

„Auch ein Verbrechen?“ rief er.

„Nein, denn es fehlte die Absicht einer Verletzung der Rechte des Anderen; Du wolltest Dich nur gegen eine unrechtmäßige Verletzung Deiner eigenen Rechte schützen. Indeß –“

„Indeß?“

„Du müßtest unter allen Umständen und vor Allem den Beweis führen können, daß Du Dich nur eben so habest schützen wollen, und daß Du also der Betrogene seiest.“

„Und wenn ich den Beweis nicht führen könnte?“

„So wärst Du vor dem Gesetze ein Betrüger und Fälscher.“

„Und die Strafe wäre Zuchthaus?“

„Die Strafe wäre Zuchthaus, wahrscheinlich mehrjähriges.“

Er war einen Augenblick erblaßt. Dann hatte er sich wieder jene frühere Gewalt angethan, daß sein Aeußeres nicht verrathen solle, was in seinem Inneren vorging.

„Und der Ehren- und Adelsschild wäre für immer beschmutzt,“ murmelte er vor sich hin.

Er hatte sich auf eine Bank gesetzt, den Kopf gesenkt, die Augen zur Erde niedergeschlagen; so zeichnete er mit seinem Stocke unförmliche Figuren in dem Sande. Ich hatte den Druck, der auf ihm lastete, ihm nicht erleichtert. Ich wollte es.

„Wir haben noch immer keinen besonderen Fall besprochen,“ sagte ich. „Darf ich denn erfahren, um den es sich handelt?“

Er sann nach. Er konnte zu keinem Entschlusse gelangen.

„Der Freund,“ fuhr ich fort, „hat nicht immer die Verpflichtung, dem Criminalrichter zu denunciren.“

Auf einmal fuhr er auf. Ein Schritt war der Laube nähergekommen. Er hatte nach ihm ausgeblickt.

„Morgen,“ sagte er hastig, indem er schnell aufstand.

Als ich ihn anblickte, sah ich nur eisige Kälte und Ruhe in seinem Gesichte. Mit welcher Gewalt mußte er sie erzwungen haben!

Ein unangenehmer Mensch halle sich uns genähert, ein Amerikaner, Namens Jones, der sich seit ungefähr sechs bis acht Wochen in der Stadt aufhielt, mit guten Empfehlungen von amerikanischen Handelshäusern versehen, hier überall Ausnahme gefunden hatte und namentlich auch mit Holberg und in dem Holbergschen Hause viel verkehrte. Es hieß sogar, daß er der ältesten Tochter Holberg’s, einem eben so schönen, wie braven und liebenswürdigen Mädchen den Hof mache.

Ein wie schöner, edler und stolzer Greis der Freiherr von Holberg war – Mühen und Entbehrungen, namentlich in dem fremden Welttheile, hatten ihm vor der Zeit das Haar gebleicht – so roh, übermüthig, anmaßend, geldgemein war das Aussehen des Amerikaners Mr. Jones, obwohl seine Gestalt schlank und wohlgebildet, sein frisches, gebräuntes Gesicht regelmäßig und seine Augen groß, dunkel und blitzend waren. Sie bildeten die völligsten Gegensätze, jener wahrhaft adelige Freiherr, dieser ordinäre Geldmensch. Oder war er das nicht einmal ? Und sie waren auch nicht Freunde. Daß der Herr von Holberg den Menschen nur mit Widerwillen um und bei sich duldete, hatte ich längst bemerkt; heute glaubte ich noch mehr zu gewahren. Wie der Amerikaner aber zum Anbeter der schönen Therese Holberg sich hatte aufwerfen können, das war schon längst Allen um so mehr ein Räthsel, als man sie zugleich im Stillen mit einem anderen Bewerber verlobt hielt, einem der reichsten und liebenswürdigsten jungen Männer der Stadt. Karl Rauscher und Therese Holberg liebten sich wenigstens, darüber glaubte kein Mensch in Zweifel sein zu können. Warum sie sich dann nicht verlobten und öffentlich verlobten, zumal da der junge Rauscher zugleich völlig unabhängig war, das war freilich ein neues Räthsel.

Der Amerikaner hatte uns gesehen, er kam auf uns zu und trat in die Laube. Nach einer leichten Begrüßung wandte er sich sofort an Holberg.

„Dam, Sir, ich freue mich, Sie zu sehen. Ich hatte Sie schon gesucht.“

„Mich, Mr. Jones?“ fragte der Herr von Holberg vornehm und mit jener kalten Ruhe, die er so schnell hatte annehmen können.

„Sie, Sir. Ich hätte etwas mit Ihnen zu sprechen.“

„Mit mir allein? “

„Hm, ja.“

„So werden Sie die Güte haben müssen, zu warten, bis ich mit meinem Freunde fertig bin.“

„Dam, Sir, es hat keine Eile. Und Sie haben mit Ihrem Freunde wohl wichtige Sachen zu besprechen?“

„Ja, Sir.“

„Mit dem Herrn Criminaldirector?“

Der Mensch schien die Worte mit einer Beziehung zu sprechen. Holberg verfärbte sich leise.

„Aber ein hübschen Plätzchen haben Sie hier gewählt,“ fuhr der Andere leicht fort. „Sie erlauben doch, daß ich mich zu Ihnen setze?“

Ich konnte mich nicht mehr halten.

„Ich weiß nicht, mein Herr,“ sagte ich zu dem Menschen, „ob Sie vom Herrn von Holberg gehört haben, daß ich mit ihm zu sprechen habe?“

„Dam, Sir, Sie mit ihm? Dam –“

Er wollte aufstehen. Holberg, der vornehme Freiherr, der stolze Kaufmann, war verlegen geworden.

„Du erlaubst,“ sagte er zu mir, „daß ich vorher die Angelegenheit mit Mr. Jones abmache. Wir können dann unser Gespräch mit desto mehr Muße fortsetzen.“

„Wenn Du es wünschest, gewiß.“

„Darf ich bitten, mir zu folgen, Mr. Jones?“

Beide verließen die Laube. Ich blieb darin zurück, nachdenklich, gedrückt, vielleicht nicht minder gedrückt, als mein Freund. Er war so brav, er war ein wahrer Edelmann, aber auf seine kaufmännische Ehre stolzer, als auf seinen Adel; und was war das mit seinen kaufmännischen Büchern? – denn um ihn selbst hatte es sich gehandelt. Und welchen Einfluß, welche Gewalt übte dieser rohe, gemeine Amerikaner über ihn aus? Auch er war früher in Amerika gewesen; er hatte dort zuerst Vermögen erworben, den Grund zu seinem gegenwärtigen Reichthum gelegt. Er hatte dort noch lange Zeit nach seiner Rückkehr nach Deutschland Verbindungen unterhalten. Ich verlor mich in Vermuthungen, die nur leere bleiben konnten.

Die Beiden waren nicht weit gegangen. Ich sah sie durch die Zweige der Laube mit einander sprechen, dem Anscheine nach ruhig. Der Amerikaner schien sogar weniger übermüthig zu sein; Holberg hatte seine ganze Ruhe und Vornehmheit beibehalten, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_562.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)