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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

die Verwaltung zu überwachen, d. h. die Verwaltung durch die Geranten zu controlliren und die Interessen der Actionäre (der Gesellschaft) zu vertreten und zu wahren, in gegebenen Fällen zu vertheidigen. Ein Mitglied des Ueberwachungsrathes bei der Eisenbahncasse des Herrn Mirès war der Baron von Pontalba.

Herr von Pontalba, welcher ein Grundeigenthum zu Monlt-l’Evêque im Werthe von zwei Millionen besaß und ein erhebliches Einkommen seiner Beziehung zur Eisenbahncasse verdankte, spielte mit Unglück auf der Börse und wurde der Eisenbahncasse 1,200,000 Franken schuldig, die auf den Grund von Mont-l’Evêque hypothekarisch vorgemerkt und der Gesellschaft gesichert wurden.

Im Jahre 1858 machte Herr von Pontalba im Interesse der Eisenbahncasse eine Reise nach Marseille. Im Jahre 1859 wurde er von den Geranten nach Rom geschickt und ihm die Aufhebung der auf seinem Grundeigenthum lastenden Hypothek von 1,200,000 Franken zugesagt, wenn es ihm gelingen würde, die Unterhandlungen zu Rom, mit welchen er betraut wurde, an ein glückliches Ende zu führen. Die Sendung des Herrn von Pontalba verunglückte aber gänzlich. Er hatte in zwanzig Monaten 259,000 Franken verbraucht, ohne etwas auszurichten. Diese Summe wurde ihm ausbezahlt. Nichtsdestoweniger erhob er nach seiner Rückkehr aus Rom Ansprüche auf die 1,200,000 Franken, d. h. auf die Entlastung seines Bodens von Mont-l’Evêque, die ihm ausdrücklich blos für den Fall eines Gelingens zugesagt worden war. Für seine Reise nach Marseille verlangte er, die Kosten abgerechnet, nicht mehr und nicht weniger als 30O,000 Franken. Natürlich weigerten die Geranten die unmäßigen unverdienten Beträge. Herr von Pontalba drohte eine gerichtliche Klage wegen Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung der Eisenbahncasse einzureichen, wenn seinen Forderungen nicht Gehör gegeben würde. Da sein Drohen ohne Wirkung blieb, schritt er zur Ausführung, reichte im November 1860 persönlich eine Klage beim Justizminister ein und wendete sich außerdem mit seiner Forderung an das Civilgericht, nachdem er vorher den Buchhalter des Herrn Mirès, einen Herrn Devaux, durch Mittel, welche leicht zu errathen sind, zum Austritt aus dem Hause bewogen, und für seine Zwecke gewonnen hatte. Der Minister Herr Delangle wies die Klage zurück, Herrn von Pontalba zu größerer Vorsicht einer Anstalt gegenüber rathend, an die so große und zahlreiche Privatinteressen geknüpft sind.

Am 4. December 1860 reichte Herr von Pontalba die Klage beim kaiserlichen Procurator ein, welche der Justizminister zurückgewiesen hatte und in welcher all die Unregelmäßigkeiten aufgezählt waren, die er der Verwaltung der Eisenbahncasse vorwarf. Am 15. December 1860 wurde Herr Mirès vor den Untersuchungsrickter geladen, und an demselben Tage noch wurden, wie schon oben angegeben wurde, die Bücher der Eisenbahncasse unter Siegel gethan. Also gedrängt, in all seinen Operationen gestört, gab Herr Mirès endlich nach, und der Notar Herr Mocquart brachte zwischen ihm und Herrn von Pontalba eine Ausgleichung zu Stande, welcher zufolge Herr Mirès aus die 1,200,000 Franken, welche auf Mont-l’Evêque vorgemerkt waren, verzichtete und seinem Gegner für die Reise nach Marseille 200,0OO Franken (statt 300,000) baar ausbezahlte.

Und um darüber ja keinen Zweifel übrig zu lassen, daß es ihm bei der Angeberei durchaus nicht um das Interesse der Gesellschaft, sondern lediglich um Erpressung von Geldsummen, auf die er kein Recht hatte, zu thun war, stand Herr v. Pontalba von der Klage ab, so wie er von Herrn Mirès den unrechtmäßigen Tribut erzwungen hatte. Am 18. December fand die Auszahlung statt, am 19. fielen die Siegel von den Büchern des Herrn Mirès.

Die Aufregung im Publicum aber, durch die Begebenheiten seit dem 4. December, die mehr oder weniger entstellt bekannt worden, erzeugt und erhalten, wollte sich nicht so leicht, wie die Gerechtigkeit, beschwichtigen lassen und überdauerte den Rückzug der Klage durch Herrn von Pontalba. Von allen Seiten erhob sich ein Geschrei gegen die „verwegene Speculation“, gegen den Mißbrauch, welchen finanzielle Gewandtheit mit der Unwissenheit und Leichtgläubigkeit der Menge treibe. Und dieses Geschrei wurde so laut und drohend, daß man es selbst im Palaste nicht überhören konnte. Die Sache kam in einem Ministerrathe zur Sprache, und der Minister, welcher sich ohne Schuld wußte, Herr von Persigny nämlich, hob den ersten Stein auf. „Es bestehe,“ sagte er, „ein enger Zusammenhang zwischen der Regierung und Herrn Mirès, da dieser zwei Blätter verwaltet, welche im Interesse der Gewalt wirken: Le Constitutionnel und Le Pays, Journal de l’Empire. Dieser Zusammenhang, verbunden mit den Gerüchten, welche hochgestellte Personen zu Mirès gesellen, legen der Regierung die Pflicht auf, Herrn Mirès gegenüber die ganze Strenge der Gesetze in Anwendung bringen zu lassen.“ Im Ministerrathe erhob sich keine nachdrückliche Einwendung, da Jeder sich verdächtig zu machen fürchtete. Der Kaiser stimmte Herrn von Persigny bei, und das Schicksal des Herrn Mirès war entschieden. Es wurde beschlossen, daß der kaiserliche Advocat aufgefordert würde, die Klage aufrecht zu halten, die Herr von Pontalba reichlich bezahlt zurückzuziehen für gut befunden. Der kaiserliche Advocat vollzog den Befehl. Am 15. und 16. Februar 1861 wurden die Bücher und Schriften in den Bureaux der Eisenbahncasse mit Beschlag belegt. Am 17. wurde Herr Mirès verhaftet und nach Mazas gebracht, wo er in strenger Abgeschlossenheit von jedem Verkehr fast bis zu seinem Processe gehalten wurde.

Trostlos erscheint die Abhängigkeit von der Regierung, welche die Gerichte auch bei dieser Gelegenheit wieder an den Tag legten, und der Gehorsam, mit welchem sie sich nach jedem Winke von oben herab richteten, statt mit verbundenen Augen unerbittlich ihren Weg zu gehen.[1] Der Staatsanwalt hätte die Sache fallen lassen, obgleich die Anklage des Herrn von Pontalba eine fortwährende Beeinträchtigung der Gesellschaft durch die Geranten darlegte, wenn ihm nicht vom Ministerium die Weisung fortzufahren zugegangen wäre. So wie aber Herr Mirès von der Regierung dem Gerichte geliefert wurde, da zeigten sich die Vertreter des Gesetzes mit einem Male wie von einer Wuth gegen den Angeklagten ergriffen, so daß der Eifer, mit welchem sie dessen Vernichtung betrieben, sogar die Gegner, ja die Opfer der von Herrn Mirès gegründeten Anstalt empörte. Herr Massé, welcher bei den Gerichtsverhandlungen, die Angelegenheit Mirès betreffend, den Vorsitz führte und dem es folglich oblag, mit Ruhe und Unbefangenheit, ohne jede Neigung nach der einen oder der anderen Seite hin die Debatten zu lenken, zeigte sich so leidenschaftlich gegen den Angeklagten eingenommen, daß man ihn eher für den Ankläger, als für den Präsidenten zu halten versucht war, und daß sich die öffentliche Meinung nicht ohne einige Lebhaftigkeit gegen ihn aussprach.

Am Abend des Tages, da Herr Mirès zu der größtmöglichen Strafe verurtheilt wurde, welche von der Zuchtpolizei verhängt werden kann, befand ich mich in einer bürgerlichen Gesellschaft der rue du Sentier. Natürlich daß man kaum von etwas Anderem als von dem gerichtlichen Ereigniß sprechen hörte. Zu meinem Erstaunen hatte die Schadenfreude, mit welcher die arbeitsamen Kaufleute den Sturz des Herrn Mirès vorhersahen, einer milderen Stimmung, ja einer mitleidigen Theilnahme an dem Schicksal des gesunkenen, des verlornen Mannes Platz gemacht.

„Zu fünf Jahren Gefängniß!“ sagte ein Hemdenfabrikant, „das ist zu viel, das hört auf Gerechtigkeit zu sein. Zwei Jahre wären mehr als genug gewesen.“

„Was der arme Mann von so heftiger Gemüthsart und von so hochgehendem Ehrgeiz nur leiden muß!“ sagte ein überaus reicher Modewaarenhändler. „Im Jahre 1858 war mein Sohn auf einem Balle, den Herr Mirès gab. Noch heute erzählt er von der orientalischen Pracht, die da herrschte, von den vornehmen Personen, die den Speculanten umflatterten. Ein Hof war in einen Saal umgebaut worden, der nur für die eine Nacht zu dienen hatte und den nächsten Tag wieder eingerissen wurde. 100,000 Franken hat die Arbeit gekostet. Und im Jahre 1861 ist er ruinirt, vernichtet, zu fünf Jahren Gefängniß verurtheilt! Dieser Wechsel ist zu fürchterlich!“

„Der Aufwand, den er trieb, ist sein Unglück,“ meinte ein Bankier, „den verzeihen ihm die Herren vom Gesetze nicht, die sich in den Schulen und Gerichtsstuben jahrelang abmühen, ohne es so weit gebracht zu haben, wie der glückliche Spekulant. Wenn


  1. Wir können uns mit dieser Auffassung unsers verehrten Mitarbeiters nicht ganz einverstanden erklären. Die gegen Mirès zeugenden schwer gravirenden Thatsachen sind nicht wegzuleugnen. Wenn die Gerichte dabei mehr Energie als gewöhnlich zeigten, so mag der Grund dazu wohl mehr in der allgemeinen Empörung gegen den längst verdammten Schwindel gelegen haben, weniger in der Anreizung seitens der Regierung, die in dieser Angelegenheit mehr zu fürchten als zu gewinnen hatte.
    D. Red.
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