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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Herzogs und der Anerbietungen des Präsidenten von Heim nur zwei Jahre. Von Meiningen wurde für ein Jahr der Wohnsitz nach Coburg, immer näher an Baireuth, verlegt, bis dann die Übersiedelung nach dem Ziele der Sehnsucht Jean Paul’s, nach dessen geliebtem sonnigen Marienthale am Südabhange des Fichtelgebirges, nach Baireuth, vollständig geschah. Hier übte die Verstorbene fast durch ein halbes Jahrhundert, still und verborgen vor der Welt, jene hohen Tugenden, welche ihr bis an’s Lebensende die Achtung und Verehrung aller derer erworben haben, welche das Glück hatten, auf ihrem Lebenswege ihr zu begegnen. Wenn auch Manche finden wollen, daß im Aeußern Baireuth, natürlich reducirt, mit Berlin eine auffallende Aehnlichkeit habe, so läßt sich das weniger von der Gesellschaft sagen, obwohl es damals in dieser Richtung noch besser war, als heute. Wir wollen damit nur andeuten, wie schwer es jeder anderen Frau mit weniger Genügsamkeit und Lebensklugheit geworden wäre, sich in die neuen, oft kleinlichen gesellschaftlichen Verhältnisse zu finden. Aber der Liebe wird Alles leicht. Die junge Gattin und Mutter war mit ihrem Herzen ganz in die Herzen ihres Gatten und ihrer drei Kinder hineingewachsen. Sie war für Jean Paul die leise, die unsichtbare Hand, die vor ihm her Alles aus dem Wege räumte, was den hohen Schwung seines Geistes hätte hemmen können. Sie war ihm Natalie und Lenette zugleich, Natalie, mit der er von den höchsten Dingen reden konnte, Lenette, die ihm die saftigsten Braten vorsetzte. Sie allein hatte seine hieroglyphischen Charaktere, die er Schrift nannte, entziffern können. Was er Tags über geschrieben hatte, ging Abends zum Copiren in ihre Hände über. War auf diese Weise ein Werk beendigt, so wurde es von beiden Seiten einer genauen Durchsicht unterzogen und ein Heft angelegt, in welches die Ergänzungen mit dem Zeichen eines Quadrates und einer Zahl eingetragen wurden, während eine bloße Einschaltung nur mit einem Halbmonde bezeichnet war. Die Folge einer zweiten Durchsicht war ein zweites Heft, welches zur Aufnahme der Ergänzungen jener Ergänzungen bestimmt war. Daher dieses Einschaltungssystem, dieser endlose Periodenbau in den Werken des Dichters, der übrigens an seinen Erzeugnissen außerordentlich feilte und nicht das kleinste Billet ohne eine originelle Wendung des Gedankens schreiben konnte.

Auf diese Weise hatte die Gattin alle von 1801–1818 erschienenen Werke copirt, später übernahm die älteste Tochter diese Beschäftigung, nicht ohne Gefahr für ihre eigne geistige Selbständigkeit. Aller Geist ist egoistisch, und Jean Paul war ein so mächtiger, daß er ganz unbewußt keine geistige Eigenart neben sich bestehen ließ. So mußte sich auch die Gattin allmählich von dem mächtigen Magnete anziehen lassen und nahm unwillkürlich seine Sym- und Antipathien an. Namentlich war dies in literarischer Beziehung der Fall. Herder und später die Romantiker standen ihrem Gefühl und Geschmacke näher, als Goethe und Schiller; nächst jenen waren ihr Sterne, Swift, Smolett lieb, von denen sie noch in späteren Jahren die durchlesenen Handexemplare Jean Paul’s besaß. Von dem regen Bildungseifer der Frau möchte am deutlichsten der Umstand sprechen, daß die fast siebenzigjährige noch englischen Unterricht nahm.

Alle Humoristen lieben eine gute Küche, und bei Jean Paul war dies in den Jahren seiner Ehe um so mehr der Fall, als er früher die Genüsse des Lebens hatte entbehren müssen. Wie er in seinem ganzen Leben die Beziehungen zu seiner Jugend festhielt, so liebte er auch die Speisen in der Art, wie sie seine Mutter einst zubereitet hatte. Nicht ohne Mühe gelang es der jungen Frau, dieses Geheimniß der Zubereitung zu ergründen. Ihr zarter Sinn wußte seinen Neigungen und Liebhabereien in jeder Weise entgegenzukommen. So fehlte am Martinitage nie eine fette Gans auf dem Tische. Jedes der Kirchenfeste hatte sein eigenes Gebäck, und Weihnachten durfte die Stolle um keinen Preis fehlen, und die Stolle mußte aus Hof sein. „Natürlich aber buk ich sie selbst, und die größte Lust hatte ich, wenn er beim Essen derselben meinte, in Hof habe man doch einen eigenthümlichen Vortheil in der Bereitung des Backwerkes.“ Bei diesen Worten lächelte sie und freute sich in späten Tagen noch über diese ökonomische Mystifikation.

Der Tod des einzigen einundzwanzigjährigen Sohnes hatte ihrem liebenden Mutterherzen eine tiefe Wunde geschlagen, und dazu mußte sie ihren eigenen ungeheueren Schmerz in die Brust zurückdrängen, um den des Vaters zu mildern. Max Richter war das Opfer des Ruhmes seines Vaters, er wollte in dessen Fußstapfen treten, verzweifelte an seiner Kraft und rieb sich innerlich selbst auf. Die Mutter liebte diesen an Körper und Geist gleich hoffnungsvollen Sohn, wie nur je eine Mutter ein Kind geliebt hat. Noch am Ende ihrer Tage war das Andenken an diesen Sohn der nie versiechende Thränenquell ihres Herzens. Oft traf der Verfasser sie lesend in den Briefen des Sohnes oder denen des damaligen Prorectors der Universität Heidelberg, des Hofraths Schwarz, der über den strebenden, ringenden Jüngling für das Mutterherz wahre Dithyramben geschrieben hatte.

Wenn man bisher von Jean Paul’s Privatleben sprach, legte man den Beziehungen zu einer Frau eine Bedeutung bei, die jedenfalls übertrieben ist. Frau Rollwenzel, die Wirthin am Wege nach Eremitage, war eine ganz gute, biedere Frau, die vortreffliche Kuchen buk und eine Stärke in der Bereitung von Karpfen besaß, aber eine Frau, an welche den Dichter lediglich die Gewohnheit fesselte und vielleicht auch eine kleine Dosis von Eigenliebe, deren Reiz gerade in der Bewunderung einer Frau auf dieser niedern Stufe der Gesellschaft lag. Frau Rollwenzel weinte stets, wenn ihr der Dichter seine Producte vorlas. Ja, aber sicherlich hat sie nicht verstanden, was er ihr las, und gewiß hätte ein ehrenfester Leichensermon des kräftigen Pfarrers von St. Johannis bei ihr dieselbe Wirkung gethan.

Von innigeren Beziehungen, die man hier und da hatte durchschimmern lassen, konnte nicht die Rede sein. Wenn wir auch zugeben, daß die Ehe Jean Paul’s nicht ohne jene Conflicte blieb, die jeder tiefere, geistige Inhalt dieses heiligen Verhältnisses bedingt, Conflicte, die um so tiefer sein werden, je bedeutender zwei Naturen, so war doch seine Gesinnung zu rein, sein Begriff von der Ehe zu erhaben, als daß er sich in dieser Beziehung je hätte etwas zu Schulden kommen lassen. Das eheliche Band zwischen Beiden war durch ein geistiges Band gefestet und verklärt. Seine Liebe und Verehrung für die Gattin war am Ende dieser Ehe dieselbe wie im Anfang geblieben, und mit Recht konnte sie nach dem Tode des Gatten an eine befreundete Dame schreiben: „Ich möchte mein Leben mit keinem andern vertauschen. Ich habe in jeder Beziehung das Höchste genossen.“ Daher sie auch nach dem Heimgange ihres Mannes in Briefen an befreundete und distinguirte Personen sich mit einem gewissen Stolz in ihrer prächtigen Handschrift als die Wittwe Jean Paul’s unterschrieb.

Nach dem Tode des Gatten war es einsam um sie geworden. Die beiden Töchter folgten dem Zuge ihres Herzens und der Bestimmung ihrer Gatten nach München. Die ältere hatte den früheren Maler und späteren Kunstschriftsteller Ernst Förster geheirathet, die jüngere einen bairischen Officier. Von den Freunden des Hauses waren die einen von Baireuth weggezogen, wie Hofrath Langermann, der einem Rufe nach Berlin folgte, ferner ein Sohn Herder’s, andere starben Einer nach dem Andern hin, wie die Familie des Präsidenten von Welden, Emanuel Osmund, der katholische Geistliche Oestreicher. – „Oft kommt es mir vor, als wäre ich auch schon gestorben,“ pflegte sie oft zu äußern.

Vom Jahre 1825 bis 1850 führte sie in Baireuth jenes stille Wittwenleben, von dem wir nachher sprechen werben. Ein zweimaliger Aufenthalt in München und eine Reise nach Berlin, waren die einzigen Unterbrechungen. In Berlin begegnete man der seltenen Frau mit besonderer Aufmerksamkeit, besonders von Seiten der Frau von Paalzow und der Prinzessin Wilhelm, welche der Wittwe des Verfassers der Levana mit ihrer jüngsten Tochter, der späteren Königin von Baiern, auf dem Arme entgegenkam.

Eine freudige Botschaft war für die Ueberlebende der Entschluß König Ludwig’s, Jean Paul auf dem Gymnasiumsplatze in Baireuth eine Statue zu errichten, und diese Enthüllungsfeierlichkeiten waren die glänzenden Herbstlichter ihres Lebens. „Anfangs,“ äußerte sie, „war es mir, als ob ein Schwert durch meine Seele dränge, wenn ich an dem Standbild vorüberging – später verlor sich zwar das Gefühl, aber wenn ich es heute noch vermeiden kann, vorüberzugehen, vermeide ich es doch.“

Man muß es den Baireuthern zum Lobe nachsagen, daß sie die Ehre, die Wittwe Jean Paul’s in ihren Mauern zu haben, wohl zu schätzen wußten. Von Seite der Gesellschaft war „die Frau Legationsräthin“ der Gegenstand zarter und steter Auszeichnung, von den niederen Schichten wurde der „Jean Paulin“ als einem Wesen höherer Art begegnet. Voll pietätvoller Rücksicht benahm sich vorzüglich die Familie des Banquier Schwabacher gegen sie, indem sie von der großen Wohnung, die Jean Paul bei Lebzeiten

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