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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

half, war es besser, das, was einmal geschehen mußte, sofort zu thun – John sollte nicht sagen, daß er keinen Muth gehabt. Er wollte gerade und offen an Margaret’s Vater schreiben, ehe dieser wieder mit ihm zusammentraf. Trotz dieses klaren Entschlusses hatte er, in der Office angelangt, dennoch ein starkes Gefühl von Zagen zu überwinden, ehe er nach der Feder griff, um die letzte Entscheidung seines Schicksals herbeizuführen, und eine geraume Zeit währte es, ehe er die passenden Anfangszeilen gefunden und seine Sätze in Fluß kamen.

Was er schrieb, war der völlige Abdruck seines Innern. Er schilderte mit kurzen Worten seinen früheren Seelenkampf, der ihn zu einem Verlassen des Geschäfts gedrängt, bis Harriet’s Dazwischenkunft Hoffnungen in ihm geweckt, deren Erfüllung bisher als einfache Unmöglichkeit vor ihm gestanden; er erzählte von dem inneren Glück, welches ihm seitdem durch das engere Zusammenleben mit der Familie erblüht und daß er wohl noch lange keinen weiteren Schritt zu einer Aenderung dieser Verhältnisse gewagt hätte, wenn nicht John’s Brief, welchen er beilegte, ihn zum Handeln getrieben. Er bekannte, daß soeben eine Verständigung zwischen ihm und Margaret stattgefunden, daß er aber nicht vermöge, ruhig zu sein, ohne seinem väterlichen Freunde die volle Sachlage eröffnet zu haben. Er sprach keine Bitte aus, äußerte keine Hoffnung, der Brief war nichts als ein vertrauungsvolles Bekenntniß, und so, als er ihn noch einmal durchlesen, schloß er ihn mit einem tiefen Athemzuge und sandte ihn durch einen der Porters nach Frost’s Hause. Es war halb vier Uhr geworden, als er geendigt; aber er wußte, daß Frost vor Vier nie seine Wohnung verließ.

Und nun folgte eine Stunde „Hängens und Bangens in schwebender Pein.“ Bald wollte ihm der rasch gethane Schritt als die größte Uebereilung seines ganzen Lebens erscheinen, bald traten ihm wieder Frost’s wohlwollende Züge vor die Augen, und er suchte sich zu vergegenwärtigen, welchen Ausdruck sie wohl beim Lesen seines Briefs annehmen würden, bald überredete er sich selbst, daß es in der Lage, in welcher er sich befand, kaum einen andern Weg als den eingeschlagenen für ihn hätte geben können. Es war halb fünf Uhr geworden, ohne daß er zu einem Striche an seinen Arbeiten gekommen wäre; mit jeder weiteren Minute aber begann mehr eine stille Bangigkeit über Frost’s verzögerte Ankunft sich seiner zu bemächtigen, und doch, wenn er sich ihn eintretend dachte, hätte er die Entscheidung gern noch weiter hinausgeschoben.

Da öffnete sich plötzlich, ohne daß er ein vorheriges Geräusch vernommen, die Thür; ernst trat der alte Handelsherr in’s Zimmer und schritt mit einem: „Kommen Sie herein, Reichardt!“ hindurch. – Der Angeredete aber hätte nicht zu sagen vermocht, ob die Worte kurz oder freundlich gewesen waren. Nur einige Secunden gebrauchend, um mit einem kräftigen Athemzuge seine Brust zu erweitern und seinen ganzen Muth zusammenzuraffen, folgte er.

Frost hatte sich auf einen der Divans geworfen und deutete mit einem: „Setzen Sie sich einmal hierher, lieber Freund!“ auf einen bereits herbeigezogenen Stuhl. Wie sich einen Moment sammelnd blickte er vor sich nieder, Reichardt aber meinte während dieser Pause sein eigenes Herz schlagen zu hören.

„Sie haben mir einen Brief gesandt,“ begann endlich der Erstere aufsehend, „und ich muß Ihnen sagen, daß Vieles des darin Enthaltenen mir nicht ganz unbekannt war, wenn ich auch kaum einen so raschen Schritt wie Ihren heutigen von Ihnen erwartete. Wie alt sind Sie wohl, Sir?“

„Ein und zwanzig Jahr geworden!“ erwiderte der Deutsche halblaut.

„Very well, und Margaret ist erst siebzehn,“ nickte Frost: „ich gestehe Ihnen aber, daß ich die allzufrühen Heiratben nicht liebe, wenn ich auch Ihrer geistigen Reife gern vollen Credit gebe. Selbst John hat noch Zeit, besonders da durch die Uebersiedelung von Harriet’s Vater jede Nothwendigkeit für eine beeilte Vereinigung der jungen Leute wegfällt, und ich werde ihm noch heute meine Ansicht darüber mittheilen, indessen,“ fuhr er nach kurzem Schweigen fort, während dem langsam die Farbe aus Reichardt’s Backen gewichen war, „will ich gern diese Gelegenheit wahrnehmen, um Ihnen offen meine Absichten und Wünsche in Bezug auf Sie mitzutheilen, so wenig ich auch daran dachte, daß dies jetzt schon geschehen solle. Sie sind mir lieb, Reichardt, ich habe Vertrauen zu Ihrem Charakter und Ihrer eigenthümlich gebildeten Natur, und ich, habe mir gesagt, daß Sie einmal für John, sobald dieser das Geschäft übernähme, eine nothwendige Ergänzung bilden würden, während einige Mängel Ihrerseits, wenigstens Mängel für unser Amerika, die gerade aus Ihren besten Eigenschaften entspringen, durch John paralysirt werden müßten. Ich habe mir ferner gesagt, als ich die erste Ahnung von Ihrer Neigung zu Margaret erhielt, daß es ein reiner Gewinn sei, wenn deren mütterliches Vermögen für das Geschäft durch Sie erhalten blieb, und so gesteht Ihnen der Kaufmann, daß ihre Wünsche mit dem natürlichsten Interesse meinerseits zusammentrafen, denen ich als Mensch, der ich selbst meine Carriere vom armen Clerk aus gemacht habe, kaum etwas entgegen zu setzen gehabt hätte. Aber Sie sind noch in einem Alter, Reichardt, in welchem sich, so viel ich auch von Ihnen hoffe, niemals eine bestimmte Garantie für eine Neigung geben läßt, und Margaret soll ebenfalls erst noch die Welt sehen und sich prüfen; ich will jetzt nicht störend in ein Verhältniß greifen, das sich einmal entsponnen hat, indessen lassen Sie vorläufig einmal ein Jahr oder länger verstreichen, ehe Sie mir wieder einen Brief, ähnlich dem heutigen, schreiben.“

Mit jedem Worte des Sprechenden war die Farbe mehr in Reichardt’s Gesicht zurückgekehrt, seine Augen glänzten auf und wurden größer, zwischen ihnen indessen stand eine sichtlich peinliche Spannung auf das „aber“ des Schlußsatzes, das nicht ausbleiben konnte. Es kam, und kaum hatte er den Sinn desselben ergründet, als er auch aufsprang und mit beiden Händen die Rechte des alten Herrn faßte. „Mr. Frost – !“ mehr ließ ihn seine innere Bewegung nicht sprechen.

All right, Sir! ich weiß, wie Sie’s meinen!“ rief Jener sich erhebend und kräftig des jungen Mannes Hand schüttelnd, „bleiben Sie, wie Sie sind, und Sie sorgen für unser beiderseitiges Interesse. –“

Reichardt war nach seinem Arbeitsplatze zurückgekehrt, aber es litt ihn hier nicht länger; er mußte hinaus und sich Luft machen. Laufende Geschäfte gab es um diese Tageszeit für ihn fast nie, und so griff er nach seinem Hute, raschen Schrittes die Office verlassend. An dem Ausgange zur Straße lief er fast einen ihm begegnenden Menschen über den Haufen, fühlte sich aber auch zugleich fest am Arme gefaßt. „Was ist’s denn, brennt’s oben’?“ Der Kupferschmied war es, der ihm lustig die Worte entgegenwarf und das Gesicht des Eilenden nach dem seinigen kehrte.

„Meißner!“ rief der Letztere angenehm überrascht, „wo stecken Sie denn, daß ich Sie niemals mehr sehe?“

„Arbeit, fürchterliche Arbeit, aber auch Bezahlung danach!“ war die Erwiderung, „er hat seinen Mann gekannt, der Mr. Frost, als er mich unterbrachte, und gewußt, was ich brauche. Noch zwei Jahre so, Reichardt, und ich habe mit meinem Bischen zusammen eine Farm, wie sie mir schon lange in der Nase steckt. Aber noch einmal, was rebellirt denn in Ihrem Kopfe?“

Reichardt blickte ihn mit leuchtenden Augen an. „Sie wissen noch immer nicht, warum ich hier fort wollte, und nicht, warum ich wieder blieb,“ sagte er mit gedämpfter Stimme; „haben Sie wohl, als Sie in Frost’s Hause waren, eine junge Dame dort gesehen ?“

Gespannt nickte der Andere.

„Meißner, das wird meine Frau!“ rief ihm Reichardt im ausbrechenden Glücke in’s Ohr, faßte dann dessen Kopf mit einem derben Schütteln zwischen seine Hände und eilte davon. Der Kupferschmied aber sah ihm einige Secunden wie verblüfft nach, ließ dann einen halblauten Pfiff hören und brummte, mit der Faust in die flache Hand schlagend: „Wahr, und wieder wahr: Nur immer laufen lassen, was sich nicht halten läßt!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_548.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)