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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

barsch abgewiesen, daß ich eingezogen sei. Er schien das auch vollkommen in der Ordnung zu finden, über meine vorherige Anfrage wurde kein Wort mehr gesprochen, und der Mann war von da an so freundlich, wie er sein konnte. Ich bekam sogar etwas sehr Seltenes, für mein Maulthier etwas Hafer und Mais, denn draußen auf der Weide war wenig oder nichts für dasselbe zu finden.

Außerdem entdeckte ich eine Tienda, in der ich ein Licht, etwas Brod und ein Blech mit Sardinen in Oel kaufen konnte. Chocolade und etwas guten Cognac hatte ich selber bei mir, und wenn der Leser wissen will, wozu ich solche lucullische Vorbereitungen an einer solchen öden Stelle machte, so muß ich ihm einfach sagen, daß es Sylvesterabend war, den ich an diesem Ort allein und einsam verbrachte. Natürlich wollte ich ihn auf eigne Hand feiern und mir wenigstens einen ordentlichen Grog brauen, die Gesundheit meiner Lieben und Freunde daheim zu trinken.

Wie denn die Zeit kam, daß daheim die Mitternachtsstunde schlug, und während ich im Geist die fröhlichen Paare daheim in den erleuchteten Sälen dahinfliegen sah, während ich manches stillen traurigen Stübchens gedachte, in dem sich gute Menschen ein herzliches Prost-Neujahr entgegenriefen – während ich wußte, wie – doch das Alles läßt sich eben nicht so mit Worten sagen, wie man es in einer solchen Stunde fühlt; als es aber daheim zwölf Uhr war, und während in Ualjay der Hagel auf das Dach niederraschelte und auf das hölzerne Vordach der Verandah schlug, lag ich ausgestreckt auf meinen Schaffellen, den Kopf auf dem Sattel, den dampfenden Grogbecher neben mir, und ein herzlicher gemeintes Prost-Neujahr hat Niemand aus der weiten Fremde in die Heimath gesandt, die guten Menschen dort zu grüßen.

Sonst schlafe ich sowie ich den Kopf auf den Sattel drücke – heute ging’s nicht, und lange noch lag ich träumend und wach, rauchte eine Cigarre nach der anderen und blies den Dampf in das neben mir stehende flackernde Licht hinein; der Mensch kann nämlich, wie bekannt, nicht im Dunkeln rauchen, so sonderbar das auch für einen Nichtraucher klingen mag. Sobald man den Dampf nicht sieht, weiß man nicht, ob Pfeife oder Cigarre brennt, und demzufolge wäre der Genuß des Rauchens also in der That nur eine Einbildung.

So lag ich, bis es auch in Ualjay schon sicher lange zwölf Uhr war, aber hier blieb Alles still und stumm. Das alte Jahr war vorüber und ein neues fing an, das etwa wußten die Leute, und Weiteres kümmerte sie nicht. Wie hätten sie auch mit irgend einem bestimmten Gefühl das alte Jahr scheiden sehen sollen, da sie überhaupt gar kein bestimmtes Gefühl für Zeit haben! Sie wissen, daß das Jahr 365 Tage hat, das ist Alles, wie rasch diese fliegen oder wie langsam, bleibt sich völlig gleich, denn sowie ein Tag vorbei ist, kommt ein anderer, der genau so aussieht und ganz denselben Werth hat, wie sein Vorgänger. Wozu die Tage etwa zu gebrauchen wären, und daß sie doch vielleicht selber in die Welt gesetzt sein könnten, derselben etwas zu nützen, fällt ihnen gar nicht ein.

Daß wir Europäer diesen Zeitabschnitten vielleicht ein wenig zu viel Nachdenken widmen, ihnen vielleicht etwas zu große Bedeutung zulegen, mag vielleicht sein, aber so ein neues Jahr ist doch auch immer wieder ein Riesenschritt dem Grab entgegen, nach denen gemessen unsere Bahn nicht eben lang erscheint, und daß Einem bei einem solchen Schritt dann noch eine ganze Menge von anderen Dingen einfallen – wer kann’s dem armen Menschenherzen verdenken?

Mein Licht wehte endlich nieder, und als ich am nächsten Morgen aufwachte, stand die Neujahrssonne schon hoch am Himmel. Da ich übrigens keine Neujahrsvisiten zu machen hatte, störte mich das wenig, und ich stand langsam auf, meine Chocolade zu kochen und dann mein Thier zum Weitermarsch zu satteln.

Als ich die Thür öffnete, schien und blitzte die Sonne auf die weißbereiften und behagelten Wiesen und Dächer – Schnee und Eis unter 11 Grad südlicher Breite in Peru, wo, allen authentischen Bildern nach, die Leute als einzige Kleidung einen Schurz von rothen und gelben Federn und eine ebensolche Krone tragen. Wetter noch einmal, wie fest ich mich in meinen Poncho einwickelte und wie oft ich die Finger wärmen mußte, bis ich den Sattel wieder aufgeschnallt hatte!

Was half es mir jetzt, daß ich den Winter unter den Tropen zubrachte? Ich fror hier mit meinen verhältnißmäßig dünnen Kleidern mehr, als ich in Deutschland im kältesten Winter gefroren haben würde. Die aufsteigende Sonne leckte aber bald den Reif von den Hängen, und erst einmal im Sattel, wurde mein Thier, wie ich, bald warm genug.

Von hier aus führte der Weg bis Cerro de Pasco nur durch eine weite Pampa – eine fast ununterbrochene Hochebene, auf der das Maulthier wacker austraben konnte. Trotzdem daß hier die eigentliche Regenzeit schon länger eingesetzt, war ich bis jetzt noch glücklich verschont geblieben, und selbst die jene Ebene durchströmenden Flüsse standen so niedrig, daß ich sie alle an den verschiedenen Fuhrten passiren konnte.

Ganz merkwürdig ist die Scenerie, die sich dem Reisenden bietet, wenn er das enge Thal hinter sich läßt, in dem Ualjay noch liegt. Dort öffnet sich die Pampa vor ihm, und rechts und links weichen die niedrigen Berghöhen mehr und mehr zurück. Diese bestehen aber hier aus den wunderlichst geformten Steinen und Felsblöcken, die sämmtlich aussehen, als ob sie theils gemeißelt, theils durch Menschenhände sorgfältig aufeinander geschichtet wären. Dazu ist der ganze Berg nicht etwa Fels, sondern Rasenboden, aus dem die einzelnen Steine förmlich heraus zu wachsen scheinen, und was für sonderbare Gruppen bilden sie! Hier steigt ein einzelner Pfeiler wohl sechzig bis achtzig Fuß hoch vollkommen isolirt empor, dort sind vier oder fünf Felsblöcke zu einer Art riesigen Menschenfigur, die einen weitausstehenden Hut trägt, aufgeschichtet, und alle möglichen fabelhaften Ungethüme kann sich die nur einigermaßen lebhafte Phantasie aus diesen zerrissenen Gestalten und Formen zusammenstellen.

Man soll nie in der Welt etwas aufschieben – als ich dort vorbei kam, wollte ich mir ein paar der sonderbarsten Gruppen abzeichnen, verschob es aber auf den Rückweg, und als ich zurück kam, regnete es gerade an der Stelle, und ich mußte machen, daß ich nach Ualjay hineinkam. Hier traf ich mit einer kleinen Reisegesellschaft zusammen, die ebenfalls von Lima kam und nach Cerro de Pasco wollte. Es war ein Kaufmann von dieser Stadt, mit seiner jungen Frau, einem kleinen fünfjährigen Burschen vor sich auf dem Sattel, und ein älterer Herr, der sie begleitete – möglicherweise der Schwiegervater.

Unterwegs fanden wir einen jener kleinen Haidevögel, die sich ziemlich zahlreich in der Steppe finden. Sie sind etwa von der Größe einer Lerche, mit der sie auch sonst viel Aehnlichkeit haben, und weiß und schwarz gefleckt. Dies eine harmlose Thier flatterte um uns her, und wir sahen, wie es eines seiner Jungen, das noch nicht recht flügge war, wegzubringen suchte. Die junge Frau äußerte den Wunsch, den kleinen Vogel zu haben, und der gehorsame Gatte willfahrte dem. Die arme Mutter flog mit ängstlichem Flügelschlag und Klageruf hinter uns drein, als ob sie den Raub zurückerbitten wollte. Ich sagte der jungen Dame, daß sie unmöglich das kleine hülflose Thier am Leben erhalten könne, ihre einzige gleichgültige Antwort darauf aber lautete: „ich weiß es“, und sie behielt das arme Thierchen in der Hand, bis es die Mutter lange in Verzweiflung aufgegeben hatte und sie müde war, es zu tragen – dann warf sie es auf die Steppe hinaus, dort zu verschmachten.

Es war eine noch junge, ganz hübsche Frau, aber ich hätte von da an kein freundliches Wort – nicht einmal ein artiges –mehr mit ihr wechseln können. Keinenfalls hatte sie ein Herz, wie sie sich denn auch um ihr eigenes Kind den ganzen langen Weg nicht ein einziges Mal bekümmerte.

Hier begegneten wir einer Masse von Arrieros und besonders Llamatreibern, denn Cerro de Pasco ist eine nicht unbedeutende Stadt, die außerdem Nichts selber erzeugt, sondern Alles, bis auf das Letzte, aus der Umgegend zugeführt bekommen muß. Nur das Silber, um dafür zu bezahlen, liegt um sie her im Bauch der Erde, und die Menschen haben sich in einer kalten Einöde angesiedelt, um es heraus zu wühlen,

Pasco war die frühere Minenstadt, etwa drei Leguas von dem jetzigen Cerro entfernt, die Minen aber dort erwiesen sich schlecht, und die Bewohner von Pasco zogen sich meist alle nach den reicheren Minen von Cerro hinüber, wo sie sich häuslich niederließen. Da aber Cerro ursprünglich von Pasco kam, nannten sie die Stadt, wie es auch daheim nicht selten unsere Schriftsteller thun, Cerro de Pasco. – Pasco besteht solcher Art noch immer fort; wir konnten es vor uns an einem kahlen trockenen Berghang liegen sehen, aber nur noch wenige Einwohner sind dort, mehr aus alter Gewohnheit wie eines wirklichen Nutzens wegen, kleben geblieben,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_538.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)