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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Abends treibt der Kaiser Musik, für welche er eine außerordentliche Vorliebe hat; auch hierzu wird ihm Gesellschaft geladen, welche natürlich meist aus musikalischen Elementen besteht, die sich aus allerlei Ursachen mit der Last solcher Soireen befreunden. Dies dürfte ziemlich aller Verkehr sein, wenn man einige Audienzen abrechnet, die Ferdinand I. noch unterhält. Zwischen ihm und seiner Familie in Wien herrscht aus erklärlichen Ursachen eben kein inniges Verhältniß. Der Kaiser kann es nicht verwinden, daß man ihn über Nacht bei Seite geschoben, und die regierende Familie hat kein Bedürfniß, den alten gutmüthigen Fürsten darüber weiter zu trösten. Sehr selten, daß ein Mitglied der kaiserlichen Familie aus Wien bei der Durchreise den früheren Herrscher besucht; nur seine Stiefmutter pflegt alljährlich bei ihm einige Tage zuzubringen, und ebenso der Erzherzog Karl, der mit ihm zugleich als präsumtiver Thronfolger zu Gunsten seines Sohnes Franz Joseph am 2. December 1848 abdankte. Beide Brüder haben eine ungemeine Aehnlichkeit, und die Anhänglichkeit, welche der bejahrte Erzherzog für den Kaiser Ferdinand hat, bietet diesem während des mehrtägigen Besuchs Gelegenheit, sein Herz mit den kleinen Sorgen vertrauensvoll ausschütten zu können. Auch läßt man bei dieser alljährlichen Gelegenheit den Kaiser an des Erzherzogs Karl harmlosen Vergnügungen Antheil nehmen; namentlich gestattet man, daß er alsdann das Theater besuche, von dem man ihn sonst „der Aufregung wegen“ und zum Kummer des dafür passionirten Greises fern hält. Es muß ein lustiges Wiener Stück mit Ballet und Gesang gegeben werden, denn der Kaiser wie sein Bruder haben nur daran ein ausgesprochenes Vergnügen und lachen in ihrer kleinen Loge sich herzlich über den Komiker und seine Witze satt, in jener alten patriarchalischen Ungenirtheit, die sonst immer, trotz aller Etiquette, der kaiserliche Hof bei der Berührung mit dem Volke zeigte und die jetzt verschwunden ist. Der diesjährige Besuch des Theaters brachte dem Kaiser unerwartet eine Ovation, welche in Wien gerade nicht angenehm berührt haben mag. Das Publicum begrüßte den greisen Fürsten mit einer ungeheuchelten Innigkeit und lauten Hochs und Zivios, die sichtlich den Kaiser in Rührung versetzten. Es war eine unter den jetzigen Verhältnissen bedeutungsvolle Demonstration für die Autonomie des „Königreichs Böhmen“. Ferdinand I. war ja der letzte gekrönte König desselben!

Den Sommer pflegt der Kaiser auf seinen Herrschaften Reichstadt oder Ploschkowitz in Böhmen zuzubringen. Letztere Herrschaft hat ihn bei der neuen Gemeindewahl im Februar d. J. zum Bürgermeister erkoren, und der Kaiser nahm dies suffrage universel auch an, ebenso wie der jetzt auf Brandeis in Böhmen herrschende Ex-Großherzog von Toscana das seiner Bauern. So fanden beide Fürsten hier ihre Anerkennung und herrschen als Bürgermeister.

Die kindliche Naivetät des Kaisers Ferdinand ist sprüchwörtlich. Sie ist sein Charakter, und eine Menge Anekdoten könnte man erzählen, um sie zu kennzeichnen. Als der bekannte Claviervirtuose Dreyschock einmal bei ihm spielte, war der Kaiser ganz entzückt über diese Fertigkeit des Spiels. Natürlich rechnete der Virtuos außer anderem Lohn auch auf außerordentliche Complimente Seitens des Fürsten; doch was sagte dieser, als der Spieler zu Ende war? – „Sie müssen recht schwitzen, nicht wahr?“ – Ein ander Mal ließ sich der Kaiser photographiren und nachdem er sich hatte erzählen lassen, wie sein Verhalten dabei sein müsse, ergriff er schelmisch-lächelnd den Arm des Photographen und sagte zu ihm in seinem gemüthlichen Wiener Dialekt: „Na, i wer schon hübsch artig sein!“ – Auch eine andere Anekdote ist nicht uninteressant. Als man Ferdinand I. nach dem italienischen Kriege von 1859 den Inhalt des Friedensvertrages mittheilte, wonach die Lombardei von Oesterreich abgetreten wurde, bemerkte er: „Na, so hätt’ ich’s halt auch noch g’troffen!“

Auch seine Güte ist sprüchwörtlich. Der Kaiser, dessen ganzes Wesen ein kindliches zu nennen ist, hat unaufhörlich das Bedürfniß zu geben, und die Masse seiner Geschenke, sein ausnehmend weiches Gemüth, erwarben ihm nicht ohne Grund den Beinamen des „Gütigen“. Aber wie es einer solchen Natur entspricht, „erfließen“ die Geschenke und Almosen ohne Bewußtsein über die Wirkung derselben, und die Umgebung des Kaisers läßt ihn auch nur nach ihrer Anleitung dieses Herzensbedürfniß befriedigen. Bei dem ungeheuren Privatreichthum Ferdinand’s kann es nicht auffallen, daß er fast täglich mehrere hundert Gulden verschenkt; aber diese eminente Summe, welche so jährlich aus seiner Schatulle fließt, wirkt verhältnißmäßig nur sehr unbedeutend als wirkliche Wohlthat. Wohl werden viele Arme und Verdiente, die sich die Protection der Umgebung erwerben, bedacht; aber die große Summe wird doch nur der Kirche für allerlei, oft wahrhaft unnütze Dinge gegeben. Um jedes Altarbild, jeden Umbau einer Kirche oder Verschönerung derselben wendet man sich an Ferdinand I., und selten vergeht eine Woche, in der die „Prager Zeitung“ nicht ein Register über Geschenke von je einigen hundert Gulden für solche Zwecke veröffentlicht. Der Kaiser will glücklich machen, will schenken von seinem Ueberfluß, und da seine Umgebung ihm allein die Anleitung dazu giebt, so unterstützt er überwiegend nur deren Protectionen und Tendenzen, die mit denen des Priesterthums nicht wenig verwandt sind.

Letzteres, immer beeifert, sich fette Opfer auszusuchen, hat zwar nie rechte Allmacht über den alten Kaiser erhalten, der trotz aller Einwirkungen doch immer einen unverfälschten, gesunden Menschenverstand sich bewahrte; aber so viel haben die geistlichen Herren doch erreicht, daß der exilirte Monarch äußerlich Alles thut, was sie wünschen, die Messe besucht, ihre Gesellschaft erträgt und ihre Anordnungen, oft mit den ihm eigenthümlichen kaustischen Glossen, respectirt. Dagegen ist ihnen, namentlich den Jesuiten, die Gemahlin Ferdinand’s vollständig ergeben. Sie wurde als sardinische Prinzessin an dem Hofe ihres Vaters, des ersten Victor Emanuel, danach erzogen, um im Alter empfänglich für alle Anforderungen der Geistlichkeit zu sein. Die neuesten Ereignisse, der Krieg Sardiniens gegen Oesterreich und Rom, hat sie, die nie vergaß, daß ihr Vaterland Italien sei, vollends den religiösen Exercitien anheimfallen lassen, und Beten und Fasten ist ihre einzige Beschäftigung geworden. Zwischen ihr und dem Kaiser herrscht, wie früher, so noch jetzt, die strengste Etiquette, und die beiden Gatten haben fast gar keine Berührung familiärer Art mit einander. Nur nach dem Diner pflegt der alte Kaiser eine Schale mit Früchten zu nehmen und damit nach dem Zimmer seiner Gemahlin zu gehen, um dieselben in traulichem Gespräch mit ihr zu verzehren. Aber wie oft wird auch dieses Beisammensein durch die Beichtväter der Kaiserin verhindert! Der Kaiser findet häufig die Thür zu den Gemächern seiner Gemahlin verschlossen, und lautlos, aber schelmisch vor sich hin lächelnd kehrt er nun wieder zurück; er weiß, daß der Kaiserin von ihren Jesuiten Buße und Fasten auferlegt worden ist, und sie, gehorsam dem Befehle der Priester, jede Berührung mit der Außenwelt alsdann strenge vermeidet.




Ein Ritt von Lima aus ins Innere.
Reiseskizze von Fr. Gerstäcker.
(Schluß.)

Der eigentliche Gipfel der Cordilleren zeigt sich aber hier keineswegs so scharf und entschieden ausgeprägt, wie weiter südlich und östlich von Valparaiso, wo man den wirklich scheidenden Gebirgsrücken in einer halben Minute passiren kann. Hier ist die Höhe weit mehr gebrochen und in kleine Hügel und Tiefen abgetheilt; sogar eine Lagune hat sich dort oben gesammelt, und ich fand eigentlich erst, daß ich den wirklichen Hauptgipfel erreicht hatte, als ich plötzlich wilde, mit Schnee bedeckte Hänge vor mir sah, deren weiße Flächen tiefer hinabreichten, als ich mich selber befand. Die Schneegrenze, d. h. die Linie des ewigen Schnees, die in der Schweiz etwa auf 9000 Fuß liegen wird, wenn auch einzelne von ihren Gletschern bis 8000 herunterreichen, liegt wunderbarer Weise unter und nahe den Wendekreisen viel höher als unter der eigentlichen Linie selber, denn sie beträgt unter dem Aequator 15,000 und unter jenen 16–17,000 Fuß. Woher das kommt, ist noch nicht erklärt, wenn auch für Amerika allein eine Erklärung leicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_536.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)