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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

aber Sie möchte ich auch keinem andern Weibe gönnen, als nur meiner Margaret!“

„Miß Harriet, um Gotteswillen!“ rief Reichardt und die Sprache schien ihm im plötzlichen Schrecken versagen zu wollen; in ihrem Augen aber, das dunkel und groß auf seinem Gesichte ruhte, zitterte es wie eine gewaltsam unterdrückte Empfindung.

„Sie sollen Vertrauen zu mir haben, Sir, oder ich nehme es mir!“ sagte sie, während ihre Hand von seinem Arme glitt: „die größten Seiten Ihres Charakters scheinen nur da zu sein, um Unglück anzurichten, aber ich werde es diesmal verhüten! Warum wollen Sie fort, Sir, wenn Sie nicht meinen, Ihr Herz habe Ihnen einen schlimmen Streich gespielt, dessen Folgen Sie mit Aufopferung Ihres Glückes vorbeugen müssen? Sagen Sie doch, daß das, was mir mein Gefühl im ersten Moment gesagt und meine Augen dann bestätigten, falsch war, sagen Sie es doch, wenn Sie können!“

„Miß Harriet,“ erwiderte Reichardt, der mit Macht die ihn erfassende Verwirrung niederzukämpfen suchte, „wenn Sie nicht wollen, daß ich sofort und unverrichteter Sache das Haus verlasse, so ziehen Sie weder mich noch meine Verhältnisse in unser Gespräch –“ er mußte vor einer Erregung, die alles Blut nach seinem Herzen zu treiben schien, innehalten.

Das Mädchen sah ihm zwei Secunden lang schweigend in das bleiche Gesicht. „Ich will Ihnen nur einen kurzen Vorfall erzählen, und dann mögen Sie gehen,“ erwiderte sie ruhig. „Ich konnte mir heute Nachmittag schon im Voraus denken, was das Ende Ihres Gesprächs mit Mr. Frost sein würde, und trat, mit mir selbst fertig, da ich die Denkweise des alten Herrn ziemlich genau kenne, hier in’s Zimmer, als Sie eben das Haus verließen.

„Er will nicht reden,“ rief er mir entgegen, „und wenn ich auch sicher glaube, daß er einen genügenden Grund für sein Handeln hat, so frappirt mich doch dieses ängstliche, lichtscheue Verbergen seiner Gedanken.“ – „Wollen Sie meine Ueberzeugung hören?“ sagte ich; „er liebt Margaret, Sir, fühlt sich zu schwach, um dagegen anzukämpfen, und hält sich doch auch selbst für zu gering, um eine Hoffnung hegen zu dürfen!““

Reichardt’s Hand faßte wie in einem Krampfe den Arm der Sprecherin, während seine Augen sich fast unnatürlich erweiterten. „Harriet, Sie haben das nicht gethan,“ rief er mit einer Stimme, die ihrer ganzen Kraft beraubt schien, „sagen Sie nein, Sie wissen nicht, was Sie damit angerichtet hätten!“

„Wir wollen das abwarten. Sir, so schlecht sich auch sonst meine irdische Natur zur Schutzengelrolle eignet!“ erwiderte sie, ohne Zucken den Druck seiner Hände aushaltend, während es leise wie ein melancholisches Lächeln über ihr Gesicht glitt. „Mr. Frost,“ fuhr sie dann in ihrer frühern Weise fort, „sah mich überrascht mit großen Augen an, ohne ein Wort zu reden: bald aber klärte sich sein Gesicht zu einer Miene voll sonderbaren Ausdrucks aus: „ganz deutsch!“ sagte er vor sich hin und begann einen Gang durch’s Zimmer zu machen. „Haben Sie schon eine ähnliche Aeußerung gegen Margaret gethan?“ fragte er dann. vor mir stehen bleibend. – „Ich glaube, es wäre unvorsichtig gewesen, Sir!“ sagte ich. Er nickte schweigend. „Und was sagen Sie dazu, Harriet?“ begann er nach einer Weile wieder. – „Nichts, Sir, als daß Margaret in ihm das beste Loos ziehen würde!“ – „Also meinen Sie, daß auch Margaret –?“ – „Ich meine nur, daß sie Alles ahnt, Sir, und sich umsonst gegen ihre eigenen Gefühle sträubt –““

„Nein, nein!“ unterbrach sie Reichardt, der mit stockendem Athem jedes Wort von ihren Lippen aufgefangen hatte, „Sie wissen ja nicht – o mein Gott, mein Gott!“

„Also leugnen Sie doch wenigstens nicht mehr,“ rief sie mit plötzlich aufleuchtendem Gesichte, „und nun sagen Sie mir doch, ob sich etwa Margaret Ihnen zuerst hätte erklären sollen, oder ob Sie von Mr. Frost die vorherige Versicherung erwarteten, daß die Liebe zu einem reichen Mädchen in Amerika durchaus nichts Ungehöriges sei? sagen Sie mir doch, ob es nicht eine Feigheit ist, seinem Glücke den Rücken kehren zu wollen, nur weil man nicht den Muth hat, es zu erringen?“

„Feig?“ erwiderte er, unfähig seine Empfindungen länger zu beherrschen; „haben Sie denn wohl einen Begriff von einem Kampfe gegen sich selbst, Miß, oder kennen Sie alle die Umstände, die einen Entschluß wie den meinigen herbeiführen mußten?“

Very well,“ sagte sie mit einem Lächeln, das wie ein Siegeszeichen in seinem Gesichte aufstieg, „so werden Sie jetzt also alle Ideen, Ihre Stellung zu verlassen, aufgeben und vorläufig hier ruhig warten, bis ich wieder zurück bin!“ Sie wandte sich ohne weiteres Wort nach einer Seitenthür und verschwand dort.

Als sich Reichardt allein sah, überkam es ihn wie eine völlige Verwirrung aller seiner Gedanken, in der er sich nur der einen Frage klar bewußt war: Wohin ging sie? was beabsichtigte sie? Wie ein Wirbel ging bald die Erkenntniß, daß er völlig verrathen war, bald Harriet’s Gespräch mit dem alten Frost, dessen Ende er nicht erfahren hatte und sich nicht vorzustellen vermochte, bald der Gedanke an Margaret selbst, die sich so scheu von ihm gewandt, durch seinen Kopf; er hätte aus dem Hause stürzen mögen, um allem Kommenden auszuweichen, und doch fühlte er es zugleich tief in seiner Seele wie die Ahnung eines unaussprechlichen Glücks aufsteigen, die alle seine Nerven durchzitterte; bei jedem Geräusch im Hause zuckte er zusammen, und er dachte nicht einmal daran, nach Fassung zu ringen, hatte er doch keinen Begriff, was es sein könne, das als das Nächste ihm entgegentreten werde; aber es währte geraume Zeit, ehe seine Spannung sich lösen sollte. Da öffnete sich endlich leise dieselbe Thür, durch welche Harriet sich entfernt hatte, und Reichardt meinte jeden Nerv in sich beben zu fühlen, als er Margaret, bleich wie er selber, eintreten sah. Langsam, das große Auge ernst auf ihn gerichtet, kam sie heran, um ihren Mund indessen spielte es wie eine mühsam niedergehaltene Bewegung. „Harriet sagt mir, daß ich noch ein Wort zu Ihnen reden möchte, und Sie würden bleiben,“ sagte sie halblaut – dann schien ihre Stimme zu versagen: aber auch Reichardt. der sein Herz voll zum Springen fühlte, hätte jetzt nicht ein Wort zu sprechen vermocht, und so standen sie Blick in Blick, bis plötzlich ein Strom von Thränen in ihre Augen schoß, und sie, sich wegwendend, wieder davon eilen wollte. In dem Deutschen aber waren alle zurückgedrängten Empfindungen aufgewallt, und mit einer fast unwillkürlichen Bewegung hatte er ihre Hand gefaßt.

„Margaret, Miß Margaret, um Gotteswillen!“ rief er, ohne des Widerstrebens mit dem sie sich ihm zu entziehen suchte, zu achten, „sagen Sie mir doch, was ich thun soll, und ich werde es thun: ich will bleiben, ja ich bleibe, sobald Sie es verlangen, und müßte ich selbst dabei zu Grunde gehen – aber sehen Sie mich an, damit ich Muth dazu erhalte, gehen Sie nicht wieder so von mir, Margaret!“

Er fühlte ihren Widerstand ersterben, noch eine kurze Zeit blieb ihr Kopf abgewandt, dann aber hob er sich und mit einem wunderbar gemischten Ausdruck von Schämigkeit und hingebendem Vertrauen kehrte sie ihm das durch Thränen lächelnde Gesicht zu. Wieder standen sie Aug’ in Auge, seine beiden Hände hielten fest die ihre zwischen sich; es war ihm, als müsse er aufjauchzen und sie fest in seine Arme schließen, und doch bannte ihn der Zauber dieser unberührten Jungfräulichkeit, der wie ein Duft über sie ausgegossen schien, zurück in seine Schranken.

„Und warum bekam ich heute Mittag keinen Blick von Ihnen?“ fragte er endlich.

„Sie wollten ja gehen!“ erwiderte sie, fast mit den Worten zugleich aber brachen von Neuem die Thränen aus ihren Augen, und hastig sich losreißend eilte sie aus dem Zimmer.

Reichardt starrte ihr nach, wie in halber Verzückung: plötzlich aber streckte er, als müsse er mehr Raum in seiner Brust schaffen, die Arme weit von sich und schlug dann beide Hände vor sein Gesicht. Mitten im Gefühle seiner jungen Seligkeit indessen kam ihm der Gedanke an den alten Frost, dem er in seiner jetzigen Erregtheit unter keinen Umständen hätte entgegentreten mögen. Es drängte ihn hinaus, allein zu sein und erst klar mit sich zu werden, ehe er die übrige Welt an sich herantreten ließ, und schon nach wenigen Minuten hatte er das Haus verlassen, planlos und nur mit den Vorfällen der letzten Stunde beschäftigt in die Straßen hinein schreitend. Erst nach geraumer Zeit hob er den Kopf wieder und blickte lächelnd in der bereits einbrechenden Dunkelheit um sich, als ihm ein vorstehendes Gebäude den Weg versperrte und er sich in einem Gewirr enger Gassen fand, welche er nie zuvor kennen gelernt: schon der von einer Laterne beleuchtete Name der nächsten Straßenecke indessen zeigte ihm, daß er nicht weit von Meißner’s Boardinghaus sein könne, und wie von einem freundlichen Gedanken berührt schlug er raschen Schritts den Weg dahin ein.

„So, da sind Sie ja doch!“ rief Meißner, der im Augenblicke

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_532.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)