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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

der höhere Zweck des Zusammenseins entschwindet. Und die „Brodschützen“ gehen darauf aus, mit dem Schießen – zu erwerben, ihr Auge ist hell, ihr Arm fest, ihr Blut ruhig, ihre Büchse sicher, aber sie entweihen die Kunst. Neben diesen steht eine dritte Classe, derer, die zwar nicht um des Gewinns, sondern um der Ehre willen schießen, aber auf das Gutschießen einen Werth legen, als böte das Leben nichts Höheres. Es versteht sich von selbst, daß diese drei Classen auch in Gotha nicht fehlten. Und sie empfanden wohl den Hauch der Festluft, die dort wehte, am wenigsten.

Die Art überhaupt, wie geschossen wurde, befriedigte keineswegs alle Wünsche, die sich daran knüpften. Aus freier Hand wurde sehr wenig und im Ganzen mittelmäßig geschossen. Auf die Hauptprämienscheibe für freie Hand mit Zulassung des Diopters auf 400 Fuß geschahen nur 471, auf dieselbe Entfernung mit Auflegen dagegen 886 Schüsse; auf 250 Fuß wurden aus freier Hand (ohne Diopter) nur 492, mit Auflegen dagegen 1102 Schuß auf die Ehrenscheiben abgeschossen, die Stände für freie Hand waren überhaupt so schwach besetzt und diejenigen für das Auflegen so überfüllt, daß das Schießcomité sehr bald einige der Freihandstände zum Auflegen einrichten mußte. Einigen Einfluß hierauf mochte die Bestimmung der Schießordnung haben, daß auf den Freihandständen „frei mit erhobenem Arme“, also nicht mit eingestemmtem Arme geschossen werden solle. Denn ein Theil der Schützen war nur auf das Schießen mit eingestemmtem Arme eingeübt und führte zu schwere Waffen, um mit diesen anders schießen zu können, dies waren namentlich Schützen aus Süddeutschland und aus Bremen. Nachdem einige von ihnen zurückgewiesen worden waren, als sie den Arm einstemmten, trat am 9. Juli Vormittags ein Schiedsgericht zusammen und dieses beschloß, obwohl die Schießordnung keinen Zweifel gestattete, eine Versammlung der Schützen darüber entscheiden zu lassen, ob die getroffene Bestimmung aufrecht erhalten werden solle. Für die Erhaltung sprach, daß das Einstemmen eine besondere Construction der Büchsen erfordert und einen bedeutenden Vortheil dem völlig frei Schießen gegenüber gewährt, daß also beide Schießweisen nicht wohl mit einander auf demselben Stande concurriren konnten, daß Viele sich der Schießordnung gemäß eingerichtet hatten und daß man, wenn man einmal den Zopf des Auflegens abschaffte, nicht zugleich eine Schießweise zulassen wolle, welche abermals besondere Hülfsmittel erforderte. Und diese Gründe gaben den Ausschlag. Der Herzog Ernst selbst leitete die Abstimmung. Bei der Abzählung erklärte sich eine beträchtliche Mehrzahl für die Schießordnung.

(Schluß folgt.)

Blätter und Blüthen

Ein offenes Fürstenwort. „Der Herzog von Gotha und sein Volk. Ein Aufsatz von Eduard Schmidt-Weißenfels nebst einem Antwortschreiben des Herzogs Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha.“ Das geht Schlag auf Schlag jetzt - eine wahre Freude für alle Patrioten. Erst das deutsche Schützenfest, dann die großartige Sangesfeier in Nürnberg und nun diese Broschüre eines Fürsten, die wie eine Bombe in’s feindliche Lager fallen wird. Das Schriftchen gehört zu den Zeitblättern von höchster Bedeutung. Wir haben in dem Antwortschreiben des Herzogs Ernst das offene politische Bekenntniß eines Regenten vor uns, in welchem das deutsche Volk mehr und mehr das ausgeprägteste Bild seiner Nationalität anerkennt, und an dieses Selbstbekenntniß schließt der Fürst eine Darstellung der jüngsten politischen Entwickelung seines eigenen Landes, in welchem er über dessen Bevölkerung eine Kritik ausübt, wie sie nach Standpunkt und Entschiedenheit des Ausspruchs ohne Gleichen dasteht.

Mochte der Herzog gefühlt haben, oder nicht, daß sein offenes Bekenntniß zur Nothwendigkeit geworden sei, nicht etwa um seine Feinde zu belehren, sondern um bei sehr vielen Freunden der nationalen Sache die Zweifel an der Bestimmtheit und Makellosigkeit seines politischen Charakters zu beseitigen: in jedem Fall ist durch dieses „Antwortschreiben“ gerade der letztere Zweck vollkommen erreicht. Ein deutscher Fürst von des Herzogs Stellung, der nicht nur unumwunden ausspricht: „Seit meiner frühsten Jugend huldigte ich beinahe instinctmäßig liberalen demokratischen Principien. Ich war im eigentlichen Sinne des Worts das Kind meiner Zeit“ – sondern der zugleich fest und klar darlegt, warum er vollständig mit dem aristokratisch-bureaukratischen Theile der Gesellschaft seines Landes gebrochen habe; ein Fürst, in dessen Person der Adel (und zwar nicht nur der seines Landes, sondern leider überall in Deutschland) „die persönliche Verkörperung der revolutionären Bestrebungen des Jahres 1848 sieht“ – ein Fürst, welcher das gesammte Institut der Kammerherren, Kammerjunker und Hofjunker aufhob, „da diese Chargen usuell nun doch einmal von Bürgerlichen nicht besetzt werden können,“ und damit der Hof („das heißt mein Haus“) nun einem Jedem geöffnet werden konnte, dem er vermöge Talent oder Sitte die Berechtigung zusprach; ein Fürst endlich, der, um seine Stellung dem Lande gegenüber zu charakterisiren, die Formel „von Gottes Gnaden“ zu streichen befahl trotz der sichern Aussicht, daß ihm „dieser offenbar ideelle Bruch mit dem sogenannten Fürstenthum von Gottes Gnaden als großes Verbrechen angerechnet werde“; ein solcher Fürst hat an jeden ehrenhaften deutschen Mann sich das Anrecht erworben, von jedem Zweifel an ihm befreit zu sein.

Ehren wir in diesen politischen Bekenntnissen die Hochherzigkeit und Wahrhaftigkeit des deutschen Mannes, so erfüllt uns die Darlegung des Verhältnisses, in welchem Herzog Ernst als Fürst zu seinem Volke steht, mit der erbebenden Freude, welche stets durch den Anblick eines grundehrlichen, schnurgeraden Wesens in uns hervorgerufen wird; erhebend aber wird die Freude durch den hohen Ernst und die ruhige Klarheit, welche selbst aus den strengsten Urtheilen des regierenden Herrn sprechen. Wie das Volk aus der Fürstenperspective betrachtet sich ausnimmt, davon haben uns Dramen, Romane und diplomatische Actenstücke manches verzerrte Bild entworfen; hier sehen wir zum ersten Male dieses Bild von einer Fürstenhand gezeichnet und müssen bekennen, daß ein solcher Anblick uns noch nicht gewährt worden ist. Mit scharfem Auge mustert der Fürst sein Volk, scheidet es in Gruppen, legt die Beziehungen der einzelnen zu ihm dar, und keiner Partei schenkt er die Rüge, die sie von seinem Standpunkte aus verdient hat; aber auch die Anerkennung hat ihre beruhigenden Stellen in dem Fürstenbriefe.

Am Schlusse desselben scheint der Herzog sich an das gesammte deutsche Volk zu wenden, indem er sich vor dem Gedanken verwahrt, als ob er sich bei der Kritik der heimathlichen Zustände eine Ausnahmsstellung angewiesen. „Ich bin frei davon,“ sagt er, „meine Person vom Volke zu trennen, ich rechne mich vielmehr zu ihm und fühle mit ihm. Und gerade weil es mir gelungen ist, von Jugend auf den Standpunkt zu verlassen, von dem die meisten meiner Standesgenossen das Volk und dessen Treiben beurtheilen, verlange ich um so Edleres und Höheres von der Gesammtheit.“ – „Sicher,“ so schließt er, „ist es verwerflich, nach einer Popularität in dem allgemein gebräuchlichen Sinne zu ringen und auf Kosten der gestellten Aufgabe sich künstlich populär zu machen. Aber eben so irrig ist es zu glauben, daß ohne die warmen Sympathien des Volkes, also ohne Popularität im richtigen Sinne, jene patriotischen Männer dennoch im Stande sein könnten, segenbringend die Massen zu führen. – Das Volk muß die Namen seiner Führer heilig halten, es muß sie selbst vor Verunglimpfung schützen und darf nie vergessen, daß gegenseitiges Vertrauen von gegenseitiger milder Berücksichtigung unzertrennlich ist.“

Man kann vom deutsch-nationalen Standpunkt aus nichts dringender wünschen, als daß dieses offene Fürstenwort bei Fürsten und Völkern Deutschlands recht tiefe Beherzigung finde! Wäre dies möglich, dann könnte aus ihm eine segenbringende That werden.

H.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 528. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_528.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)