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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Farbenwechsel, mit seinen vielen, oft kostbaren Fahnen, in seinem lebendigen und musterhaft geordneten Hinschreiten. Und eigenthümlich paßten zusammen die jugendlichen Turner – unter denen die Coburger sich durch eine besondere feldmäßige Kleidung, Ausrüstung und Bewaffnung auszeichneten, das Publicum nannte sie „des Herzogs Garibaldianer“, – und die älteren Schützen, bei denen die jägermäßige Tracht mit Uniformen aller Gattungen wechselte; ja, in diesem Zuge durfte man sich die altväterische Gravität unserer Schützengilden und den militairischen Pomp mit Troddeln und Fangschnüren, Epaulettes, gestickten Kragen, Federhüten und Schleppsäbeln wohl gefallen lassen. Der ganze Aufmarsch dauerte volle achtzehn Minuten.

Vom Hauptmarkt, wo der Herzog, mit Hurrah, Hut- und Fahnenschwenken begrüßt, der Aufstellung beigewohnt und einen Theil des Zugs mit angesehen hatte, nahm dieser seinen Weg durch mehrere Straßen am Theater vorbei, über die beiden unteren Märkte nach dem Schießplatze. Dort erwartete ihn der Herzog, umgeben von den nicht beim Zuge betheiligten Mitgliedern des Festausschusses, auf einer Estrade vor dem Schießhause, dem Eingange gegenüber. Jede Abtheilung grüßte beim Einmarsch durch Hurrah und Fahnenschwenken. Die Jungfrauen stellten sich an der Estrade auf, zur einen Seite die Turner, zur andern die Schützen, quer vor die übrigen Festtheilnehmer, die Communalgarde besetzte den Eingang, die Fahnen traten in zwei Reihen zusammen, der Festordner meldete die beendigte Aufstellung dem Herzog-Ehrenpräsidenten, und dieser sprach mit seiner kräftigen, sonoren Stimme die schönen, feierlichen Weiheworte des Festes:

„Geehrte Versammlung! Der Gedanke einer Vereinigung deutscher Schützen rief schon vor Jahrhunderten die Schützengilden zu gemeinsamen Festen zusammen. Aber unaufhaltsam gingen die Wogen der Zeit über die früheren Versuche hinweg. Das Alte sank in Trümmer, ein neues Leben ist erstanden und alten Grundfesten erblüht in jugendlicher Frische ein neuer Gedanke. Das Volk, das edle deutsche Volk, fühlt sich in seiner Kraft. Nach Einigung drängen die Massen, und so schaarten sich auf den ersten Ruf die deutschen Schützen aus allen Gauen und die Turner der engern Heimath um ihre Fahnen, und jubelnd begrüßen wir hier vor uns alle die Fähnlein, die von fern gekommen. Kraft und Geschicklichkeit sollen heute nach Preisen ringen, um den Einzelnen, gehoben durch das Bewußtsein seines Werthes, dem Ganzen brauchbarer zuzuführen. Das Hauptziel des gemeinsamen Strebens sei Wahrung der Ehre und Schutz des großen deutschen Vaterlandes. Zu diesem Gedanken laßt uns einander die Bruderhand reichen! Und hiermit erkläre ich den ersten deutschen Schützentag für eröffnet.“

Wer könnte den Sturm der Freude beschreiben, den diese Worte hervorriefen? Wenn ein Anderer so gesprochen hätte, ein Mann aus dem Volke, sie hätten Eindruck gemacht, Eindruck machen müssen bei allen den festlich gestimmten Menschen; hier kamen sie aus dem Munde eines Fürsten, der im bürgerlichen Kleide im Kreise seiner Unterthanen vor die Festgenossen aus ganz Deutschland hintrat, eines Fürsten von mannhafter Persönlichkeit und zweifellosem Patriotismus, der sich eben dadurch die Achtung des ganzen Vaterlandes erworben hat; man konnte in ihm die Idee dieses Schützenfestes verkörpert finden. Ein tausendfaches Hurrah brach los, nicht enden wollender Lebehochruf auf den Herzog antwortete. Sahen wir schon vorher im Auge manches kräftigen Mannes eine Thräne glänzen, jetzt konnten Viele sich nur noch mit dem Taschentuche helfen. Freudige Rührung, muthige Zuversicht, flammende Begeisterung vereinigten alle Herzen. Für einen Jeden ein unvergeßlicher Augenblick! Sechs Kanonenschüsse verschollen beinahe in diesem Jubel. Mit Mühe wurde so viel Ruhe hergestellt, daß die Männergesangvereine die Hymne des Herzogs, mit einem neuen Text, vortragen konnten. Abermals jubelnder Hochruf! Nun brach der Herzog, vom Ausschuß begleitet, nach der Schießhütte auf. Die ganze Festversammlung folgte und schritt hinter ihm durch die Hallen. Und sogleich begann ein lustiges Schießen.

Oft sind es einzelne Momente, die einer länger dauernden Festlichkeit ein bestimmtes Gepräge geben. So hier. Dieser Zug und die Ansprache des Herzogs ließen unverlöschliche Eindrücke zurück. Es war nun entschieden: diese Feiertage sollten Tage gemeinsamer nationaler Freude sein, aber zugleich den ernsten Gedanken pflegen, daß der „Schütze“ sich dem Dienste des Vaterlandes weihe.

Von Stunde zu Stunde hatte sich die Zahl der Theilnehmer vermehrt, unmittelbar vor dem Feste waren schon über 2600 Männer eingeschrieben, sie mag im Ganzen mit Einschluß derjenigen, die nur an einzelnen Tagen Theil nahmen, wohl bis auf 10,000 Personen gestiegen sein. Als Schützen zeichneten sich gegen 960 Männer in das Schützenalbum ein, aber sehr Viele waren noch außer diesen anwesend. Aus allen deutschen Ländern kamen die Theilnehmer, die meisten aus Norddeutschland, wo kaum eine Stadt von einiger Bedeutung fehlte, die wenigsten aus Oesterreich, nur ein Wiener und ein Steiermärker hatten sich eingeschrieben; von Königsberg und Danzig bis nach Aachen und nach Freiburg im Breisgau, ja nach der Schweiz, von Rendsburg bis nach München war jeder deutsche Gau vertreten, ganz Deutschland war beisammen!

Der Raum des Festplatzes war so ausgedehnt, daß trotz der ansehnlichen Massen, die zuweilen darin verkehrten, nirgends Ueberfülle, Gedränge entstand; und Alles ging friedlich und freundlich neben einander her. Auf diesen Ton der Friedlichkeit war neben der nationalen Idee, welche alle Theilnehmer mehr oder weniger bewegte, der eigenthümliche Charakter der Feststadt nicht ohne Einfluß. Denn Thüringen liegt zwar größtentheils nördlich von dem thüringer Wald und wird deshalb zu Norddeutschland gerechnet, aber der Thüringer zeigt sich vom Norddeutschen vielfach verschieden. Hat er mit diesem etwas Gehaltenes, ruhig Behäbiges gemein, so nähert er sich doch dem Süddeutschen durch offenes und freies, zuthuliches und gemütliches Wesen, sein Blut ist nicht so heiß, wie das des Süddeutschen, aber auch nicht so kühl wie das des Norddeutschen. Gotha selbst zeichnet sich noch vor allen thüringischen Stätten durch eine gewisse Freiheit des Lebens (nicht der Sitte, die man eher kleinbürgerlich streng nennen könnte) aus, die sich schon in der Tracht, noch mehr aber in einem frischen Umgangston kund thut. Daß diese Stadt den Mittelpunkt bildete und aus ihr und ihrer Umgegend die große Masse der Theilnehmer stammte, mußte dem Feste insofern zum Nutzen gereichen, als Süddeutsche und Norddeutsche sich hier gleich wohl fühlen konnten. Die Freundlichkeit der Aufnahme, die von allen Seiten anerkannt wurde, that das Ihrige, um die Gäste mit den Festgebern zu verbinden.

Aus Leuten der mittleren Stände, der bürgerlichen Gewerbe, bestand die große Mehrzahl der Theilnehmer, und das gab dem Feste ein eigenes Gepräge. Wir haben ja festlich-nationaler Zusammenkünfte schon genug gehabt, die Wanderversammlungen unserer Gelehrten waren in der That die Anfänge, wenn sie auch nicht den Namen trugen; bei uns Deutschen geht nun einmal ein großer Theil alles öffentlichen Lebens aus geistiger Arbeit hervor, und die Wissenschaft bricht jenem die Bahn; die Wanderversammlungen der Gelehrten haben sich in anderen Kreisen, z. B. in den Künstlern, fortgesetzt, aber der festlichen Zusammenkünfte für den gemeinen Mann gab es noch sehr wenige, welche die ganze Nation umfaßt hätten; nur das Sängerfest und den Turnertag zu Coburg können wir dahin rechnen, und die Kreise der Schützen und Schützenfreunde sind wieder ganz andere als die der Turner und Sänger. Jene sind nicht so leicht beweglich wie diese, unter ihnen ist der seßhafte Bürger und Landmann, der „Philister“, um mit dem Studenten zu reden, sehr stark vertreten; die Schützengilden haben ihren Boden in alter Zeit, aus der es ihnen schwer fällt, herauszuwachsen. Der Zopf der Uniformen und der Trödel der Orden charakterisirt einen großen Theil derselben.

So war denn eine bedeutende Zahl der Festgenossen nicht eben von vorstechender Bildung. Aber – und darin besteht die schöne und großartige Wirkung nationaler Feste – alle Theilnehmer waren gehoben durch die Gemeinsamkeit selbst, durch die festliche Gemeinschaft so vieler Menschen aus fast allen Gauen des Vaterlandes; durch diese Gemeinschaft trat gewissermaßen das Vaterland mit seinen Hoffnungen und Sorgen, mit seiner Bedrängniß und seinem Ringen vor jeden Einzelnen hin und führte ihn heraus aus den engeren Schranken seiner bürgerlichen Kreise. Und in diesem Lichte des Festes selbst erschien auch der minder bedeutende Mann als ein würdiger Genosse.

Nicht am meisten galt dies wohl von einem Theil derer, die dem Namen nach den wesentlichsten Bestandtheil des Festes bildeten, von den Schützen. Es giebt unter ihnen zwei Classen, die sich auf allen Schützenfesten einfinden, so weit ihre Tasche reicht, und für welche die Schützensprache besondere Namen hat, die „Schießteufel“ und die „Brodschützen“. Jene haben kein anderes Interesse als das Schießen selbst; sie werden davon so beschäftigt, daß ihnen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_527.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)