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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Das Schmerzensasyl eines Dichters.

Zwischen Jena und Camburg, von beiden Städten gleich weit entfernt, erheben sich am linken Ufer der Saale kühn aufstrebende Felsen, von welchen herab drei Schlösser, grünende Wein- und Gartenanlagen und eine kleine Stadt dem Wanderer freundlich zuwinken. Wer dem Winke folgt, die Steile des Weges nicht scheuend, der betritt droben eine „geweihte Stätte“. Sie ist eine geweihte, wenn anders eine große geschichtliche Vergangenheit eine solche Weihe verleihen kann und wenn das Wort desjenigen wahr ist, der hier am Abend seines Lebens ein Asyl für die Wunden seines Herzens gefunden hat, das Wort Goethe’s, daß „die Stätte, die ein guter Mensch betrat, geweiht ist für alle Zeiten“.

Schloß und Stadt Dornburg an der Saale im Großherzogthum Weimar, das alte Kaiserpalatium, ist diese geweihte Stätte.

Das am 14. Juni 1828 zu Torgau erfolgte Hinscheiden seines

Schloß Dornburg.

hochedlen Herrn und genialen Freundes, des Großherzogs Karl August von Weimar, hatte Goethe, den schon Hochbetagten, so tiefschmerzlich berührt, daß er, um die Stätte der Trauer und die Vorbereitungen zu den fürstlichen Exequien zu fliehn, deren aufregenden Eindruck er nur zu sehr fürchten zu müssen glaubte, die weimarische Residenz verließ und sich am 7. Juli 1828 nach dem großherzoglichen Schlosse Dornburg begab. Und dort, in der Einsamkeit und ländlichen Abgeschlossenheit, an dem Herzen der Trösterin Natur, leitete er den wildanstürmenden Schmerzensquell in die ruhige Strömung philosophischer Resignation.

In der Betrachtung der Anmuth, eines solchen wahrhaften Luftorts verflüchtete sich allmählich der Schmerz des großen Mannes über das Dahinscheiden seines letzten geistesebenbürtigen Freundes – nachdem er 23 Jahr früher, im Maimond des Jahres 1805, schon dem ersten aus der schönen Fürsten- und Dichtertrias nachgeweint hatte – ein Schmerz, der für den nun ganz Vereinsamten so groß war, daß er nach seinem eignen Geständniß erst nach Verlauf von einigen in stillem Schmerzhinbrüten verlebten Tagen und Nächten sich in’s Freie wagte.

Hier arbeitete er an dem zweiten Theile des Faust, von hier datiren sich Briefe an Zelter, und hier schrieb er als Entgegnung auf die Zuschrift, durch welche die junge Großfürstin Marie Paulowna ihm ihre Theilnahme und Tröstung hatte versichern lassen, jenen Brief an den Kammerherrn Obersten von Beulwitz[1], in welchem wir folgende Beschreibung Dornburgs finden, die gleichsam als eine Apotheose dieses schönen Landsitzes gelten kann und die wir hier einzuschalten uns darum nicht versagen können.

„Da sah ich vor mir, auf schroffer Felskante, eine Reihe einzelner Schlösser hingestellt, in den verschiedensten Zeiten erbaut, zu den verschiedensten Zwecken errichtet. Hier, am nördlichen Ende, ein hohes, altes, unregelmäßig-weitläufiges Schloß, große Säle zu kaiserlichen Pfalztagen umschließend, nicht weniger genugsame Räume zu ritterlicher Wohnung; es ruht auf starken Mauern zu Schutz und Trutz. Dann folgen später hinzugesellte Gebäude, haushälterischer Benutzung des umherliegenden Feldbesitzes gewidmet. Die Augen an sich ziehend aber steht weiter südlich, auf dem solidesten Unterbau, ein heiteres Lustschloß neuerer Zeit, zu anständigster Hofhaltung und Genuß in günstiger Jahreszeit. Zurückkehrend hierauf an das südlichste Ende des steilen Abhanges, finde ich zuletzt das alte, nun auch mit dem Ganzen vereinigte Freigut wieder, dasselbe, welches mich so gastfreundlich einlud.

„Auf diesem Wege nun hatte ich zu bewundern, wie die bedeutenden Zwischenräume, einer steil abgestuften Lage gemäß, durch Terrassengänge zu einer Art von auf- und absteigendem Labyrinth architektonisch auf das Schicklichste verschränkt worden, indessen ich zugleich die sämmtlichen, über einander zurückweichenden Localitäten auf das Vollkommenste grünen und blühen sah. Weithin gestreckte, der belebenden Sonne zugewendete, hinabwärts gepflanzte, tiefgrünende Weinhügel, aufwärts an Mauergeländern üppige Reben, reich an reifenden, Genuß zusagenden Traubenbüscheln; hoch an Spalieren sodann eine sorgsam gepflegte, ausländische Pflanzenart, das Auge nächstens mit hochfarbigen, an leichtem Gezweige herabspielenden Glocken zu ergötzen versprechend; ferner vollkommen geschlossen gewölbte Laubwege, einige in dem lebhaftesten Flor durchaus blühender Rosen höchlich reizend geschmückt; Blumenbeete zwischen Gesträuch aller Art. Von diesen würdigen landesherrlichen Höhen seh’ ich ferner in einem anmuthigen Thale so Vieles, was, dem Bedürfniß der Menschen entsprechend, weit und breit in allen

  1. Ein Abdruck dieses Briefes findet sich bei Vogel, Goethe in amtlichen Verhältnissen. Jena 1834
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_517.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)