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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 33.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Die Straße war völlig menschenleer, als Reichardt und Meißner ihr Ziel erreichten, und Letzterer, der mit einem Entschlusse fertig geworden zu sein schien, begann ohne Zögen, an einer der großen Thüren zu pochen; aber nur ein lautes gewaltiges Bellen antwortete. „Ob uns das Vieh nicht einen Strich durch die Rechnung machen wird?“ sagte der Kupferschmied, sich umkehrend; „es ist wie ein Wolf bei Nacht und will nur den Porter, der mit ihm schläft, kennen.“

„Ich meine doch, mich sollte der Kerl noch kennen,“ erwiderte Reichardt herantretend; „vor weiterem Pochen aber lassen Sie mich eine Untersuchung anstellen: ist der Porter zu Hause, so muß der Schlüssel innen stecken!“ Er wandte sich nach der nächsten Thüre, welche den gewöhnlichen Eingang bildete, öffnete sein Taschenmesser und schob dieses in das Schloß: wie überrascht aber wandte er sich wieder zurück. „Die Thür ist offen, Meißner,“ sagte er halblaut, „aber kein Schlüssel da!“

„Richtig, wieder einmal eine Lumpenwirthschaft!“ versetzte dieser herzutretend, „warum wollen die Herren keinen gewissenhaften Deutschen nehmen und stellen einen liederlichen Irischen herein! Der Mensch ist mit einem halben Stiche weggegangen und hat vergessen zu schließen!“ Er versuchte die Thür aufzudrücken, aber ein grimmiges Knurren dahinter ließ ihn davon abstehen. „Ohne Spectakel wird’s schwerlich abgehen,“ fuhr er bedenklich fort, „und die Polizei ist niemals weit von hier.“

„Lassen Sie mich nur,“ gab Reichardt, die Thür fassend, zurück. Down. Watch!“ rief er in kurzem, bestimmtem Tone, und das Knurren verstummte; er öffnete vorsichtig den Eingang, aber kurz vor ihm blickten ihm zwei glühende Augen aus der Dunkelheit entgegen, und ein neues bissiges Knurren schien ihn zu warnen. Nach einem eigenthümlichen Fingerschnipp und zwei schmeichelnden Worten des Eintretenden schien das Thier indessen unsicher zu werden; ein zweifelndes, unzufriedenes Brummen ließ sich hören, und als Reichardt es in bestimmter Weise lockte, kam es vorsichtig schnüffelnd heran, um indessen nach wenigen Secunden der Untersuchung eine Art freudiges Winseln hören zu lassen und den jungen Mann zu umspringen. Nur mit Mühe erwehrte sich dieser der Erkennungsliebkosungen des ungeschlachten Thieres, wandte sich dann aber, diesem die Ohren krauend, nach dem hintern Theile des Raums. „Jetzt, Meißner, rasch den Brief,“ rief er, „ich beschäftige den Hund so lange, und werden wir überrascht, so haben wir nachsehen wollen, weshalb die Thür hier offen gewesen ist!“

All right, Sir!“ rief der Kupferschmied halblaut zurück und eilte die Treppe nach der Office hinauf; der Hund hob bei dem Laute den Kopf und wurde unruhig; ein Ruf Reichardt’s aber, welcher den Raum unter der Treppe öffnete und auf das Bett klopfte, brachte ihn schnell zu dem willkommenen Lager. Nach kaum drei Minuten schon klangen Meißner’s zurückkehrende Tritte, die jedenfalls leise sein sollten, obgleich jede Treppenstufe darunter krachte; noch einmal hatte der Wartende das aufmerksame Thier zu beruhigen, und folgte dann rasch dem Gefährten, der ihn mit einem: „Teufelsgeschichte das! aber Alles in Ordnung!“ empfing, dann aber nach einem Rückblicke auf die unverschlossene Thür halblachend hinzusetzte: „Der Hund ist wahrlich das beste Schloß, ich will an den Kerl denken!“

Reichardt antwortete nicht und ging nur mit starken Schritten dem nächsten, noch erleuchteten Bierlocale zu, wandte sich hier nach dem unbesuchtesten Theile des Raums und nahm mit sichtlicher Ungeduld den erbeuteten Brief aus des Kupferschmieds Hand. Sich auf einen Stuhl werfend, begann er langsam, als wolle er jedes Wort erwägen, die Durchsicht, während des Kupferschmieds Augen an seinen Zügen hingen; ehe aber noch die späten Gäste von den Anwesenden recht bemerkt worden waren, hatte sich der Lesende schon wieder erhoben, nickte dem Gefährten mit einem eigenthümlich glänzenden Blicke zu und schritt, von diesem gefolgt, wieder zur Thür hinaus. „Es sind noch viel bestimmtere Dinge hier, Meißner, als Sie haben herauslesen können,“ sagte er, als Beide die Straße wieder betreten hatten, in hörbarer Aufregung, „und der alte Black muß einen sehr ergebenen Freund haben, um solche Mittheilungen zu erhalten; jedenfalls haben Sie heute Abend den gescheidtesten Streich Ihres ganzen Lebens ausgeführt – und nun vorwärts, vielleicht ist bei Frosts noch Jemand wach!“

„Wird ziemlich Eins werden, ehe wir dorthin kommen!“ brummte der Kupferschmied, nach seiner Uhr sehend.

„Hilft nichts, Meißner, Sie müssen die Nacht mit durch machen!“ war die von rascherem Schritte begleitete Antwort, „wer weiß, ob Sie nicht irgend eine Art Zeugniß abzulegen haben!“

„Der Bill ist immer da, Sir!“ erwiderte der Andere wie in verletzter Würde, „glauben Sie aber, man hat in Aussicht auf eine trockene Nacht keinen Durst, daß Sie sich nicht einmal Zeit zu einem Glase Bier nehmen?“

Reichardt wandte den Blick vorwärts. „Dort winkt noch ein Stern,“ sagte er, nach einer einsamen bunten Laterne an der matterleuchteten Häuserreihe zeigend, „nehmen Sie aber da gleich Vorrath!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_513.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)