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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Aufgabe – gleichviel, er blieb fest entschlossen, den kühnen Streich zu wagen.

Ruhig ließ er den Zug vorbei marschiren. Es war ein langer Zug. Das Herz blutete ihm, als er auf die Reihen der Gefangenen niederschaute, die ein Opfer der Feigheit ihrer Führer geworden waren. Er glaubte, den Schmerz und die Niedergeschlagenheit auf ihren Gesichtern lesen zu können, und im Geiste hörte er schon ihren Jubel, wenn sie wieder frei waren – befreit durch ihn. Schon nahte der Schluß des Zuges, auch er bestand aus einer Compagnie Linien-Infanterie. Schnell hatte er ihn überblickt. Er gab seinem Begleiter ein Zeichen, und ungesehen glitten sie von der Anhöhe hinab. Wenige Augenblicke darauf stand er vor seiner kleinen Schaar, die ihn zum Kampfe bereit empfing. Schnell schwang er sich auf sein Pferd, zog den Säbel, gab das Zeichen zum Losbrechen und sprengte der Schaar voran aus dem Gehölze. Kaum hundert Schritte war er noch vom Feinde entfernt. Dieser war indeß nicht so sorglos, wie er erwartet hatte. Die Franzosen wandten sich gegen ihn, eine Reihe von Gewehrläufen blickte ihm drohend entgegen, aber unerschrocken rief er den Seinen zu: „Immer vorwärts!“ In einer Entfernung von ungefähr 60 Schritt empfing ihn eine Gewehrsalve der ganzen Compagnie, die Kugeln pfiffen über den Köpfen der Husaren hin, diese sprengten unerschrocken auf sie zu und hieben ein. Der Kampf war nur ein kurzer, so heftig sich die Franzosen auch wehrten. In kaum zehn Minuten war die ganze Compagnie überwältigt und streckte die Waffen. In größter Eile wurden ihnen dieselben abgenommen und eine Anzahl der Gefangenen damit bewaffnet.

Hellwig’s tapfere Schaar hatte in diesem Kampfe einen nur unbedeutenden Verlust erlitten. Ohne Zögern wollte sich der Lieutenant nun auf die erste Compagnie werfen, aber die Voltigeurs hatten sich in ein Gebüsch geflüchtet und feuerten aus demselben. Mehre Husaren und Pferde wurden schwer dadurch verwundet. Ein Husar und ein Gefangener fielen dicht an Hellwig’s Seite. Erbittert sprengte er auf das Gebüsch zu, seine Tapfern folgten ihm, und in wenigen Minuten waren die Voltigeurs, welche im Ganzen 140 Mann stark gewesen waren, zum Theil gefangen, zum Theil in die Flucht getrieben.

Hellwig nahm sich nicht Zeit, sie zu verfolgen. Die Spitze des Zuges mit der ersten Compagnie der Franzosen hatte bereits das Thor von Eisenach erreicht, und er wollte sich auf sie werfen, ehe sie Zeit gewannen, sich in den Häusern festzusetzen. Er erreichte sie vorn in der Stadt, hier wurde der Kampf indeß gefährlicher für ihn, da die Franzosen sich in mehrere Straßen vertheilten und ein nachdrückliches Feuer unterhielten. Ihr Oberst fiel durch den Säbelhieb eines Husaren. Dies erbitterte sie noch mehr. Der bis dahin errungene Erfolg hatte indeß die Kühnheit der Husaren bis zur todesfreudigen Begeisterung gesteigert. Einzelne von ihnen stürzten sich unerschrocken auf den zehnmal überlegenen Feind, ein Theil der Gefangenen, der sich Waffen verschafft hatte, unterstützte sie, und noch war keine halbe Stunde verflossen, so war der Kampf beendet. Die ganze französische Compagnie war zerstreut, geflohen, ein Officier und 15 Soldaten wurden zu Gefangenen gemacht.

Die Gefangenen waren befreit. Mit lautem Jubelrufe wurde der kühne junge Lieutenant begrüßt, und er konnte diesen Gruß dreist annehmen, denn 9000 brave Krieger hatte er seinem Könige und Vaterlande erhalten. Er selbst hatte eine Wunde empfangen, er achtete indeß nicht darauf, denn eine andere Sorge ruhte schwer lastend auf ihm. Der erste Schritt seines Unternehmens war geglückt; sollte es ganz gelingen, so blieb ihm noch die schwere Aufgabe, die Befreiten sicher aus dieser rings von Feinden umgebenen Gegend zu führen. Er ließ den Muth nicht sinken. Die Befreiten wurden mit all den Waffen, welche aufzutreiben waren, und mit den Carabinern und Pistolen der Husaren armirt, die Bürger Eisenach’s brachten Alles, was sie besaßen, zur Erfrischung derselben herbei, und nach kurzer Ruhe brach Hellwig noch an demselben Abend mit ihnen auf und führte sie bis Creutzburg und von dort nach Hannöversch-Münden. Dort übergab er sie dem General Zweifel, der sicher nicht ohne Beschämung auf diese That des Secondelieutenants blickte, denn er selbst war in Erfurt gewesen, als die Festung capitulirte und die nun Befreiten dem Feinde preisgegeben wurden. Hellwig kehrte zu seinem Bataillon zurück, welches er bei Nordheim antraf.

Der edle Herzog von Weimar, Karl August, beschenkte jeden der tapferen Husaren, welche an diesem kühnen Handstreich theilgenommen, mit einem Louisd’or. Die Unterofficiere verbaten sich dieses Geschenk und wünschten dafür ein Ehrenzeichen. Der Commandant von Erfurt, Major Karl von Prüschenek, wurde durch einen Befehl des Königs Friedrich Wilhelm vom 11. December 1806 seiner unverantwortlichen Capitulation wegen ohne Abschied aus dem Militärdienste entlassen – und der Secondelieutenant Hellwig? Wir wissen nicht, ob er eine Belohnung für seine herrliche That empfangen.

Der Moniteur in Paris veröffentlichte wenige Tage darauf ein Bülletin aus Weimar vom 16. October, in welchem mit hochtrabenden Worten und in übertriebener Weise die Capitulation der Festung und Citadelle und die dadurch erlangten Vortheile mitgetheilt wurden, selbst die Bedingungen der Capitulalion wurden wörtlich beigefügt, aber in keinem der folgenden Bülletins, welche stets neue Siege verkündeten, ist erwähnt, daß ein preußischer Secondelieutenant mit fünfzig Husaren 9000 Gefangene befreit.

Mögen diese kurzen thatsächlichen Zeilen ein Denkmal für den Braven sein!

Fr. Fr.


Die Mormonen-Hauptstadt und deren Sultan.


Ungefähr in der Mitte des noch unbewohnten ungeheueren nordamerikanischen Continents, umgrenzt von Wüsten und Wildnissen, hat sich während des letzten Jahrzehends ein neuer Staat, eine neue Religion, eine aus allen Völkern der Erde zusammengeschneite Gemeinde von etwa 100,000 Seelen erhoben. Missionäre in allen Theilen der Erde, China und Japan nicht ausgenommen, und die religiös geweihte Glorie der Polygamie, der Vielweiberei blos für den physischen Zweck der Vielkinderei, in ihren eigenen Häusern bereichern dieses fabelhafteste aller modernen Gebilde jährlich um viele Tausende neuer Mitglieder.

Es ist der religiöse Mormonenstaat in Utah am großen Salzsee, westlich von den Felsengebirgen und diesseits der Sierra nevada, von welcher man auf Californien und den stillen Ocean herabblickt, im Norden der Wahsatsch-Gebirge. Die Mormonen-Hauptstadt ist binnen 10 Jahren wie ein Paradies mit Palästen und Gärten und mannigfaltigster Industrie aus der Wüste emporgestiegen, etwas westlich von dem 114. Längengrade und nördlich von dem 40. der Breite, dieser Durchschnittslinie aller menschlichen Culturgeschichte. In ihrem Entstehen auf das Grimmigste verfolgt, von Vertilgungskriegen aufgerieben und zweimal in Masse vertrieben, zogen sie endlich, wie einst die Kinder Israel, durch unendliche Wüsten und kletterten über die Felsengebirge hinunter in das Salzseethal, wo nach Erfahrungen und Forschungen wissenschaftlicher Reisenden und heldenmüthiger „Freifänger“ kein einzelner Mensch zu leben im Stande war. Hier ließen sich die vertriebenen Mormonen nieder und schufen in kürzester Zeit die merkwürdigste Oase einer ganz neuen Cultur, Religion, Staatsform, Gesellschafts- und Sittlichkeits-Organisation.

Es ist schon unendlich viel, das Empörendste und Beste, das Widerspruchvollste über diese „Heiligen der letzten Tage“, wie sie sich nennen, geschrieben worden. Vertrauen wir uns jetzt einem Naturforscher an, der die ganze Mormonenschaft aus eigenster Forschung und Erfahrung zuletzt und am ausführlichsten und unparteiischsten geschildert hat. Zwei ungeheuere illustrirte Prachtbände in englischer Sprache von dem Franzosen Jules Remy und dem Engländer J. Brenchley, die sich ausschließlich mit den Mormonen und der Reise zu und von ihnen beschäftigen, liegen vor uns.[1]

Lassen wir uns zunächst mitten in die große Salzsee-Stadt, das „neue Jerusalem“ der Mormonen, einführen.

„Am 58. Tage nach unserm Aufbruche von Sacramento in Californien, den 25. September 1855, Nachmittags 3¼ Uhr, marschirten wir auf einer Hauptstraße in die Mormonenstadt ein.

  1. „A Journey to the Great Salt Lake City“ u. s. w. London, W. Jeffs. Berlin, Asher u. Co.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_504.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)