Seite:Die Gartenlaube (1861) 497.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 32.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Die dritte Woche war zu Ende gegangen, und Reichardt fühlte in einzelnen Stunden eine so trostlose Leere in sich, während es ihm doch zu andern Zeiten ward, als möge er sich hinsetzen und sein übervolles Herz einmal recht gründlich ausweinen, daß er am liebsten seine Stellung ganz verlassen und sich ein anderes Schicksal gesucht hätte, wenn er nur gleich gewußt, wohin. Es war am Freitag Abend, als er sich plötzlich des Kupferschmieds entsann, den er so lange nicht gesehen hatte, und auch, kaum daß er ein kurzes Abendbrod eingenommen, den Weg nach dessen Wohnung einschlug; aber keine Ahnung über die eigenthümliche Wendung seines Schicksals, welcher er damit entgegenging, stieg in ihm auf; er dachte an nichts, als sich nur einmal das Herz frei zu sprechen.

Meißner „der Kupferschmied“ empfing den Freund mit einem herzhaften Halloh, als er diesen in das allgemeine Gastzimmer seines Boardinghauses treten sah. „Haben Sie wirklich den Weg noch gefunden?“ fragte er, während er den Angekommenen nach einer entfernten Ecke führte; „ich hätte beinahe einmal den kühnen Gedanken ausgeführt, Sie in Ihrer Wohnung heimzusuchen, wenn man nur immer wüßte, zu welcher Zeit man solchen feinen Herren am wenigsten ungelegen kommt.“

„Höhnen Sie nur, ich hab’s diesmal verdient!“ gab Reichardt zurück, während er sich bequem an einem der Tische niederließ. „Wenn Sie sonst nichts vorhaben, Meißner, so bleiben wir hier, ich denke, wir sind hier ungestörter als irgendwo anders!“

„All right, Sir!“ erwiderte der Kupferschmied, seinen Stuhl näher heranziehend und einen aufmerksamen Blick in das Gesicht des Anderen werfend, „wenn Sie etwas vom Herzen herunterzuthun haben, so sitzen wir hier wenigstens unbehorcht. Zuerst aber,“ fuhr er fort, dem herbeikommenden Aufwärter die vollen Biergläser abnehmend, „trinken Sie jetzt herzhaft, damit Leib und Seele in die rechte Stimmung kommen, und dann packen Sie aus, gründlich und frischweg.“

„Muß ich denn stets etwas auf dem Herzen haben, wenn ich zu Ihnen komme?“ fragte Reichardt lächelnd, „oder habe ich etwas Derartiges angedeutet?“

„Brauchen auch nichts anzudeuten,“ erwiderte Meißner, „ich darf nur Ihr Gesicht ansehen und weiß dann immer so ziemlich, was los ist; heute aber gefallen Sie mir weniger als je – und deshalb sage ich, trinken Sie!“ Er stieß sein Glas gegen das des Andern, und als dieser endlich seiner Aufforderung gefolgt, setzte er sich bequem zum aufmerksamen Hören zurecht. Reichardt mußte über die Bestimmtheit lächeln, mit welcher jener seinen Mittheilungen entgegen sah, indessen that es ihm wohl, ohne weitere Einleitung über das, was ihn bedrückte, sprechen zu können, und nach kurzer Zögerung, als suche er nach einem Anfange, sagte er: Ich glaube nicht, Meißner, daß ich noch lange in meiner jetzigen Stellung werde aushalten können; da haben Sie gleich Alles, was mir auf der Seele liegt!“ Er hielt inne und warf einen Blick in des Kupferschmieds Gesicht; dieser aber verzog keine Miene; nur seine sich vergrößernden Augen zeigten die Spannung an, mit welcher er das Folgende erwartete, und Reichardt, den Kopf in die Hand gestützt, begann zu erzählen, was in seinen äußeren Verhältnissen ihm die letzten Wochen gebracht. Er sprach zuerst von der herzlichen Freundlichkeit der beiden Frosts und dem eigenthümlichen Vertrauen, das ihm geworden war; er erzählte, wie sehr er in einzelnen Momenten sich dadurch gehoben und glücklich gefühlt – eine warme Anhänglichkeit an Vater wie Sohn klang aus jedem seiner Worte – mit einem halben Seufzer aber, als verweile er zu lange bei diesen Bildern, brach er ab und begann die Schilderung des Cassirers und seiner Erlebnisse mit diesem, erzählte von den anfänglichen stillen Kämpfen, dem herbeigeführten Bruche, und wie endlich die gegenseitigen Beziehungen, das ganze Leben und Arbeiten in der Office zur völligen Unerträglichkeit geworden. Es war eine Art Selbstgenugthuung, die sich Reichardt durch das in seiner ganzen Schroffheit und Kälte hingestellte Bild des Cassirers schuf, es erleichterte ihn, das einmal in Worte fassen zu können, was er nur immer still mit sich hatte herumtragen müssen; daneben aber war es ihm, als habe er sich selbst zu beweisen, daß Bell und dessen Verfahren ganz allein hinreichend seien, um ihm das Verbleiben in dem Geschäfte zur Unmöglichkeit zu machen – und dieses Letztere glaubte er auch dem Kupferschmiede beim Schlusse völlig klar gemacht zu haben. Er fühlte sich leichter und freier, als er gegen ein befreundetes Herz einmal heruntergesprochen hatte, was, nach und nach angesammelt, wie ein Alp auf ihm gelastet.

Was sonst noch im Hintergründe seiner Seele lag, schmerzend und schwer, das sollte ein verhülltes Heiligthun bleiben, und er hatte sich das Wort gegeben, es nicht einmal gegen sich selbst mehr zu berühren.

Der Kupferschmied war mit sichtlichem Interesse Reichardt’s Erzählung gefolgt, als dieser aber jetzt schwieg und ihn, wie eine Aeußerung erwartend, anblickte, legte sich ein Zug von leichtem Spott um seinen Mund. „Und ich soll wirklich glauben, Professor,“ sagte er nach einer kurzen Pause, „daß es Ihr steifbeiniger Cassirer ist, dem Sie das Feld räumen und dem Sie so Ihre

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_497.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)