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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

ist – den beschränkten, aber glücklichen Kreis, der mich jetzt umgiebt, vermag ich vollständig auszufüllen – in dem größern des Künstlers wäre ich wohl ein unglücklicher Stümper geblieben … denn ich glaube, Sie haben damals doch Recht gehabt mit dem Haifisch!“

Im Dorfe war natürlich das Aufsehen über die neuen Ereignisse groß und andauernd, aber größer noch war die Freude, als man die günstige Wendung sah. Alles gönnte Vesi und ihrem Manne das verdiente stille Glück, und wer früher, wenn der Holzgraf durch die Straßen ging, ihm bedenklich nachgesehen und die Achseln gezuckt hatte, der sah ihn jetzt mit einer Art von Respect an, wenn er rüstig an der Arbeit stand oder mit den Werkzeugen über die Schulter Feierabends zu seinen Kindern nach Hause eilte.

– An einem schönen Sonntagsmorgen im Juni zog die Ammergauer Dorfmusik in frühester Stunde durch die Straßen, denn es sollte wieder „der Passion“ gespielt und die Bewohner und die Gäste lustig gemahnt werden, sich bald aus den Federn zu machen, damit sie noch dem Hochamte beiwohnen könnten, das wegen des Beginns des Schauspiels zu ungewöhnlich früher Stunde begann. Die auf dem Kirchhofe und an den Straßen Stehenden bemerkten unter den Kirchgehern auch den Holzgrafen, der zwischen Vesi und Domini, den Enkel an der Hand, der Kirchthüre zuschritt. An der Thüre traf er mit andern Männern zusammen, darunter Luipold, der invalide Wachtmeister, welcher den Andern eifrig erzählte und ihm mit freudestrahlendem Gesichte zurief: „Freut Euch auch mit, Holzgraf! Heut Nacht ist die Nachricht gekommen – die Alliirten haben vor drei Tagen in einer ungeheuren Schlacht … bei Waterloo, glaub’ ich, war es … den Kaiser Napoleon vollständig geschlagen und vernichtet! Jetzt endlich ist es Friede und wird Friede bleiben – jetzt kann ein ehrlicher Deutscher den Kopf hinlegen und in Ruhe dahin fahren!“

Das wiedergekehrte Glück im Hause des Holzgrafen hatte Bestand – bis an jene Grenze, an welcher der Bestand alles Irdischen endet.

Sollte aber vielleicht ein Leser, der Ammergau gesehen, sich nach Haus, Namen und Ort genauer erkundigen wollen, so lasse er die unnütze Mühe. Namen und Orte sind verändert und verschoben, um sie unkenntlich zu machen. Zwar ist Pater Ottmar schon längst zur Ewigkeit heimgegangen; der Wachtmeister liegt schon lange unter der selbst gedichteten Grabschrift: Vesi und Domini, wie der Holzgraf selbst, haben ihre Gruben auf dem Friedhöfe gefüllt – aber ihre Enkel leben noch, ein tüchtiges, rüstiges, wackeren Geschlecht, dem aber die eignen Erinnerungen fast verloren gingen. Nur hier und da denkt noch ein älterer Mann der damaligen Ereignisse und berichtet in vertraulicher Stunde, wie es dem Erzähler von seinem gastlichen Wirthe begegnete, von den sonderbaren Erlebnissen des – Holzgrafen.






Die Enthüllung des Lutherdenkmals zu Möhra.

(Mit Abbildung.)


„Trübe Morgen, heitere Tage!“ jubelte der Kutscher, als sich auf unserem Wege nach Möhra unterhalb der prächtigen Felsenterrasse von Altenstein die feuchten Nebel im Werragrund zertheilten, und weiter ging’s dem berühmten Stammort des großen Reformators zu, denn heute zum 25. Juni, dem Gedächtnißtag der Uebergabe der Augsburgischen Confession, sollte sein Denkmal dort, dessen Gründung seit 1846 begann, feierlich enthüllt werden. Als wir durch das Dorf Gumpelstadt, den vorletzten Ort vor Möhra, fuhren, harrten schon zwölf berittene Möhraer Burschen in kurzen blauen Kitteln, mit fliegenden, bunten Bändern an den Hüten zu beiden Seiten der Straße der Ankunft des Erbprinzen von Meiningen, um ihm und seinem Gefolge zum Einzug vorzureiten. Auf allen Wegen, die dem Dorfe zuführen, wogten schon ganze Haufen zu Fuß und zu Wagen; von Meiningen kam auf der Werrabahn ein Extrazug, der nicht weit vom Ort, ohne eine besondere Station abzuwarten, Halt machte, so daß es uns zweifelhaft schien, wie das kleine Dorf von kaum 500 Einwohnern eine solche Menge beherbergen könne. Dennoch gelang es uns bei unserer Ankunft, die Pferde in einem Bauerhause unterzubringen.

Den eigentlichen Festplatz bildete der kleine Raum, der – wie unser Bild zeigt – von Luther’s Stammhaus, in welchem die Eltern des berühmten Reformators wohnten, ehe sie nach Eisleben übersiedelten, dann der bergaufwärts über demselben gelegenen Schule und Kirche und den jenem links und rechts gegenüber liegenden Häusern gebildet wird. Die Dächer der letzteren waren zum Theil mit Menschen bedeckt, und auch mir gelang es unter den Freuden und Leiden eines Correspondenten eines illustrirten Blattes, das Stück einer Dachsparre zum Sitz zu bekommen. Rechts von der jungen Linde, welche an die Stelle der alten gesetzt wurde, unter welcher Luther auf seiner Rückkehr von Worms am 4. Mai 1521 predigte, stand das verhüllte Denkmal und in einiger Entfernung hinter demselben das durch eine kleine Gedenktafel bezeichnete Stammhaus des großen Mannes, der als Eisenacher Schüler verschiedene Male nach dort zurückkehrte und dessen directe Nachkommen noch jetzt in Möhra leben.

Endlich ertönten halb 11 Uhr die Glocken zum Zeichen, daß sich in der Schenke der Gemeindevorstand des Orts, die eingeladenen officiellen Personen, die Künstler, die Geistlichen und Lehrer der Diöcese Salzungen, der Sängerchor von daher mit der Meininger Militairmusik, sowie die Mitglieder des Festcomité’s zu versammeln hatten. Beim zweiten Glockengeläute begab sich in dieser Reihenfolge der Festzug nach dem Platze des Standbildes, vor dem auf einer um eine Stufe erhöhten Estrade der genannte Erbprinz mit seinem Hof Platz genommen hatte. Als zum dritten Mal die Glocken ertönt halten, begann der hinter dem Denkmal nach der Schule zu aufgestellte Sängerchor den ersten Vers von Luther’s Lied: „Es wolle Gott uns gnädig sein,“ in ergreifender, kaum näher zu schildernder Weise. Alsdann intonirte der Superintendent von Salzungen mit den Worten: „Ehre sei Gott in der Höhe,“ worauf der Sängerchor die in eine treffliche Composition eingekleideten Worte: „und Frieden auf Erden etc.“ respondirte und daran eine ausgezeichnete Motette von Hauptmann knüpfte. Diese Gesänge wurden so meisterhaft ausgeführt, daß wir, so wie viele Andere, die keine Ahnung davon hatten, daß ein Städtchen wie Salzungen einen solchen Sangverein aufzuweisen habe, glaubten, die Tenor- und Baßsänger wären Mitglieder der Meininger Oper und die Knaben, welche Sopran und Alt sangen, eine besonders geschulte Currende der Residenz. Um so erstaunter waren wir zu hören, daß sie zusammen den Sängerkranz aus Salzungen bildeten, der uns einen so herrlichen Genuß bereitete, daß seine Vorträge allein als ein Concert zu betrachten waren, und wir können es nicht unterlassen, in diesem Blatte, das auch der Kunst seine Spalten gern öffnet, jenem Verein die vollste Anerkennung für die vorzügliche Ausführung der schwierigen Partieen auszusprechen, da man gewohnt ist, nur von Sängerchören aus größeren Städten solche Leistungen zu hören.

Beim letzten Vers des luther’schen Kraftliedes: „Eine feste Burg,“ das unter Begleitung der Meininger Militairmusik die ganze Festversammlung in heiliger Begeisterung sang, fiel die Hülle vom Denkmal, und hoch und hehr stand in Erz der Mann, der vor länger als 300 Jahren an derselben Stelle mit seinem Feuergeist die Herzen seiner Möhraer erwärmt und erleuchtet hatte.

Nach der vom Oberhofprediger Ackermann aus Meiningen vor dem Standbilde gehaltenen Festrede mit vielen Reminiscenzen aus Luther’s Leben und nach Beendigung der Schlußgesänge überwies der Vorsitzende des Comité’s das Denkmal der Gemeinde von Möhra und empfahl es deren Schutz, worauf der herzogliche Verwaltungsbeamte zu Salzungen im Namen der Gemeinde die Übernahme dieser Verpflichtung erklärte.

Der Ort hatte einen seinen Kräften angemessenen Festschmuck angelegt. Er ist ein sehr einfaches Dorf, das, wie viele im Werragrunde, seinem Aeußeren nach nicht auf der Culturstufe der meisten Thüringer Dörfer steht. Wir sahen ältere Bauern der Gegend, die trotz der 32 Grad Hitze noch wie ihre Urväter den Pelzbartel auf dem Haupte trugen; auch sah man noch häufig den Dreimaster vertreten. Das Stammhaus der Luther, mit einer kleinen braunen Tafel mit der Aufschrift „Dr.Martin Luther’s Stammhaus“ in Goldschrift gekennzeichnet, ist mit röthlichem Lehm zwischen den Balken ausgefacht ohne allen Anstrich, was sein altehrwürdiges Aussehen allerdings erhöht und ihm den Charakter eines

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_486.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)