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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 31.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Holzgraf.

Eine oberbairische Geschichte.
Von Herman Schmid.
(Schluß.)

Zwischen den Felstrümmern auf dem Moosgrunde saß oder lehnte der Holzgraf. Seine Kleider trugen ungeachtet des Festtages die Spuren der Abnutzung an sich; die Weste war aufgeknöpft, das Halstuch hing halbgelöst um den magern, sehnigen Hals, und die langen Strähne des völlig gebleichten Haares umgaben unordentlich Stirne und Wangen. Er hatte, unbekümmert um das Passionsspiel und demselben zum Trotz, mit seinen Kameraden um so wilder geschwelgt, als er den Tag, an welchen ihm die Mittel dazu fehlen würden, bereits in nächster Nähe vor sich sah. In wüster, an völlige Trunkenheit grenzender Stimmung war er Abends nach Hause gewankt, nachdem die Straßen von der Völkerwanderung der Passionsbesucher leer geworden bis auf einige Nachzügler. Unterwegs hatte ihn die Macht der genossenen Getränke gezwungen, sich seitab von der Straße auszuruhen; er war in wüsten Schlaf gefallen, aus dem er sich eben noch halbtaumlig aufrichten wollte als der Pater vorüberging.

„Das ist kein Platz zum Ausruhen,“ redete dieser ihn an. „Steht auf, Durnerbauer, und geht nach Hause – bei dieser Jahreszeit könntet Ihr Euch leicht den Tod oder eine Krankheit holen, so unter freiem Himmel zu liegen!“

Der Holzgraf sah ihn mit einem durchdringenden Blick an, wendete sich dann ab und sagte finster: „Es wär’ Alles Eins, wenn’s geschähe – es wird sich Niemand darum kümmern, wenn ich im Straßengraben zu Grund’ geh’, und Sie, Hochwürden, haben auch keinen Dank davon, wenn Sie’s thun!“

„Ich thu’s auch nicht des Danken wegen,“ entgegnete der Pater, „ich thu’s, weil ich es für meine Schuldigkeit halte und für meine Christenpflicht … Ich meine, meine Theilnahme müßte bei einem Manne zweifach angenehm sein, der so allein ist, wie Ihr …“

„Ja,“ sagte Korby dumpf vor sich hin, „ich bin allein!“

„Und warum seid Ihr’s?“ fragte Pater Ottmar entgegen, indem er sich wie zufällig auf ein gegenüber liegendes Felsstück niederließ. „Wer die Menschen von sich stößt und nichts von ihnen wissen will, der muß sich’s gefallen lassen, wenn sie auch nichts wissen wollen von ihm …“

„Ich laß’ mir’s auch gefallen,“ sagte der Bauer, wie zuvor.

„– Und hat es Euch nie leid gethan, daß es so. ist? Habt Ihr es noch nie bereut, daß Ihr es bis dahin habt kommen lassen? …“

Der Bauer schüttelte höhnisch lachend den Kopf und schwieg.

„Ich glaub’ es Euch nicht!“ fuhr der Pater fort. „Ihr solltet nie denken, wie anders es mit Euch sein könnte? wie anders Ihr dastehen könntet? – Ihr habt Eure brave Tochter aus Starrsinn in die weite Welt. gejagt – habt einen braven Burschen, aus dem vielleicht was Tüchtiges geworden wäre, vertrieben und alle Beide unglücklich gemacht – und es sollte Euch nie einfallen, wie es sein könnte, wenn sie nun bei Euch wären und Ihr säßet mitten unter ihnen und ihren Kindern? Das sollte Euch nie einfallen, und die Leute wollen doch wissen, Ihr hättet die Vesi so lieb gehabt …“

Der Bauer halte die Hände vor’s Gesicht geschlagen und kämpfte sichtbar eine wild aufsteigende Bewegung nieder. „Ich hab’ meine rechte Hand auch lieb,“ stieß er dann hervor, „aber wenn sie brandig wird, hack’ ich sie mir selber vom Leib …“

„Und wie soll es mit Euch selber werden? Denkt Ihr, zu welchem Ende es mit Euch kommen muß? … Ihr habt Euer ganzes Vermögen verloren und verschleudert. Ihr habt nichts mehr als den Steinbruch und den alten Thurm, und wenn es wahr ist, was die Leute sagen, hat Euch der Eigenthümer des Durnerhofs schon so viel daraus geliehen, daß von Beiden kein Stein mehr Euer ist …“

„Das ist Alles wahr,“ murrte Korby und versuchte zu lachen, aber der Ton erstarb ihm in der Kehle.

„Und was soll nun aus Euch werden?“

„Nicht mehr und nicht weniger, als aus jedem Andern wird – Würmerfraß! Der Weg dazu ist überall leicht zu finden!“ Eine Handbewegung gegen die vorbeirauschende Ammer hin erklärte vollends den Sinn dieser Rede.

„Unglücklicher,“ rief der Pater entsetzt, „so weit könntet Ihr Euch vergessen? Ihr könntet es wagen, in dem Gemütszustände, in dem Ihr Euch befindet, vor dem schrecklichen ewigen Richter – vor Gott zu erscheinen, eh’ er Euch gerufen hat?“

Der Bauer ließ wieder das unheimliche Lachen hören, wie zuvor. „Ja, ja,“ rief er aus. „Sie sind ein geistlicher Herr! Sie müssen so reden! Aber ich weiß das besser, wie’s mit dem ewigen Richter ist! Wenn’s wirklich einen solchen giebt … um uns kümmert er sich nit …“

„Gottloser, Ihr zweifelt an Gottes Dasein und Weltregierung? Ihr seid wie Einer, der eigensinnig die Augen zudrückt und sagt: es giebt keine Sonne, denn ich sehe sie nicht!“

„Nein, nein, Hochwürden – ich hab’ die Augen nit zugedrückt, sondern aufgerissen – sperrangelweit aufgerissen in Verzweiflung und Noth … aber ich hab’ die Sonn’ nit gesehen …“

Er hielt einen Augenblick inne, dann richtete er sich halb

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_481.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)