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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Mit einiger Verwunderung sah Reichardt jetzt William Johnson’s Gesicht unter den jungen Männern, deren Namen ihm genannt wurden, aber kaum verrieth eine leise Gezwungenheit, mit welcher dieser ihm die Hand bot, das eigenthümliche Verhältniß, in welchem Beide zu einander standen, und als der Deutsche Platz genommen, begann jener mit einer Sicherheit das Gespräch aufzunehmen, welche dem Ersteren schnell zeigte, daß Frost’s Haus ein gewohnter Boden für den jungen Handelsherrn sein müsse. Schweigend begann Reichardt, während die unterbrochene Unterhaltung wieder in vollen Fluß kam, eine genauere Musterung der Gesellschaft, aber erst nach längerer Zeit wagte er es, sein Auge über Margaret streifen zu lassen – er begegnete ihrem Blicke, der, von einem eigenthümlichen Lächeln begleitet, auf ihm ruhte, sich aber, sobald sich ihre Augen getroffen, leicht wegwandte, und der junge Mann fühlte auf’s Neue, wie sehr er sich selbst unter Controle zu halten habe, wolle er nicht eine Neigung zu einer unbesieglichen Macht in sich wachsen lassen, die ihn wohl unglücklich machen, aber ihn nie zu einem Heile führen konnte.

„Aber in Anbetracht besagten Truthahns, der noch eine Weile auf sich warten lassen wird, möchte ich eine kleine Appetitreizung vorschlagen,“ begann jetzt John, sich erhebend. „Wenn,“ fuhr er sich nach einer der Ladies wendend fort, welche die einzige schon ziemlich verblühte Rose unter den übrigen kaum aufgebrochenen Knospen bildete, „wenn Miß Henderson uns die Quadrille spielte, die sie nur allein in dieser Art zu spielen versteht, so tanzen wir zuerst ein paar Touren durch!“

„Ich unterstütze den Antrag!“ – „und ich vereinige meine Bitten an Miß Henderson!“ klang es von Seiten der jungen Männer; das weibliche Personal aber hatte sich im Fluge um die Genannte lachend und zuredend versammelt, und sichtlich geschmeichelt erhob sich diese, um sich nach dem Piano im Hintergrunde des Zimmers zu wenden. Reichardt wußte jetzt, was dieser Persönlichkeit, die ihrem Alter nach zu keinem der übrigen Gäste paßte, eine Einladung in den Familiencirkel verschafft hatte; sein Blick flog über die sich erhebenden tanzlustigen Gruppen, die nur den ersten Ton zu erwarten schienen, um das Quarree zu bilden; er traf von Neuem auf Margaret, und ein Ausdruck von Aufforderung blickte ihm aus ihrem Gesichte entgegen, der alle seine Nerven in Erregung setzte; mit Macht drängte es ihn, sich den Platz an ihrer Seite zu sichern, im nächsten Augenblicke aber stand auch schon sein Entschluß, jeder Versuchung möglichst aus dem Wege zu gehen, wieder vor ihm – noch schwankte er in hartem innerm Kampfe, da rauschten die Accorde der Einleitungstakte auf, die jungen Männer flogen den Damen entgegen, Johnson schien der bevorrechtete Bewerber um Margaret zu sein, denn keiner der Uebrigen machte auch nur einen Versuch, ihm ihre Hand streitig zu machen; fast meinte aber Reichardt, als sie ihrem Tänzer die Hand bot, einen bedauernden Blick von ihr aufzufangen.

„Sie tanzen nicht, Sir?“ rief ihm John zu, very well, so thu’ ich es!“ und damit eilte er der einzigen noch übrigen Dame zu – der Deutsche bemerkte jetzt erst, daß die Zahl der Anwesenden, wenn der junge Frost und die Pianospielerin abgerechnet wurden, genau zu einem Quarree ausreichte, und daß er sich also jedenfalls später einer der jungen Ladies werde anzuschließen haben. Aber waren sie denn neben Margaret nicht sämmtlich ohne alles Interesse für ihn, von der verblühten Pianospielerin bis zur jüngsten herab? Die erstere hätte noch am meisten seine Theilnahme wecken können, er fühlte etwas Verwandtes zwischen ihrem Schicksale und seinem frühern, und wenn er sich ihrer annahm, mußte er sich gewiß alle die übrigen jungen Leute verbinden. Er nickte sich selbst Beifall für seinen Entschluß zu und hob freier den Kopf. Ihm gegenüber schien eben Johnson seinen vollen Humor in der Unterhaltung mit seiner Tänzerin sprudeln zu lassen, und das beifällige Lachen, welches sich auf deren Gesicht zeigte, wollte dem Deutschen fast wehe thun; er wartete, ob sie den Blick nicht noch einmal nach ihm wenden werde; aber die Quadrille begann, lustig und nur der Tanzlust hingegeben rauschten die Paare durcheinander, und Reichardt fühlte mitten in der fröhlichen Umgebung plötzlich ein Gefühl von Alleinstehen über sich kommen, wie es ihm nur in den trübsten Zeiten seiner vergangenen Fahrten geworden war.

Am liebsten hätte der Deutsche dem lustigen Gewühle gar nicht mehr zugesehen und sich in eine Fenstervertiefung zurückgezogen, um mit sich allein zu sein. So wenig wirklichen Grund er auch für die Verstimmung, welche ihn überkommen, hätte angeben können, so meinte er dennoch ihre volle Berechtigung zu fühlen, meinte es noch nie so empfunden zu haben, wie fern er dem ihn umgebenden Gesellschaftskreise stand – aber der gute Ton verlangte jetzt ein Verdecken seiner inneren Regungen; er mußte lächelnd das Auge auf den Tanzenden ruhen lassen, mußte sehen, wie Johnson seine Unterhaltung mit Margaret völlig in der leichten, sichern Weise eines bevorzugten Bekannten führte, wie seine Worte in gleicher Weise von dem in Heiterkeit strahlenden Mädchen erwidert zu werden schienen, und unwillkürlich kam ihm der Gedanke, daß Beide doch durch Stellung und Verhältnisse ein wie für einander geschaffenes Paar abgäben. Damit aber glaubte er auch plötzlich in Bezug auf Johnson’s Beziehung zu der Familie klar zu sehen, und die zwanglose Weise von dessen Auftreten war ihm erklärt; damit verstand er auch die eigenthümliche Inkonsequenz in dem bisherigen Benehmen des jungen Frost dem Andern gegenüber; Johnson als Mensch mochte Jenem nicht ganz behagen, aber gegen den künftigen Schwager mußten Rücksichten genommen werden – Reichardt mochte nichts mehr von dem Paare sehen; seine Augen blickten starr unter die Uebrigen, während doch keiner seiner Gedanken bei dem war, was sich ihm bot, und erst als am Ende der Quadrille das Quarree sich auflöste, raffte er sich wieder zum Bewußtsein der Gegenwart auf.

„Aber, by George, Reichardt, ich denke, Sie werden nicht den ganzen Abend so steif dasitzen bleiben!“ trat John lachend an ihn heran.

„Sicher nicht,“ erwiderte der Angeredete, sich erhebend, „aber ich bin unter den Uebrigen fast noch ganz fremd, und die Fühlhörner wollen erst ausgestreckt sein. Sagen Sie,“ fuhr er halblaut fort, seinen Arm vertraulich unter den des Andern schiebend und einem fast peinlichen Drange in ihm folgend, „steht nicht Mr. Johnson ihrer Familie näher, als ich bis jetzt gewußt?“

Der junge Frost sah den Frager groß an, warf dann einen Blick hinüber, wo Johnson in eifrigem Gespräche vor Margaret und einer ihrer Freundinnen stand, und wandte dann das Auge mit einem eigenthümlichen Ausdruck von Laune nach Reichardt zurück. „Ich weiß von nichts Besonderem,“ sagte er, „indessen will ich nachfragen, wenn Ihnen etwas daran liegt –“

Reichardt griff fast erschrocken nach des Andern Arm; da sah er plötzlich, wie sich Margaret mit ihrer Nachbarin erhoben hatte und in gerader Linie auf ihn loskam – er fühlte, wie ihm das Blut aus dem Gesichte wich. „Nicht wahr, Mr. Reichardt,“ sagte sie herankommend, und dem Angeredeten war es bei dem süßen Tone, der ihm entgegenklang, als fülle sich sein Herz zum Zerspringen, „Sie lassen uns eine deutsche Composition auf dem Piano hören? der Genuß wird uns so selten, und wir müssen die Gelegenheit wahrnehmen!“

Reichardt verbeugte sich schweigend, er wußte, daß er kein Wort hätte sprechen dürfen, ohne seine Bewegung zu verrathen; schon in der nächsten Secunde aber hatte er wieder die volle Macht über sich gewonnen. „Sie haben nur zu befehlen, Miß!“ sagte er langsam aufblickend und traf auf ein Auge, das wie in fragender Befremdung auf ihm ruhte. Er hielt den Blick aus, es war ihm wie eine Art Wollust, alle überquellenden Empfindungen zurückzudrängen und nur die halbe Bitterkeit, welche sich in ihm gebildet, blicken zu lassen – es war eine Selbstqual, er wußte es, aber er fand Festigkeit darin und mit einer leichten Neigung des Kopfes wandte er sich dem Piano zu.

Monate war es her, daß er keine Taste unter den Händen gehabt, und er griff in die Claviatur des prachtvollen Instruments, als wolle er mit einem Male Alles, was ihm das Herz belastete, von sich werfen. Bei seinen ersten Accorden schon waren die Gespräche verstummt, und einzelne der Anwesenden hatten in seiner

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_478.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)