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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Eberhard lag daran, das Genie und Talent durch nichts zu hemmen. Er stellte die Lehrer seiner Hochschule in der Besoldung so gut, daß sie unentgeltlich in allen Fächern lehren konnten und mußten. Er wollte, Niemand solle durch Armuth gehindert sein zu studiren; das Talent müsse den Weg zu den höchsten Stellen des Staates aufschließen, nicht Reichthum. Darum setzte er selbst auch für Studirende, die ohne Mittel, aber mit Talent kämen, zahlreiche und ausreichende Stipendien aus, und seinem Vorgange folgten Einzelne und ganze Gemeinden; sie blieben nicht in der Freigebigkeit hinter ihm zurück. Am freigebigsten stiftete seine Mutter, die Erzherzogin Mechthilde, und Fergenhans.

Eberhard erkannte die vielen und feinen Fäden, aus welchen der Geist, der „am sausenden Webstuhl der Zeit saß“, sein Werk wob, die geistige Entwicklung der Menschheit, das freie Denken der Laienwelt. Daran schloß er sein Streben an. Darum stellte er vorzugsweise nur Laien, nicht Geistliche, an seiner Hochschule an. Darum hob er das Volk. Er hatte erkannt, daß der Geist in der Zeit auf das Emporkommen des Bürger- und Bauernstands den Fortschritt der Welt gründen wollte, und die Aufgabe sei, die volle Entwicklung dieser anzubahnen, und damit die wahre Civilisation, die höhere geistige Bildung einzuleiten und allgemein zu machen.

Unter dem Volke Licht und Veredlung zu verbreiten, ließ Eberhard treffliche Schriften aus fremden Sprachen verdeutschen, nicht nur geschichtliche Werke der alten Welt, sondern auch theologische und poetische, medicinische und mathematische. Ebenso ließ er die Sprüche Salomo’s und Sirach’s und noch mehrere Male das Evangelium des Johannes verdeutschen, durch seine Professoren: Summenhart, der aus Paris gekommen, aber ein Württemberger war, durch den Speyrer Gabriel Biel und durch Reuchlin, seinen Geheimschreiber, denn die meisten seiner Professoren waren zugleich auch seine Geheimräthe. Unter den Classikern, die er verdeutschen ließ, waren namentlich die Geschichtswerke der Römer Livius und Sallust, und einige Reden des Demosthenes. Alle diese Schriften ließ er durch den Druck verbreiten. Kaum erst, um das Jahr 1440, hatte Guttenberg die Buchdruckerkunst erfunden, und schon im Jahre 1475 hatte Eberhard eine Buchdruckerei in seinem Lande, zu Blaubeuren, gleich darauf eine zu Urach, unter Conrad Feiner, und eine dritte, im Jahre 1486 zu Stuttgart. In keinem Lande wurde damals so viel gedruckt als in dem kleinen Württemberg. Eberhard hatte sogleich die Bedeutung der Presse erkannt, als das kräftigste Hülfsmittel zu allgemeiner und specieller Verbreitung der Bildung. So wurde er der Begründer der Wissenschaften in seinem Lande und der Aufklärer für das ganze südliche Deutschland, der Bildner seines Volkes und der Erste, welcher kirchliche Reformen vornahm.

Er war ein geschworner Feind der „faulen“ Mönche, und sah mit großem Mißfallen ihre Menge und ihre Ausartung. Er griff auch in die Mönchsklöster auf eigne Faust als Reformator ein. Um mit dem Papste sich zu verständigen und dessen Genehmigung für beabsichtigte größere Reformen zu gewinnen, reiste er persönlich nach Rom, vierzehn Jahre, nachdem er es auf seiner Rückkehr aus dem Morgenlande zum ersten Male besucht hatte. In seinem Gefolge war namentlich Reuchlin. Papst Sixtus IV. empfing diesen kleinen Fürsten aus Deutschland, der nichts war als der Graf von Württemberg, mit einer Auszeichnung, wie er sie großen Monarchen Europa’s nicht gewährte. Es war damals noch nicht sowohl der Ruf von dem vielgeltenden Einfluß am Kaiserhof, bei Fürsten und Städten der deutschen Lande, was ihn dazu bestimmte – denn dieser bildete sich erst nachher zu solcher Höhe: es war die geistesmächtige und charaktervolle Persönlichkeit, die dem Papste die hohe Achtung abzwang, und die Einsicht, daß so ein Mann geschont werden müsse, um ihn nicht der Kirche gefährlich werden zu lassen.

Es war dem Papste Allerlei über Volk und Land Württemberg hinterbracht worden, unter Anderem, was das für ein „gewaltthätiges“ Volk sei. Es hatte nämlich der römische Hof öfters auch in den württembergischen Landen Eingriffe in die geistlichen Lehen zu thun versucht, wie überall. Durch Briefe und Bullen hatte man in Rom sich herausgenommen, hin und her Kirchen zu vergeben an solche, welche sich die Stellen mit Geld erkauft hatten. Die Unterthanen von Württemberg und der dazu gehörigen Grafschaft Mömpelgard hatten aber auch ihrerseits sich heraus genommen, die Rechte ihrer Herren zu handhaben, und wenn sich einer anmeldete, mittelst solcher römischen Bullen Besitz von den Kirchen zu nehmen, so kam er bös weg. Sie haben ihn, so war dem Papst Sixtus hinterbracht worden, auf das höchste Dach der Kirche gesetzt; von Hunger abgemattet, sei er endlich heruntergefallen. Sei einer nicht zu Tode gefallen, so sei er ertränkt worden oder habe er die Pergamentbulle auffressen müssen. – Der Papst fragte nun den Grafen Eberhard in der Audienz darüber. „So lang ich Herr im Lande bin,“ antwortete Eberhard, „hat noch Niemand vom römischen Hofe sich unterstanden, mir einigen Eintrag zu thun. Aber ich wünsche auch nicht, daß man es wage, sonst würde ich solches Unternehmen gleichmäßig bestrafen; und wenn ich es nicht bestrafte, so dürften meine Unterthanen die Meinung von mir fassen, daß ich ein Bastard und ganz aus meiner Ahnen Art geschlagen sei. Diese haben das Recht der Vergebung geistlicher Lehen mit Vergießung ihres Bluts im heiligen Lande erworben, und alle meine Vorfahren haben dieses Recht standhaft behauptet. Ich werde davon nicht abweichen.“ – Verwundert über die muthige Sprache und die Festigkeit dieses Grafen aus dem Lande der Schwaben sagte Papst Sixtus zu ihm, „er thue sehr wohl daran,“ verehrte ihm die goldene Rose, welche an diesem Tage, dem Sonntag Lätare, die Päpste seit alter Zeit zum Geschenk für irgend einen Fürsten der Christenheit zu weihen gewohnt waren, und stimmte den Verbesserungen zu, welche der Graf in Kirchensachen seines Landes zu machen gedachte.

Die Unterredungen mit diesem Schwaben hatten dem hochgebildeten, aber ganz verweltlichten Italiener auf dem Stuhle Petri Bewunderung eingeflößt. Zwei Cardinäle wurden vom Papste zu seinem Ehrengeleit befehligt. Aber auf dem Wege zur Peterskirche wurde einer derselben an der Seite Eberhard’s – von einem Banditen erstochen. Diese Ordnung in der Hauptstadt der Christenheit, solche Frucht päpstlicher Volks- und Christenerziehung gefiel dem Grafen schlecht.

Er hatte zu viel in Rom gesehen, um nicht aus dieser Stadt und ihrem Blutgeruch wegzueilen zum Besuch dessen, welchen Papst Sixtus auf den Tod haßte, zu Lorenzo von Medici, welcher sein Florenz zu einem Sitz der Wissenschaften und Künste gemacht hatte, wie sonst keiner damals in der Welt war. Viel von dem, was er in diesem Wissenschafts- und Kunststaat zu Florenz gesehen, begleitete ihn als unvergeßliche Erinnerung in sein Land zurück; noch näher und öfter verkehrte er seitdem mit den Lehrern seiner hohen Schule; und hatte er bisher schon die Gewohnheit, wo er etwas Wichtiges und Unbekanntes vernahm, solches in seiner Schreibtafel zu verzeichnen, so nahm er jetzt seine Schreibtafel noch mehr zur Hand, hörte mit offeneren Sinnen den Unterredungen der wissenschaftlichen Männer zu, fragte und ließ sich belehren. Denn in ihm widersprach Alles einem blinden Annehmen und Glauben; er wollte in Allem Ueberzeugung, für sich und für Andere. Dieser Graf im Bart war einer der Geister, welche der Reformation und der neuen Zeit voranschritten, einer, in welchem der protestirende Verstand bei tief inniger Religiosität mächtig war, lange seiner Zeit voraus, und in welchem Gedanken zur Klarheit kamen und durch ihn in’s Leben heraustraten, an deren Verwirklichung in der Welt die kommenden Jahrhunderte arbeiteten und zum Theil noch heute arbeiten in schwerem Kampfe.

„Keinen heißeren Wunsch,“ sagt sein Vertrauter Summenhard in seiner Gedächtnißrede auf den Grafen, „hatte Eberhard, als daß er noch eine allgemeine Kirchenversammlung, eine Reformation in Haupt und Gliedern erleben möchte.“ Vorerst that er das Seine im kleinen Kreise, und zwar darin Alles, was er konnte, damit der Geist frei werde und die Bildung allgemein, damit es licht werde in der Werkstatt und im Hause des Landmanns. Im deutschen Bürger und Bauer und in Regierungen, welche auf diese sich stützen, sah er Deutschlands Zukunft. Die Formen des Bisherigen in Kirche und Staat erschienen ihm veraltet, ausgenützt, überlebt. Das Volk sollte in den Vordergrund treten, Möncherei und Ritterthum, geistliches und weltliches Mittelalter sah er dem frischaufblühenden Volksleben und seiner zukunftreichen Kraft gegenüber als etwas Unhaltbares und Abgestandenes an. Aus seinem deutschen Bibelwort hatte er, wie er sagte, sich herausgelesen, daß „Menschen aus allen Ständen, Geistliche, Edle und Bürger, in Gemeinschaft leben und sich Alle als gleich betrachten sollten.“

(Schluß folgt!)

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