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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Jetzt, über Nacht, brach sie mit Macht hervor und wuchs zum Erstaunen.

Vier Jahre noch festigte er sich, seine Grundsätze und seine Gesundheit im Heimathlande. Dann führte er einen Vorsatz aus, in das heilige Land zu gehen. Es war in seinem dreiundzwanzigsten Jahre; er konnte dabei die Welt sehen und sich bilden, aber eben so sehr trieb es ihn, den Schauplatz seiner Verirrungen auf einige Zeit zu verlassen, nach dem Glauben des Jahrhunderts Sühne zu holen am Heiligen Grabe, und dann, wenn indeß vollends, weniger durch die Zeit, als durch das Licht seiner in den Augen der Zeitgenossen heiligen Pilgerfahrt, die Erinnerung seines früheren Lebens im Lande sich verwischt hätte, wiederzukehren in neuer Weihe für sein Volk, als ein innerlich und äußerlich Entsühnter. Er ernannte einen Regimentsrath, an die Spitze desselben den berühmten Johanniterritter Georg von Ehingen, der im Morgenlande gegen die Türken gestritten und Frankreich, Spanien, Portugal und Marokko bereist hatte, eben so kenntnißreich als tapfer. Er machte sein Testament und brachte es selbst zur Verwahrung in die Carthause von Güterstein.

Am 10. Mai 1468 empfing er zur Pilgerfahrt die Weihe durch den Abt von Herrenalb, Johann von Udenheim, der aus seinem schönen Schwarzwaldthal herabgekommen war, den jungen Fürsten, den Schirmherrn seines Klosters, zur Fahrt einzusegnen. Knieend vor dem Hochaltar der Carthause zu Güterstein, über dem Grabe seines Vaters und seiner Brüder, leistete Eberhard das Gelübde, umgeben von seinen Freunden, seiner Mutter, ergrauten Dienern seines Hauses und Männern aus dem Volk. Dann nahm er Abschied von ihnen und besonders von dem alten Vater, und ging über die schwäbische Alp in’s Gebirge der Alpen, nach Venedig, von da zu Schiff über die Inseln des Mittelmeers an’s heilige Grab, wo er den Ritterschlag empfing. Er besuchte die heiligen Orte, fuhr zurück über Cypern, Rhodus und Candia nach dem untern Italien. Denn Italien, Rom, Siena, Florenz, Bologna zu sehen, war von vornherein in seinem Plane gewesen. Bereichert mit Anschauungen, kam er über Tyrol wieder in sein Land. Auf der Reise hatte er den Bart wachsen lassen, was bei Fürsten damals nicht mehr Sitte war, und doch behielt er ihn bei sein Lebenlang. Daher sein Beiname „der Bärtige“, am gewöhnlichsten „Eberhard im Bart“. „Ludwig im Bart“ hatte das Volk auch seinen mütterlichen Großvater, den Kurfürsten von der Pfalz, geheißen.

Da war eine Freude durch’s ganze Land, als Eberhard wieder kam. Und auch er freute sich, wieder unter seinem lieben treuen Volke zu sein; die große Welt, die er gesehen, und die fremden Völker und Höfe hatten ihm die Liebe zu seinem Land und Volk nicht gemindert, sondern gemehrt. So ein treuherziges Volk und solche Sitteneinfalt hatte er, wie er sagte, weder im Süden noch im Osten gefunden. Nur Eines vermißte er in seiner Heimath, was er in Italien gesehen, die Blüthe der Kunst und der Wissenschaft.

So wenig groß von Person Eberhard war, so war doch der gedrungene Jüngling von gewaltiger Stärke und ritterlicher Gewandtheit und in der ersten Jugend sehr kriegerisch gesinnt. Ganz anders kam er aus Italien zurück: die Palme des Morgenlandes wählte er zu seinem Symbol; von da an sah man diese neben seinem Wappen gemalt, mit seinem Wahlspruch „Attempto“ umwunden. Er wagte es, von nun an ein Palmbaum zu werden, frucht- und segensreich, friedebringend für sein Volk.

Ehe er bei der Heimkehr seine Mutter, seine Räthe, seine Freunde sah, besuchte er den „alten Vater“ zu Güterstein. Später besuchte er seinen Oheim, den Pfalzgrafen Friedrich zu Heidelberg. Da weilte er länger. Dieser kriegerische Fürst, welcher „der Siegreiche“ heißt, war zugleich von tiefer Einsicht in Staatsgeschäften und bekannt durch seine Liebe zu den Wissenschaften. Da sah Eberhard, wie man einen Staat verwalten mußte, wenn das Land blühen sollte; da sah er die trefflichen Lehranstalten, die segensreiche Universität, die tüchtigsten Männer in den Stellen. Solche wollte er auch für sein Land haben. Der Gedanke, eine Hochschule in seinem Lande zu errichten, hatte ihn nicht mehr verlassen, seit er Bologna, die berühmteste Universität der damaligen Welt, auf seiner italienischen Reise gesehen hatte.

Es fügte sich, daß er eine Gattin fand, welche eine höhere Geistesbildung hatte. Das war Barbara, die Tochter des Markgrafen von Mantua, aus dem Hause Gonzaga. Vom Vater her Italienerin, war sie von der Mutter her eine Deutsche. Sie liebte das Volk so sehr, daß sie bei einer Theuerung, die ihr als sehr schwer für das Landvolk geschildert wurde, zu ihren Begleitern auf der Weinsteige bei Stuttgart sagte: „sie wolle lieber Speck und Erbsen mit den Bauern essen, als daß das Volk hungere.“ Neunundzwanzig Jahre alt war Eberhard, als er sich mit ihr vermählte. Glücklich, wie sie anfing, blieb diese Ehe bis an’s Ende. Sein Gedanke, eine Universität in seinem Lande zu gründen, konnte an dieser Frau nur einen Geist finden, der ihn darin bestärkte und förderte. Ebenso dachte und sprach seine Mutter Mechthilde. Nicht überall hatte er, seitdem er mit diesem Gedanken umging, Aufmunterung gefunden. Einst, noch in Welschland, hatte er mit einem Herrn darüber gesprochen, und dieser ihn angeschaut und gefragt, was er denn für ein Land und Gebiet habe, daß er es so herrlich mit einer Universität zu zieren würdig achte. „Ich habe zwar,“ antwortete Eberhard, „ein Land, das nicht das allerköstlichste, ja wohl ziemlich gering ist: aber dennoch weiß ich mich eines sonderlichen Nutzens und einer köstlichen Frucht von meinem Lande zu rühmen, der Treue und Liebe meines Volkes, eines jeglichen unter meinen Unterthanen.“ – Dieser Liebe und Treue seines Volkes einen dauernden Dank abzutragen, war der eine Beweggrund zu seiner Universität. Ein anderer war, daß er täglich zu erfahren hatte, was ihm damit abging, daß er selbst nicht in Wissenschaften unterrichtet worden war. Oft kam er auf Reichstagen und in fremden Landen unwillig auf seine Vormünder zu sprechen und pflegte zu sagen: „die Wissenschaft, Künste und Sprachen seien Niemand so sehr von Nöthen, als eben einem Fürsten.“ Ein dritter Beweggrund von ihm war, daß er seine Zeit begriff, daß er, wie alle höheren Geister, eine Vorahnung dessen hatte, was das nächste Jahrhundert in seinem Anbruch bringen sollte; er wollte auch das Seine dazu thun, das Geschlecht für die neue Zeit vorzubereiten.

Der Geist, der im Sturm der hussitischen Bewegung durch die Welt gegangen war, war zwar vorübergerauscht, schon fünfzehn Jahre zuvor, ehe Eberhard in der Wiege lag, aber er hatte unauslöschlich tiefe Spuren eingedrückt in viele Stätten und in viele Gemüther. Der „alte Vater“ in der Carthause zu Güterstein war kein Pfaffe, und der schöne helle Glaube, den er in des jungen Eberhard Kopf und Herz pflanzte, empfing sein Licht durch diesen Carthäusermönch. Wie war die Bibel in Deutschland damals selten in lateinischer Sprache, geschweige in deutscher! Aber Eberhard hatte das Glück, das geistvollste Buch des neuen Testaments schon in seiner Jugend deutsch lesen zu können, das Evangelium des Johannes. Das war sein Handbuch. Eberhard hatte aber auch die Geschichte der Hinrichtung der Glaubenszeugen Huß und Hieronymus gelesen. Auch diese hatte er sich eigen in’s Deutsche übersetzen lassen, und er hatte tief bewegt in Constanz am Bodensee die Stätte betreten, auf welcher die Scheiterhaufen einst standen, auf welchen Huß und Hieronymus für die Wahrheit verbrannt wurden. Er fühlte sich dadurch erweckt, den heiligen Kampf gegen Aberglauben und geistlichen Fanatismus, welchen jene begonnen, auf seine Art fortzusetzen. Aus allem dem reifte vollends in ihm der Entschluß, wie er wörtlich in der Urkunde es ausdrückt, „helfen zu graben den Brunnen des Lebens, woraus von allen Enden unsichtbar möchte geschöpft werden tröstliche und heilsame Weisheit zur Erlöschung des Feuers menschlicher Unvernunft und Blindheit, und eine hohe allgemeine Schule aufzurichten.“

In einem Zeitraum von sechzehn Monaten wurde Alles für die neue Hochschule von ihm begonnen und ausgeführt, am Fuße des Sitzes der alten Pfalzgrafen zu Tübingen. Am 3. Juli 1477 lud er auf seine Hochschule das In- und Ausland ein, und am 14. September wimmelte es schon in den Straßen Tübingens von Fremden und Eingebornen aus Schwaben, Franken und der Schweiz. Selbst die hohen Schulen von Paris und Bologna besaßen nicht mehr und nicht höhere Privilegien und Freiheiten, als er seiner Stiftung gab. Am 1. October wurden die Vorlesungen eröffnet. Die ausgezeichnetsten Männer rief er dahin aus dem Ausland. Johann Naucler leitete ihn dabei. Unter den Berufenen war auch der nachher so berühmt gewordene Johann Reuchlin, der große Humanist und Lehrer der Staatswissenschaft. Dieser wurde bald unter Eberhard’s vertrauten Räthen einer der Ersten. Eberhard selbst blieb die Seele seiner Hochschule. Obgleich Stuttgart später die eigentliche Residenz war, so wurde doch Tübingen sein Lieblingsaufenthalt, und man sah ihn häufiger zu Tübingen als in Stuttgart oder Urach.

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