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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

einem in Rechtsform gebrachten, verbrieften und beiderseitig beschworenen Vertrag.

Er nahm das aus der Kenntniß der menschlichen Natur und Seele, seiner eigenen zunächst; denn seine ersten Regierungsjahre waren böse gewesen. Fünf Jahre war er alt, als sein Vater starb, welcher im vierzehnten Jahre selbstständig die Regierung eines Landes angetreten hatte. Dieser frühe Verlust des Vaters hatte für den Sohn eine Erziehung zur Folge, wie sie ein Fürst nicht haben soll. Er hat es später oft gesagt: „Eine schlechte Erziehung von Fürstenkindern ist die Quelle der meisten Uebel für Volk und Fürstenhaus.“ Seine Mutter war eine treffliche Frau, in seltenem Grade gebildet für ihre Zeit. Sie trat aber schon im zweiten Jahre ihres Wittwenstandes außerhalb Württembergs in zweite Ehe mit dem Erzherzog Albrecht von Oesterreich, und Eberhard blieb als Waise in Württemberg zurück. Doch sie wußte ihren Liebling unter einem ausgezeichneten Lehrer. Das war Johann Fergen; er ist bekannt in der Geschichte der Wissenschaft seiner Zeit unter dem deutschen Namen Fergenhans, unter dem griechischen Gelehrtennamen Nauclerus, der vertrauteste Freund und Mitarbeiter Reuchlin’s und der Lehrer Melanchthon’s auf der Universität zu Tübingen. Das war der Ferge, welchem die Mutter die Fähre vertraut hatte, ihren Sohn Eberhard zu führen. Er war weder Mönch noch Priester, dieser helle, freie Geist. Aber aus Haß gegen die Mutter, welche „lateinische“ Briefe schrieb, hatten die Vormundschaftsräthe, welche ritterliche Kriegsleute, aber ohne humane Bildung waren, dem Lehrer befohlen, aus dem jungen Fürsten keinen Lateiner zu machen; es sei genug, wenn er deutsch lesen und schreiben lerne. Ihre Absicht war, ihn unwissend und den Geschäften abhold zu erhalten, damit sie selbst in seinem Namen regieren könnten. Fergenhans wurde strenge von ihnen überwacht: die lateinische Sprache, damals die allgemeine Geschäftssprache, blieb vom Unterrichte ausgeschlossen, und Naucler hatte keinen Raum, als durch die Geschichte, die Länder- und Völkerkunde und durch einzelne Wahrheiten auf den aufgeweckten Kopf und das Gemüth des überaus lebhaften Knaben zu wirken. Nicht viel sitzen über’m Lernen, sondern ritterliche Leibesübungen treiben und der Fürst eines Ritterhofes werden, wie seine Ahnen, die alten Eberharde – das sollte er nach dem Wunsche und der Ansicht der adeligen Vormundschaftsräthe. In seinem vierzehnten Jahre thaten sie, was ihm wohl gefiel; mit Vollendung desselben entfloh er der vormundschaftlichen Gewalt seines Oheims, erklärte sich für volljährig und trat die Selbstregierung des Landes an. Sie hatten die Zustimmung der Städte dazu gewonnen und ihn dazu beredet; sicher, daß er sie regieren und seinen Leidenschaften die Zügel schießen lasse.

Das Letztere geschah. Der vierzehnjährige Landesherr stürzte sich in den Strudel des wildesten Lebens. Er umgab sich mit jungen adeligen Gesellen. Die schöne Zeit verfloß unter allen Arten von Jagdvergnügen, von ritterlichen Uebungen – in diesen that es ihm bald keiner zuvor – unter Spiel und Tanz und frohen Gelagen. Aber im zweiten Stück hatten sich die Räthe verrechnet, der fürstliche Wildfang durchschaute die selbstsüchtige Absicht, in der sie seine Mündigsprechung gefördert hatten; er, der bei seinem Ehrgeiz in Allem der Erste sein wollte, hatte keine Lust, der Spielball seiner alten Räthe zu sein, und die jungen adeligen Genossen seiner Freuden und Ritterspiele waren eben so eifrig, die alten Räthe aus ihren Stellen zu verdrängen und sich selbst in deren Einkommen und Einfluß zu setzen.

Der Knabe im Fürstenhut nahm seine jungen Günstlinge zu seinen Räthen an und schob die alten bei Seite. Bitter getäuscht sahen diese, wie die Verwilderung der gewaltigen Leidenschaften, die sie aus Eigennutz nicht zur rechten Zeit gezügelt hatten, sich gegen sie selbst wandte und nichts mehr nach ihnen fragte. Selbst seinem Lehrer Naucler gab er zu verstehen, daß er für jetzt unpassend sei, er gab ihm eine Pfründe als Kirchherr zu Brackenheim, an der fernsten Landesgrenze, und der ehrwürdige Fergenhans zog sich darauf zurück. Eberhard aber schien die Freiheit, Landesherr zu sein, da nichts Edles mehr Raum am Hofe hatte, nur dazu benützen zu wollen, sich selbst und das Land zu Grunde zu richten, auf die eigene Gesundheit, wie auf den Wohlstand und die Sittlichkeit seines Landes hinein zu stürmen. Nicht blos Tage und Nächte wurden durchschwärmt, sondern mit der wilden Jagd seiner leichtsinnigen Junker warf er sich, wie auf das Wild des Waldes, so auf die Unschuld und die Schönheiten des Landes, das er auf und ab durchzog. Es war nicht ein Leben für die Schönheit, nicht ein Suchen des Lohns nach der Arbeit des Tages im Genuß der Liebe, in der Gunst der Frauen; es war ein wüstes, frevles Treiben, das in Haus und Hütte einfiel mit dem Wollustzahne des Raubthiers. Ja, Tag und Nacht schwelgte er oft mit seinen überlustigen Gesellen – in den Nonnenklöstern. Das wüste Hofleben häufte nicht blos Schulden auf das Land, sondern Steuerbedrückungen widerrechtlicher Art mit seinem Wissen, auf sein Verlangen, und mehr noch ohne sein Wissen, durch seine gewissenlosen Räthe und Diener. Die gewaltsam geknickten Lilien und der unter den ungerechten Steuern zusammengedrückte arme Mann erschienen ihm als in der Erinnerung aus seiner ersten Jugendzeit auftauchende Geister oft später, nachdem er Alles gethan, sie zu sühnen, selbst noch auf dem Todtenbette.

Ist das der Fürst, wie er sein soll? wird man wohl fragen, im Angesicht der Aufschrift dieses Artikels. Das ist der Fürst, wie er nicht sein soll; es ist der Fürst, der vierzehnjährig an die Regierung gesetzt wurde; sein eigenes und seines Landes Unheil. Aber im achtzehnten Jahre trat der Knabe im Fürstenhut, zum Staunen und Schrecken seiner bisherigen Umgebung, zum Staunen und zur Freude des Landes, als Mann hervor, ganz umgewandelt. Attempto! sprach er im Latein der Zeit; “ich wag’s!“ zu deutsch. Das blieb der Wahlspruch seines Lebens; wo man noch heut ein Bild von ihm sieht, ist dieses Wort angebracht. Was war es, was er wagte? – Er war mitten drin in der Freiheit des Regierens und Genießens, als er plötzlich nicht mehr das war, was er bisher war; als er sein „bisheriges Selbst abschaffte“ und seine bisherige Gesellschaft und Ton und Art am Hof und im Land. Die plötzliche Veränderung in ihrer ganzen Größe zeigt sich am klarsten in einer That: in seinem achtzehnten Jahre reformirte der Fürst jene Nonnenklöster, die bisher die Tummelplätze seiner Freuden waren, in Person, unter Drohung, sie zu schließen, wenn sie sich nicht besserten. Er verbot jeden männlichen Zutritt.

Zwischen Stadt Urach und Dettingen im Württemberger Lande, eine kleine halbe Stunde von dem Bergschloß Hohenurach, in einem wilden Felsthal, sieht man heutzutage den Fohlenhof Güterstein. In wasserreichen Monaten springt hoch oben herab von der Mitte der Felsenwand der Brühlbach, ein schöner Wasserfall, gegen hundert Fuß abstürzend und dann über Felsgeröll hinab in vielen kleinen Wasserfällen schäumend und weiterrauschend in’s Thal der Erms. Dort, in einem Halbkreis, umgürtet von gelbrother Felsenwand, lag damals auf einer kleinen Wiesenanhöhe die „Carthause Güterstein“, aus Wilhelm Hauff’s Lichtenstein den Lesern bekannt. Eberhard’s Vater und sein Oheim hatten dieses Carthäuserkloster errichtet. Propst daselbst war Conrad von Münchingen, gewöhnlich „der alte Vater“ genannt, ein Bild von Weisheit und Ehrwürdigkeit.

Dieser ist es, um welchen sich, wie um seinen Angelstern, Eberhard von da an bewegt, wo er ein Anderer zu sein sich entschlossen hat. Dieser war es wohl auch, der im rechten Augenblick die Seele des Jünglings berührte, ihm das Auge über sich selbst öffnete und das weckte, was Gutes in ihm wie im Todesschlafe lag. Der Mutter Mahnung, Naucler’s, des fernen Lehrers, Erinnerung an Hercules am Scheidewege und an die letzten Worte seines sterbenden Vaters mögen zusammengetroffen sein mit dem Zustande des Fürsten, dessen Gesundheit litt unter dem, was er ihr zumuthete. Aber gewiß war es des alten Carthäusers im wohl wahrgenommenen Augenblick mitten auf’s Herz geführter Schlag, unter welchem der alte Mensch, in seiner Wildheit bereits abgeschwächt, sterbend zusammenbrach und der neue Mensch auferstand.

Der Verfall seines Hauses, die böse Wirthschaft, unter welcher das Land litt, und die Gestalten der alten Eberharde, des „Erlauchten“ und des „Greiners“, unter denen Württemberg blühend geworden, standen jetzt vor seinem Auge. Er wollte für das Land werden, was jene ihm einst waren, und mehr als sie. Er entließ zuerst von sich sein Schwelgen und Umherschwärmen; zugleich entließ er die Genossen seines Müßigganges, die Lehrer und Pfleger seiner Ausschweifungen, seine Verführer und unfähigen Räthe; die einen verbannte er, die andern stahlen sich davon. Die Luft des Hofes reinigte sich plötzlich. Der unter lauter unwissenden, rohen und seichten Gesellen gelebt, umgab sich jetzt mit erfahrenen, weisen und ernsten Räthen, lebte nur den Geschäften und dem Entschluß, wieder gut zu machen, was er bisher böse gemacht. In keinen Fürsten hatte die Natur so viel Liebe zur Weisheit und zur Wissenschaft gelegt. Bisher war keine Spur davon an’s Licht getreten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_470.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)