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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

beschäftigten. Die Ereignisse gingen ihren gewaltigsten Gang: vom Einmarsch in Rußland bis zum Rückzug aus dem brennenden Moskau und über die eisige Beresina, von der Erhebung Deutschlands bis zur Leipziger Schlacht, zum Eindringen der Alliirten in Paris und zum endlichen Sturze der Fremdenherrschaft. Auch Ammergau hatte sein reichliches Contingent zu den russischen Opfern gestellt, und als die Volksbewaffnung begann, stand Alles in Waffen, in die Nationalgarden- und Gebirgsschützen-Compagnien eingetheilt, welche mit dem Wachtmeister Luipold ein paar andere Veteranen aus dein Preußenkriege bildeten und commandirten, der riesige Florlmartl als Hauptmann und als sein Oberlieutenant der gewandte Franzist.

Auch von Vesi halte nichts mehr verlautet: von Domini war nicht einmal an seine nächsten Befreundeten eine Nachricht gekommen.

So war es Friede geworden in der Welt, und allerorten tauchten mit seinen Segnungen auch die Freuden und Beschäftigungen des Friedens wieder empor. Darum dachten auch die Oberammergauer wieder daran, ihr Passionsspiel aufzuführen, als ein Friedensfest, wenn auch die Zeit, in welcher sonst die Wiederholung zu erfolgen pflegte, noch lange nicht vorüber war.

Wie vier Jahre vorher geschehen war, ging es auch in den Pfingstwochen von 1815 gar lebhaft und geräuschvoll zu neben der Kirche von Oberammergau, denn auf dem Gottesacker wurde wieder die Bühne zur Passion gezimmert, gemalt und aufgeschlagen. Die Arbeiter waren wieder lustig und guter Dinge und sangen wie damals.

Niemand beachtete einen großen Mann in halb städtischer Kleidung, der an dem Bau und an den Werkleuten vorüberschritt und ebenfalls nicht zu bemerken schien, was vorging. Er kam die Dorfgasse herauf und nahm die Richtung den letzten Häusern zu, von welchen die Landstraße nach Ettal führt und dann unterwegs sich abzweigt in's Graswanger Thal.

Es war Korby, der Holzgraf.

Er ging rüstig und hochaufgerichtet daher, wie sonst; aber das Haar war dünn und silberweiß geworden, und die Augen, die sonst so herausfordernd um sich geblickt hatten, hingen starr und finster an der Erde. Wenn er sie zeitweise erhob, um nach einem Fenster zu sehen, hinter welchem ein bekanntes Gesicht hervorsah, blitzte in denselben noch der alte ungebeugte Trotz; um den Mund lag der Hohn sogar in weit stärkern Linien eingegraben aber in den schlaff gewordenen Zügen des Gesichts war doch nicht zu verkennen, daß die Kraft des Körpers dem wilden Gemüthe den Dienst zu versagen begann.

So verändert sein Aussehn war, hatte es doch nicht an Augen gefehlt, die ihn erkannten, und bald ging es wie ein Lauffeuer durch das Dorf, der Holzgraf sei wieder da. Man fragte, erkundigte sich, erzählte und bald wußte Jedermann, daß es mit seinem Reichthume zu Ende war. Er hatte in der Stadt sein verschwenderisches Treiben noch kostspieliger fortgesetzt, zuletzt aber sich in Lieferungs-Geschäfte eingelassen, die mit großen Verlusten für ihn endigten. So hatte er einen letzten unansehnlichen Rest zusammengerafft und war zu nicht geringer Verwunderung des neuen Besitzers auf dem Durnerhofe plötzlich erschienen, um den Thurm zu beziehen, den er sich vorbehalten hatte bei dem Verkaufe.

Bald ließ sich auch seine Anwesenheit in den Wirthshäusern spüren, in denen er früher sein Wesen getrieben hatte und nun wieder begann, als ob gar keine Zeit dazwischen gelegen wäre. Das Geld strömte nur so und lockte bald die alte Schmarotzergesellschaft wieder um ihn zusammen. Wer ihn beobachtete, konnte nicht glauben, daß es mit seinem Reichthume zu Ende sei; man mußte eher vermuthen, er habe einen Schatz gefunden und denselben verdoppelt. Niemand ließ es sich in den Sinn kommen, daß er nichts mehr besaß als einen Sack voll Thaler, in welchen er jeden Morgen mächtig hineingriff, obwohl er schon die Tage zählen konnte, innerhalb deren sein Inhalt verschwunden sein würde.

Das Eine, was er unterließ, war, mit eigenem Gespann zu fahren; er nahm dafür häufig Lohnfuhrwerk und erklärte es damit, daß er in seinem „Geschloß“ keinen Raum habe. Pferd und Wagen nach seinem Sinn unterzubringen, ein „Gefrett“ könne er nicht ausstehn.

Unverändert war er geblieben in seiner Scheu vor Allem, was mit Religion und Kirche zusammenhing, und er ließ keine Gelegenheit unbenützt, seine höhnische Nichtachtung durch Wort und That zu zeigen. Wohl vermochte er nicht mehr den Ton der Orgel oder die Stimme des Predigers durch Peitschenknall und Rädergerassel zu übertönen oder zu stören; aber er fehlte nie an der Kirchenthüre oder bei einem Wallfahrtszuge, um in entgegengesetzter Richtung daran vorüberzuschreiten und den Hut fester in die Stirne zu ziehen.

An einem schönen Maitage Abends kam Pater Ottmar Weiß, der Exbenedictiner von Ettal, das von dort herführende Sträßchen entlang. Am Tage hatte eine der ersten Passionsvorstellungen stattgefunden, denn Pfingsten war damals ungewöhnlich früh gefallen, nur der Pater hatte den Abend benutzt, sich von der Aufregung und Anstrengung des Tages durch einen Ausflug in’s Freie zu erholen, zugleich dem alten lieben Kloster einen Besuch zu machen, in welchem er so manche schöne und ernste Stunde verlebt hatte und das nun mitten in der großartigen Bergeinsamkeit verlassen und trauernd, vergessend und verfallend dalag. Nichts hatte den Schritt des einsamen Besuchers gehemmt als er durch den hallenden Hauptgang über das lückenhafte Pflaster dahinging und in die Zelle trat, welche einst die seinige gewesen war. Sie war leer bis auf einiges alte Ackergeräth, zu dessen Aufbewahrung sie nun diente: ein aufgescheuchter Vogel huschte durch das zerbrochene Fenster hinaus und über der Ecke, in welcher der Arbeitstisch gestanden, hatten Spinnen ihre freien Webstühle reichlich aufgehangen.

Sinnend und erweichten Gemüths stand er davor und trat in dieser Stimmung den Rückweg an. Es war ihm friedlich um das Herz, und diesen Frieden, der strahlend auch außer ihm auf der abendsonnigen Natur lag, gönnte und wünschte er Allem, was ein Menschenherz in der Brust trug. War doch die Zeit nicht arm an neuen Besorgnissen, denn die Flucht Napoleons von Elba hatte die Welt aus dem kurzen Traume der Ruhe emporgeschreckt, und mit Bangen sah man der Entscheidung des neuen Kampfes entgegen. In solchen Gedanken und Empfindungen war der Pater an die Wendung der Straße gekommen, wo hart an derselben rechts eine ungeheuere schroffe Felsenwand emporstarrt, während gegenüber, beinahe nur durch das kleine Flußgebiet der Ammer getrennt, die Kofelspitze in die Höhe ragt, und gegen die Mitte zu der Kirchthurm von Oberammergau zuerst über die Anhöhe herübersieht. In der Felswand befindet sich der Eingang einer mächtigen, tief eindringenden Höhle, jetzt mit einem hochragenden Kreuze geschmückt, damals höchstens als Zuflucht von einem Jäger benützt, dem ein Unwetter oder anfallender Nebel die Gebirgsjagd verleidet haben mochte.

Mit stillem Wohlgefallen ruhte das Auge des Paters auf den Felshöhen, die im Widerschein des Abendroths leuchteten; dann glitt es abwärts zu den Baumniederungen und den Felstrümmern, welche vor Jahrhunderten herabgerollt waren und nun unter moosiger Decke auszuruhen schienen von dem riesigen Sturz.

Mit einem Male stand der Wanderer stille, denn es hatte sich etwas zwischen den Büschen mit Trümmern geregt, und als er schärfer hinblickte, erkannte er die Gestalt eines am Boden hingekauerten Mannes. Er rief ihm zu, herauszukommen, denn der Abend sei da und er könne Schaden nehmen in der Kühle und in der Dämmerung: als keine Antwort erfolgte, stieg er selbst den Abhang hinan, um sich zu überzeugen, wer es sei und ob etwa Hülfe Noth thue.

Nach einigen Schritten wollte er wieder zurück, denn er hatte den Liegenden erkannt und besorgte, seine Theilnahme nicht nur zurückgewiesen, sondern auch verhöhnt zu sehen, schon um des Kleides wegen, das er trug. Augenblicklich jedoch besann er sich eines Andern, denn er hatte ja noch eine Secunde vorher jedem Herzen den Frieden gewünscht und gegönnt, und daß hier der Friede fehlte. hätte auch ein geringerer Menschenkenner durchschaut, als der Pater es war.

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 468. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_468.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)