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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

No. 30.   1861.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



Der Holzgraf.

Eine oberbairische Geschichte.
Von Herman Schmid.
Fortsetzung.)


In den innern Räumen der Bühne herrschte ein buntes unübersehbares Gewirr von Farben, Trachten und Gestalten. Dort legten die Schutzgeister die schönen bunten Mäntel und die glänzenden Diademe wieder ab; hier schlüpfte eine zahlreiche Schaar aus den Sandalen mit Kitteln, in welchen sie das empörte Judenvolk dargestellt hatten. Auf der einen Seite legte das Kriegsheer Pharao’s, das soeben vom rothen Meer verschlungen worden, Helm und Panzer ab, während gegenüber Jonas der Prophet in der Nähe des ungeheuerlichen Haifisches stand und sich das Gewand losgürtete. In stiller Sammlung schritt der Bilderschitzer Jakob Zwink die Stufen hinab, noch ganz erfüllt von dem Gewichte der ihm gewordenen Aufgabe, der Darsteller des Erlösers zu sein.

In einer einsamen Ecke, an einem Fenster, welches die Aussicht über die Wiesen gegen die Berge hin bot, lehnte ein junger Mann im langen faltigen Apostelgewande. den hohen Wanderstab in der Hand, und sah in den beginnenden Abend hinaus, als habe er völlig vergessen, daß es Zeit sei, in die Wirklichkeit zurückzukehren.

Es war Domini, der junge Bildschnitzer, noch um Vieles bleicher, als er an jenem Abend der Begegnung mit dem Holzgrafen gewesen. Er beachtete es gar nicht, daß ein Mädchen an ihm vorüberschritt, ihn mit eigenthümlichem Blick betrachtete und dann Miene machte, ruhig ihrer Wege zu geben. Schon nach einigen Schritten aber besann sie sich anders, kehrte zu dem Sinnenden zurück und legte ihm leicht die Hand auf die Schulter.

„Will der Apostel Jakobus noch heut auf die Wanderung gehen, weil er noch aufgeschürzt ist und den Pilgerstab in der Hand hat?“

Dem Angeredeten schoß das Blut in's Gesicht. „Vesi!“ stammelte er, „ … Du bist es?“

„Nicht Vesi,“ erwiderte sie … „Basthi, die Verstoßene – ich habe sie nit blos gespielt, ich bin’s wirklich …“

„Ich hab’ davon gehört … auch ich bin wirklich Jakobus der Wanderer – denn ich gehe noch heute fort, um nicht wiederzukommen.“

„Und wohin gehst Du?“

„Nach Rußland. Du weißt, daß es von den Ammergauern heißt wie von den Nünbergern … Ammergauer Witz und Hand geht durch jedes Land! Ueberall trifft man unsre Landsleute – in Petersburg ist Andreas Steinbacher, ein weitschichtiger Vetter von mir – er ist ein reicher Kaufmann geworden! Auf den hab’ ich mich besonnen, zu dem will ich hin …“

„Und warum willst Du fort, Domini?“

„Wie kannst fragen? Du weißt, daß ich meiner Lebtag nichts sehnlicher gewünscht hab’, als ein Bildhauer zu werden – der Vetter in Petersburg wird mir wohl dazu verhelfen, daß ich das erreich’ nur einen richtigen Meister finde …“

Vesi sah ihn durchdringend und vorwurfsvoll an. „Hab’ ich das um Dich verdient, Domini.“ sagte sie, „daß Du mir nit die Wahrheit sagst? – Ist das der wahrhaftige Grund, der Dich, forttreibt – und ist es nit meinetwegen, daß Du gehst?“

„Und wenn es so wär ?“ fragte der Bursche stockend.

„Dann thu’s nit – und bleib’ da. Ich bin die Zeit her, seit ich fortgemußt hab’ vom Durnerhof, bei der Base im Dorf gewesen – es ist meiner seligen Mutter Schwester – ich hab’ mir derweilen um einen Platz für mich umgeschaut. Jetzt hab’ ich einen solchen gefunden – also kannst Du bleiben und warten, bis Dir Pater Ottmar den versprochenen Meister verschafft. Ich, mein’ alleweil, bei den Russen in Petersburg wird’s nit weit her sein damit …“

„Nein, Vesi,“ entgegnete der Bursch eifrig, „laß mich gehn – aber Du sollst um meinethalben nit fort aus Deiner Heimath und aus Deinem väterlichen Haus! Ich weiß, warum Du fort bist – Du hast dein Wort halten wollen, das Du mir gegeben hast – aber ich hätt’ keine ruhige Stund’, wenn ich an Deinem Unglück und Deinem häuslichen Unfrieden Schuld sein sollt’ … ich geb’ Dir Dein Wort zurück!“

Vesi sah ihm warm und herzlich in die gutmüthigen, thränenschimmernden Augen. „Du bist brav in allen Stücken,“ sagte sie, „– aber ich nehm’s nit an! Ich hab’ Dich gern, Domini – Dich allein, und es wär’ eine Sünd’, wenn ich mit einem Andern zum Altar gehn wollt – und ohne das ist kein Frieden zu machen mit dem Vater …“

„Ist es wahr, Vesi? Wirklich wahr?“ rief Domini entzückt. „Du bleibst mein? Du willst aushalten bei mir und warten, was mir der liebe Gott bestimmt?“

„Gewiß,“ entgegnete Vesi, ihm die Hand hinreichend, in die er kräftig einschlug.

„Und wenn es nicht ist?“ begann er wieder. „Wenn ich zu Grund gehn muß und mein Wort nit halten kann?“

„Dann wollen wir uns damit trösten, daß wir eine Lieb’ im Herzen getragen haben – so treu und engelrein wie die unsrige – und daß es eine andre Welt giebt, in der sie nicht verboten ist, und in der alles Herzweh, das wir jetzt ertragen müssen, nur eine Perl’ mehr ist in unserer Seligkeit!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_465.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)