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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

müsse noch viel älter sein und aus der Zeit herstammen, in welcher die Römer überall in deutschen Landen ihre Wartburgen und Castelle hingestellt hatten.

Auch beim nähern Hinzutreten erfüllte der Durnerhof, was sein Anblick von der Ferne versprochen hatte, denn überall waren die Spuren jener Ordnung und jener reichen Bequemlichkeit sichtbar, welche die Folge und Begleitung der Wohlhabenden sind. Alle Bäume waren an schöne Pfähle zierlich aufgebunden, alle Wege zum Gehöfte und um dasselbe herum waren sauber und reinlich, nirgends wurde Unrath oder am ungehörigen Orte ein Stück Werkzeug sichtbar. Das Haus selbst stimmte damit vollkommen überein; Alles darin spiegelte und glänzte, und die von den bäuerlichen Gewohnheiten der Umgebung äußerlich in nichts abweichende Einrichtung unterschied sich doch dadurch, daß Alles aus feinern Holzarten gefertigt und mit bessern Stoffen bekleidet war. Der meiste und überraschendste Aufwand hatte stattgefunden, um den alten Thurm wieder herzustellen und ein paar Gelasse desselben wohnlich zu machen. Die Gemächer darin waren natürlich nur eng, aber sie boten in ihrer ungesuchten und darum mit dem alterthümlichen Wesen des Gebäudes übereinstimmenden Einrichtung und Ausschmückung einen Aufenthalt, wie ihn die Einbildungskraft eines Künstlers oder Dichters nur ersinnen konnte, als stillen Zufluchtsort für die stillen Stunden ihrer Schöpferzeit. Es sprach aus Allem ein entschiedener Sinn, ein bestimmter Wille des Ungewöhnlichen und Bessern, nicht ohne unverkennbare Zeichen des Bestrebens, mit Beidem zu prunken. Der letztere Umstand und die ungewöhnliche Stille und Einsamkeit des Ganzen mochte Ursache sein, daß sich bei längerem Verweilen zuletzt das Gefühl eines erkünstelten Zustandes und damit das Unbehagen einstellte, welches unvermeidlich ist, wo eine wenn auch an sich tüchtige Kraft bestrebt ist, über das hinauszugehn, was sie sein soll und sein kann. Ueber aller Fülle des Besitzes und allem Schmuck lagerte daher etwas, was die wahre innere Freudigkeit nicht aufkommen ließ: man konnte die Bewohner beneiden, aber man fühlte zugleich, daß in dem steten hastigen Schaffen und Bessern das Pflänzchen nicht zu wurzeln vermocht hatte, das vor Allem eine stille, möglichst unveränderte Scholle bedarf – die Zufriedenheit.

Wer daran noch gezweifelt hätte, mußte sich überzeugen, wenn er an diesem Morgen in die große Wohnstube des Erdgeschosses getreten wäre und die abgehärmte Miene beobachtet hätte, mit welcher die Bäuerin an dem glänzend gescheuerten großen Ecktisch saß. Der Aufenthalt in der frischen, würzigen Gebirgsluft hatte ihr unverkennbar gut gethan, aber dennoch zeigte ihr Aussehn, daß es den Keim des Uebels in ihr nicht zu zerstören, sondern höchstens seine zerstörende Entwicklung um einige Pulsschläge aufzuhalten vermocht hätte. Ihr Gesicht und die magern Hände waren mit jener leuchtenden Blässe bedeckt, womit die Auszehrung ihre Opfer zu schmücken pflegt. Das Lämpchen brannte noch, selbst heller als zuvor, aber es zehrte an den letzten Tropfen der Lebenskraft, und ein rascher Luftzug schien genügend, es plötzlich zu erlöschen.

Die Bäuerin war vollständig in tiefes Schwarz gekleidet; sie hätte nur die Augen zu schließen gebraucht, um für eine Todte zu gelten. Vor ihr lag ein großes Buch, – es mochte wohl Pater Kochem’s goldner Himmelsschlüssel sein; die Frau sah vor sich hin, und es war zweifelhaft, ob sie las oder den Worten des neben ihr sitzenden Mannes zuhörte.

Es war dies eine große Gestalt, deren Haltung mit dem mächtigen, wohlgepflegten Schnurr- und Knebelbart den alten Soldaten verrieth, auch wenn das rothe Band im Knopfloch ihn nicht als solchen bezeichnet hätte.

Der Mann erhob sich jetzt. „Und so müßt Ihr Euch in Gottes Namen mit dem Gedanken trösten, Frau Loderin,“ sagte er, „daß Euer Martin dem Rufe unseres Königs getreu auf dem Felde der Ehre als ein braver Soldat und tüchtiger Chevauxleger gefallen ist. Ich hab’ gewußt, daß Ihr nicht hinunter könnt in die Kirche, wo heute die Seelenmessen für ihn gelesen werden, und da dab’ ich’s für meine Schuldigkeit gehalten, zu Euch herauf zu gehen und Euch ein tröstliches Wort zu sagen, als sein alter Wachtmeister und Kriegscamerad …“

„Das ist ein trauriger Trost für ein Mutterherz,“ erwiderte die Frau tief aufseufzend.

„Ich kann mir das wohl vorstellen,“ sagte der Wachtmeister, „und doch ist’s ein Trost, Frau Loderin, wenn man Eins von den Seinigen hat verlieren müssen und ihm nachsagen kann, daß es brav gewesen ist bis an sein Ende. Und brav ist der Martin gewesen, das muß ihm sein Feind nachsagen – ich hab’ ihn wohl gesehen, wie wir Anno Fünfe im Mährischen bei Iglau unter Wrede gegen die österreichischen Batterien ansprengten und das Kartätschenfeuer gar manchen Sattel fegte, als wenn nie ein Reiter darauf gesessen wäre … da ist der Martin nicht gewichen und gewankt von meiner Seite und hätte das rothe Bändl, das ich dafür bekommen habe von Napoleon, so gut verdient wie ich! Ich habe mir dort den Rest geholt und muß nun als Invalid abwarten, bis zum letzten Abmarsch geblasen wird – der Martin hat noch mitgemacht, bis ihn Anno Neune eine Tyrolerkugel getroffen hat, bei Schwaz! Man hat’s nicht sicher gewußt seither, was mit ihm geschehen ist – er war eben verschwunden, und es hat nicht an bösen Zungen gefehlt, die gesagt haben, er habe die Verwirrung benützt und sei desertirt. … Ich aber hab’ ihn bei der Attaque von Iglau gesehen und hab’ es immer gesagt: das kann nicht sein, und ich hab’ Recht behalten! Jetzt nach zwei Jahren ist’s heraus, daß ihn die Tyroler verschleppt und vergraben hatten, und darum ist’s doch ein Trost, Loderin, daß er nicht schimpflich vor dem Feind desertirt, sondern als ein ehrlicher Soldat geblieben ist …“

Ueber die hohlen Wangen der Bäuerin kugelten ein paar große Thränen. „Ja, das hab’ ich auch gewußt,“ sagte sie, „daß mein Martin brav bleiben wird sein Lebtag – aber um so härter ist’s, daß ich ihn verloren hab’, und es hätte nicht sein müssen! Er hätt’ nit hinaus gemußt in den leidigen Krieg – aber der Unfrieden im Haus hat ihn auch hinaus getrieben! Er ist das erste Opfer gewesen, und so wird’s fortgehen, bis wir Alle zu Grunde gegangen sind!“

Der Wachtmeister sah die Bäuerin mit bedenklichen Blicken an. „Weil Ihr es selber sagt, Durnerbäurin,“ bemerkte er, „muß es wohl so sein! Es ist also wirklich wahr, was man erzählt, daß Vater und Sohn sich nicht haben vertragen können und daß der Sohn die Hand aufgehoben hat gegen den Vater …“

Die Bäuerin machte eine rasche abwehrende Bewegung.

„Gut, gut, ich versteh,“ rief der Wachtmeister, „es läßt sich denken, daß man von so etwas nicht gerne spricht. Ich wollt’ Euch wünschen, daß Ihr es zu Stande brächtet, den Stolz und Uebermuth Eures Mannes zu brechen … es kann kein gutes Ende nehmen, wenn es so fort geht! Wißt Ihr denn gar nicht, was ihn so verstockt und so bitterbös gemacht hat? … die Leut’ sagen, er soll einmal ganz anders gewesen sein in seiner Jugend.“

Die Bäuerin antwortete mit sichtbarem Widerstreben. „Ich weiß es nur allzugut – aber ich hab es meinem Mann versprechen müssen, daß es niemals über meine Lippen kommen soll! … Es ist ja doch möglich, daß er sich ändert, … er ist ja doch heute nach Ammergau hinein zu dem Seelgottesdienst von unserm Martin!“

„Hoffen wir also!“ sagte der Wachtmeister. „Solltet Ihr aber einmal auf einen Freund anstehen, so vergeßt den Chevauxlegers-Wachtmeister Georg Luipold nicht! Und damit Gott befohlen, und noch einmal – tröstet Euch! Wer weiß, ob Euch nicht noch Schlimmeres bevorgestanden, wenn der Martin länger gelebt hätte. Es kommt mir vor, als hätte der Frieden schon wieder die längste Zeit gedauert und als würde das Jahr 1812 in gar manches Haus viel größeres Leidwesen bringen, als Ihr erlebt habt! Ich habe jetzt freie Zeit genug, um zu sinniren und zu beobachten und die Grabschrift auszustudiren, die man mir einmal auf meinen Leichenstein setzen soll … Da kommt es mir in meinen Betrachtungen oft vor, als sollt’ es von der Franzosenherrschaft auch bald heißen, daß der Krug so lange zum Brunnen geht, bis er bricht, und als wäre die Zeit nicht mehr fern, wo die Deutschen, statt auf einander loszuschlagen, miteinander auf die Franzosen losdreschen … aber das wird Blut kosten, viel Blut, und da werden noch viele tausend Mütter zu weinen bekommen, wie Ihr weint!“

(Fortsetzung folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_447.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)