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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Den Hof kannst ihr doch nit geben, den mußt Du dem Martin aufheben, der ja wohl mit der Gottes Gnad’ wieder heim kommen wird aus’m Feld – warum willst der Vesi nit erlauben, daß sie den bekommt, den sie einmal ins Herz geschlossen hat?“

„Weil ich mich auf solche Schwachheiten nit einlaß und weil ich den Verstand haben muß für alle Drei,“ entgegnete der Bauer grob… „aber ganz Unrecht hast Du doch nicht. Noch ist ja dem Faß der Boden nicht aus … ich kann’s noch einmal im Guten probiren. Komm her zu mir, Vesi…“

Das Mädchen trat vor den Stuhl, auf dem er saß. Er sah ihr fest ins Gesicht und sagte um vieles milder: „Thu mir das nicht an, Vesi. Du weißt es am besten, ich hab’ Dich alleweil lieb gehabt, weil Du ein festes entschlossenes Gemüth hast, wie ich selber – wend’s nit gegen mich, gegen Dein’ Vater! Laß den Burschen laufen: es ist nichts an ihm, glaub’ mir’s, und wenn’s Dich jetzt hart ankommt, thu’s mir zu lieb… Du wirst es bald überbeizt haben… Ich nehm’ Dich mit in die Stadt nach München, Du darfst Dir kaufen, was nur Deinen Augen gefallt – aber nit wahr, Du gibst den Burschen auf? Du willst ihn nit mehr sehn, nit mehr mit ihm reden, willst ihn vergessen – nit wahr, Du versprichst mir das, Vesi?“

Einen Augenblick trat Stille ein; Beider Augen ruhten in einander; Jedes hielt den gespannten Blick des Andern aus.

„Nein, Vater,“ sagte Vesi dann halblaut und mit bebender Stimme. „Das mußt Du nit von mir verlangen, das kann ich Dir nit versprechen…“

„Vesi …“ sagte der Bauer, und auch seine Stimme bebte in Zorn und Erregung… „Vesi, sag’ nicht so, wenn Dein Vater Dich bitt’…“

„Ich kann nit,“ erwiderte sie, indem sie vor dem finster blickenden Manne wie unwillkührlich auf die Kniee sank … „Wenn Du mich gern hast, so verlang’ Alles von Deiner Vesi, Vater – nur das Einzige nit, daß ich den Domini lassen und vergessen soll! Es wär’ eine Lüg’, wenn ich’s thät, denn ich weiß doch voraus, daß ich’s nit halten könnt’ – und eine Sünd’ wär’s auch, denn ich hab’ es dem Domini schon zuvor versprochen, daß ich ihn gern haben und keinen Andern nehmen will, als ihn…“

„Also Du willst nit?“ rief der Bauer, indem er aufzustehn versuchte. Als das Mädchen schwieg und regungslos in der knieenden Stellung blieb, sprang er ungestüm vollends auf und stieß sie mit dem Fuße vor die Brust, daß sie rücklings zu Boden fiel und das gelöste Haar weit auseinander rollte. Sie gab keinen Laut von sich, auch als der Wüthende über sie herfiel, sie bei den Haaren faßte und in blindem Zorn am Boden hinzuschleppen begann.

Die Mutter schrie laut und kreischend auf, sie wollte hinzu, wollte dem mißhandelten Mädchen zu Hülfe kommen aber sie vermochte es nicht, die zitternden Kniee versagten ihr den Dienst… „Laß sie los, Korby,“ schrie sie außer sich … „Thu’ ihr nichts zu Leid … es ist mein Kind! … Heilige Mutter von Ettal – denk, was Du mir versprochen hast, Korby – denk’ an den Andreastag!“

Als ob dies Wort ein Blitz gewesen, der seinen Arm gelähmt hätte, ließ der Bauer das Mädchen los, das sich schweigend vom Boden erhob, schweigend das zerrüttete Haar in Ordnung brachte und sich dann in einen Winkel setzte, die thränenlosen Augen in den aufgelegten Armen verbergend. Auch der Bauer sprach nichts; er ging mit mächtigen Schritten in der Stube auf und ab, und focht mit den Händen vor sich hin. Die Kranke lehnte an ihren Kissen, und ihre eingefallnen Wangen brannten fieberisch roth.

Nach einer Weile blieb der Bauer vor ihr stehn. „Wie ist Dir, Margareth?“ fragte er mit erzwungener Gelassenheit.

„Ach, nit gut, Korby,“ antwortete sie, „Du brauchst nimmer lang Geduld zu haben mit mir…“

„Davon ist nicht die Red’,“ murrte er. „Bist Du stark genug, daß Du reisen kannst?“

„Wenn’s Dir ein Gefallen ist, will ich mich zusammennehmen, daß ich’s kann…“

„So richte Dich zusammen. Sag’ es auch – Deiner Tochter, daß sie sich fertig macht. Nehmt nur das Nöthigste mit, alles Andre kann nachkommen. Wir fahren in einer halben Stunde weg…“

„…Ohne daß Du mir sagst, wohin?“

„Wohin! Nach Haus! Auf den Durnerhof! Ich will der Hacken einen Stiel machen, und für Dich ists in der warmen Jahreszeit auf dem Hof auch gesünder, als in dem kalten Nest…“

„Nach Haus also? Gern, Korby – ich hab mir’s schon lang gewünscht… ich mein’ ich könnt’ viel ruhiger sterben dort … aber warum heute Nacht noch? Hat’s nicht bis morgen Zeit?“

„Nein,“ rief der Bauer mit wieder durchblitzender Heftigkeit, „heut Nacht noch muß es sein! Ich will nit, daß es bis morgen im ganzen Dorf herum ist, und daß wir hinausfahren, als wenn wir Spießruthen liefen…“

„Dann soll es sein, wie Du’s haben willst, Korby.“

Nach einer Stunde rollte das Fuhrwerk des Holzgrafen wieder in der Nacht durch die Ammergauer Dorfgasse dahin. Vesi saß auf einem eigens bereiteten Sitz neben der in Tücher und Betten eingehüllten Mutter, der Vater auf dem Vordersitz und kutschirte.

Niemand begegnete ihnen, bis sie um die Ecke bogen, wo ihnen die hellbeleuchteten Erkerfenster des Sternwirths entgegen schimmerten. Auf der Straße standen Leute, dicht gedrängt; eine wichtige Nachricht hatte sie noch so spät aus Häusern und Betten gerufen. Der Holzgraf war wider Willen genöthigt, langsamer zu fahren, und konnte sich dem Gespräche der Umstehenden nicht verschließen.

„Also ist es wirklich wahr, Nachbar Zwink?“ fragte ein neu Herzueilender. „Sie sind da und haben gute Nachrichten?“

„Ja,“ rief der Angeredete, „es ist Alles wahr! Sie sind da, Sie haben mit dem König selber geredet – er hat’s erlaubt, der Passion darf gespielt werden! Hört Ihr? Da droben sind sie alle beisammen – da kann man nicht mehr zweifeln…“

Aus den Fenstern des Sternwirthshauses erscholl jetzt Gläsergeklirr, und ein dreimaliges Hoch für Maximilian Joseph, den König „mit dem besten Herzen!“

Mit einem halblauten Fluche hieb der Holzgraf auf seine Pferde ein und sauste davon.



2.

Wenige Wochen später lag ein heller, warmer Vormittag auf dem engen und in seinem Wiesenreichthum höchst anmuthig grünen Graswanger-Thal. Der Himmel ruhte über den waldigen und felskahlen Bergrücken wie ein blaues Glasgewölbe und schloß mit denselben das Thal zu einer Insel auf festem Lande ab, als wenn darin das Glück so recht daheim sein und nirgends einen Weg finden sollte zu entfliehn. Wer damals auf dem schmalen Sträßchen an den Berghängen hinwanderte und den stattlichen Bauernhof von der Anhöhe herunter winken sah, der hätte sich gewiß ein solches Besitzthum gewünscht und hätte gemeint, es könne nicht fehlen, da droben müßten frohe und zufriedene Menschen hausen!

Der Durnerhof lag auch so wunderschön und freundlich, daß man glauben konnte, bei der Erbauung müsse nicht sowohl ein Bauer den Grundriß gemacht haben, sondern ein Landschaftsmaler oder sonst Einer, der den Naturschönheiten nachkriecht oder nachsteigt in den Bergen. Das ansehnliche Gebäude mit weißgetünchtem gemauertem Erdgeschoß, mit dem wetterbraunen Holzgebälke der obern Räume und dem breiten steinbeschwerten Dache lag an sanft ansteigender Anhöhe auf einer kleinen grasigen Hochebene, nach Morgen und Mittag der Sonne geöffnet, gegen den rauhen Norden und den kalten Westen aber durch einen hohen waldigen Berg gedeckt, der das liebliche Asyl in seinen Schutz genommen zu haben schien, wie ein Vater das zu ihm geflüchtete Kind auf seinem Schooß und zwischen seinen Knieen verbirgt. Der grüne, mit Bäumen bewachsene Abhang senkte sich nach drei Seiten allmählich und angenehm gegen den Thalgrund herab, an der vierten, der Straße zugewendeten Seite stürzte er plötzlich in eine senkrechte thurmhohe Felswand ab, an deren Fuß Gebüsch und Trümmer erkennen ließen, daß hier einmal ein Steinbruch betrieben worden war. Dadurch ward der Anblick des Hofes noch eigenthümlicher; was aber den angenehmen Eindruck desselben vollendete, war ein mächtiger alter Thurm, mit einer Mauerkrone auf seiner Rundung, der über der Felswand und so unter Bäumen verdeckt stand, daß er zum Gehöfte selbst zu gehören schien. Dadurch gewann dasselbe das Ansehn einer Burg, wie denn auch Mancher wissen wollte, daß da einmal ein Ritterschloß gestanden und der Durnerhof dann in die Trümmer hineingebaut worden sei. Wieder Andre meinten aber, der runde Thurm mit seinen ungeheuren Quadern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_446.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)