Seite:Die Gartenlaube (1861) 445.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Als Louis diesem Befehle nachgekommen war, stellte er neben den Eiskübel ein Kistchen auf den Tisch.

„Was soll das?“ fragte Devrient.

„Der Postbote hat das Kistchen bei uns abgegeben,“ antwortete der Kellner. „Sehen Sie, hier ist die Adresse: Herrn Devrient, königlichem Hofschauspieler in Berlin. Abzugeben in der Weinhandlung von Lutter und Wegner, Charlottenstraße.“

„Gieb Acht, Devrient,“ sprach Schulze, „das wird eine Ueberraschung geben!“

„Wenn’s nur kein Geheimniß ist!“ fügte der Doctor lachend hinzu. „Werden wir auch bei der Eröffnung zugegen sein dürfen?“

„Von Herzen gern,“ antwortete Devrient; „ick habe vor Euch keine Geheimnisse. Louis, bring’ Hammer und Zange her!“

Während Devrient das Kistchen öffnete, schauten Alle neugierig zu; keiner aber war neugieriger als der Empfänger selbst.

Jetzt nahm er den Deckel ab – und vor seinen Augen lag, sorgfältig in Watte verpackt, die uns bekannte Uhr und Kette.

„Das ist brav!“ sprach Devrient. „Ich hab’s auch nicht anders erwartet.“

„Was hast Du nicht anders erwartet? Erzähle, erzähle!“ rief der Chorus der Zecher, und Devrient mußte wohl oder übel den Hergang erzählen.

Bei dieser Erzählung traten Schulze, der wie Devrient eine weiche Natur war, die Thränen in die Augen. Als Devrient geendet hatte, drückte jener ihm herzlich die Hand, während der Kammergerichtsrath in dem Kistchen umherstöberte.

„Halt,“ rief der Letztere plötzlich, „da liegt ein Brief auf dem Boden des Kistchens; hier ist er!“ Er hielt ihn hoch in die Höhe.

„Vorlesen, vorlesen!“ hallte es wieder im Chorus.

Devrient kam dem Verlangen nach und las:

„Verehrter Herr!

Als Sie vor zwei Monaten auf so liebenswürdige, ja wahrhaft rührende Weise das Einzige hergaben, was Sie besaßen, um mich und meine Familie vom Untergange zu erretten, haben Sie sich ein Denkmal in unseren Herzen errichtet, welches dauernder sein wird als Erz und Marmor. Wir gedenken Ihrer täglich, und meine Frau schickt mit den Kindern allabendlich für den unbekannten Geber und Wohlthäter Bitten und Gebet zu Gottes Thron empor. O, warum untersagten Sie es mir, je Ihren Namen den Meinigen zu nennen! Kaum habe ich es vermocht, den stürmischen Bitten und Fragen derselben zu widerstehen; nur der Gedanke, undankbar zu erscheinen, hat mir die nöthige Kraft gegeben zu schweigen.

Mein Herz ist voll des Dankes, und wenn ich dennoch meinen Gefühlen nur einen schwachen Ausdruck zu geben vermag, so werden Sie, theurer Mann, der in die tiesften Tiefen der menschlichen Brust geblickt hat, den Mangel der Worte mit der Tiefe der Empfindung entschuldigen; die höchsten Affecte der Seele machen ja den Menschen verstummen. Es wird und muß für Sie ein erhebendes Bewußtsein sein, uns von Sorgen befreit und in glücklicher Lage zu wissen; ist doch das Alles Ihr Werk. Gottes Segen für Zeit und Ewigkeit auf Sie herabflehend bin ich      Ihr stets ergebener

R…“     

Nachdem Devrient geendet hatte, fuhr er mit der Hand über die Augen und sprach: „Freunde, Ihr seid Alle weich geworden und schmelzt dahin wie Butter an der Sonne. Nehmt die Gläser zur Hand und trinkt herzhaft eins! Kommt Euch aber einmal Jemand in den Weg, der unglücklich ist und Eurer Hülfe bedarf, so thut mir’s nach; und könnt Ihr dabei feurige Kohlen auf das Haupt eines Unwürdigen sammeln, um so besser!“

Das Gespräch wurde heiter, Devrient würzte es mit manchem Scherzworte, und schnell war eine Stunde vergangen.

„Jetzt möchte es an der Zeit sein, uns in’s Freie zu begeben,“ sagte der Rath. „Die „Obrigkeit“ ist von ihrer ersten Wanderung zurück und gewiß gern bereit, auf die „Devrient’s-Wache“ zu ziehen.“

Gesagt, gethan. Tisch und Stühle, Flaschen und Gläser wurden auf den Gensd’armenmarkt gebracht, woselbst die nächtlichen Zecher im Halbcostüm ihre gemüthliche Kneiperei fortsetzten. Geschirmt wurden sie von der „Obrigkeit“, d. h. von den in der Nähe angestellten Nachtwächtern, von welchen jeder mit einem Quart Wein beschenkt wurde. War’s nun der Haut-Sauternes, welcher das obrigkeitliche Gewissen und den Verstand der Nachtwächter schärfte, oder war’s angeborenes Talent, genug, die Devrient’s-Wache wußte nicht nur jede Störung der vier Zecher zu verhüten, sondern auch ihrer anderweitigen Verpflichtung nachzukommen.

Voll Witz und Laune wußte Devrient die warme Sommernacht hindurch seine Zechgenossen in heiterer Stimmung zu erhalten; er erzählte von seiner Lehrzeit, wie er in Potsdam Seide gehaspelt, Knöpfe besponnen, Fransen und Troddeln kunstgerecht gearbeitet habe, und begleitete seine Erzählung mit so treffender Pantomime, daß sich seine Zuhörer vor Lachen ausschütten wollten. Am glücklichsten war er immer, wenn er, wie heute, den „Herrn Meester un de Frau Meesterin“ auftreten ließ; er zeichnete Beide, den brummigen Posamentier und seine keifende Ehehälfte, mit einer Treue und Wahrheit, und sein unerschöpflicher Humor wußte ihrem Familienleben so viel komische Seiten abzugewinnen, daß keine seiner Glanzrollen auf dem Theater diese Leistung einer improvisirten nächtlichen Posse übertroffen hat.

Sich selbst persiflirte er dabei als „dämligen Lehrjungen“, mit welchem Lieblingstitel ihn die „Meesterin“ einst zu beehren pflegte, auf höchst drastische Weise, und ein homerisches Gelächter begleitete den Schluß seiner Mittheilungen, als er die Worte citirte, welche seine Meisterin bei ihrem letzten Zornesausbruche, ehe er aus der Lehre gelaufen, wie eine wahrsagende Sibylle an ihn gerichtet hatte, „er werde nicht nur ein großer Theaterheld, sondern ein noch größerer Pantoffelheld werden.“

Indessen war die Nacht vergangen, der Tag graute, und das letzte Glas ging auf die Neige. War der Geist der Zecher auch noch willig, war das Fleisch doch schwach geworden. Mit lallender Zunge rief man nach der „Obrigkeit“, welche ihrer Instruction gemäß die Nachtschwärmer nach Haus brachte.

Devrient aber schlief diesmal ein, ohne von Seiten seiner Frau eine donnernde Philippica zu hören. Dies seltene Glück verdankte er der verloren geglaubten Uhr, deren Schläge – Devrient ließ, ein guter Feldherr, dieselbe repetiren – den bösen Dämon bannten.




Der Holzgraf.

Eine oberbairische Geschichte.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

Vesi war von den strengen Worten des Vaters ergriffen, aber sie zeigte es durch nichts Anderes, als daß sie die Unterlippe zwischen die Zähne klemmte. Die Bäuerin hatte das Angesicht in eines der Kissen verborgen und schluchzte bitterlich. „O versündige Dich nit noch mehr in Deinem Hochmuth, Korby,“ rief sie, die schwache Stimme anstrengend. „Wir sind den Leuten ohnehin schon genug verhaßt! Wenn ich’s doch vor meinem End’ erbitten könnt’ von Gott, daß er Dein hartes Herz erweicht, aber Du hast Dich ganz von ihm abgewend’t … Du hast das Beten verlernt, und seit Du den unglücklichen Holzhandel angefangen hast, ist der Hochmuth völlig Herr geworden über Deine arme Seel…“

„Sei still davon, Betschwestcr,“ schrie sie der Bauer an. „Was hab’ ich von der Frömmigkeit, wenn sie die Mutter dazu bringt, daß sie der Tochter bei ihren Liebschaften hilft! Wenn die leichtsinnige Dirn sich dem Bettelbuben an den Hals wirft, glaubst Du, daß ich’s wegbeten kann?“

„O Korby, schänd’ Dich nit selbst, wenn Du mich und Dein eignes Fleisch und Blut so verleumdest! Ich bin nit entgegen gewesen, weil der Domini wirklich der bravste Bursch ist im ganzen Dorf, weil sie sich alle zwei in Ehren lieb haben von Herzensgrund, und weil ich glaub’, daß sie gut auskommen und einmal glücklich sind mit einander. Wie hoch willst mit dem Mädel hinaus?

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_445.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2020)