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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Hand gestützt, einige Bilder aus seiner Vergangenheit vor seinem Geiste vorüberziehen. Er sah sich in fröhlicher Gesellschaft in Dessau. Man bestieg einen Wagen und rollte zum Thore hinaus nach dem Wörlitzer Garten. Ihm gegenüber saß Anna H., damals ein blühendes, lebhaftes Mädchen, für welches Devrient mit aller Gluth der Leidenschaft, aber als ein echter deutscher Jüngling im Stillen schwärmte. Wenn Anna in ihrer Lebhaftigkeit sich umkehrte und Devrient’s Knie berührte, zuckte es ihm durch alle Glieder und über seine Wange jagte eine flüchtige Röthe. Der Wagen hielt endlich. Man stieg aus und begab sich nach den zierlichen Gartenanlagen, für welche ein Satiriker die bekannte Inschrift erfunden hat:

Von hoher Obrigkeit wird gebeten,
Man möge hier nicht die Berge zertreten.
Hunde dürfen hier auch nicht laufen,
Damit sie nicht die Bassins aussaufen;
Höchst strafbar aber würd’ es sein,
Steckte Jemand einen Felsen ein!

Devrient faßte sich an dem schönen Frühlingstage ein Herz und bot der Dame seines Herzens den Arm. Ohne es zu wollen, wandelte das Paar einsame Gänge, und in einem blühenden Fliedergebüsche wechselten sie unter dem Flöten der Nachtigall heilige Gelübde und Liebesschwüre. Doch die Seligkeit sollte nicht von Dauer sein. Devrient verließ Dessau, um sich in Breslau eine Stätte seines Ruhmes zu gründen. Der Abschied hatte ihn schmerzlich bewegt; wie schlug sein Herz, wenn er in weiter Ferne mit banger Ahnung an die theure Braut dachte! ihr gehörte sein ganzes Denken und Thun, ihr weihte er seines Ruhmes Kränze, dessen Bedeutung bald in ganz Deutschland erkannt wurde. Ach! bald fiel ein giftiger Thau auf die zarte Blüthe seines Herzens. Seine Braut verrieth ihn. Ein kalter Absagebrief erstickte mit seinem Winterfroste die frischen Lebensquellen des aufstrebenden Mannes.

Heut zum ersten Male sah Devrient den Glücklichen vor sich, der ihm seine erste und einzige Liebe geraubt und seinem Herzen unsägliches Weh bereitet hatte. Ein Gefühl des Stolzes und der Befriedigung kam über ihn, und eine Stimme in seinem Herzen flüsterte: „Du bist gerächt!“ Aber nur einen Moment überkam ihn dies Gefühl; er bemeisterte mit gewaltiger Anstrengung seine Schwäche, und mit wohlwollender Theilnahme erwog er bei sich die Mittel zur Rettung derjenigen, die ihn einst verraten hatte.

Der Hunger des Fremden war gestillt. Mit unverstellter Rührung sagte R. dem freundlichen Geber herzlichen Dank und fügte hinzu: „So will ich mich denn meinem harten Geschicke mit Würde und Gleichmuth der Seele unterwerfen! Meiner Frau aber werde ich sagen, was für einen edlen Mann ich in Ihnen gefunden habe.“

„Weiß sie um diesen Weg zu mir?“ fragte Devrient.

„Kein Wort!“ erwiderte R., „denn bisher habe ich nicht den Muth gehabt, ihr unsere trostlose Lage zu entdecken.“

„So hören Sie! Wenn Sie mir versprechen, jedem, selbst Ihrer Frau, meinen Namen zu verschweigen, bin ich bereit, Ihnen aus der Noth zu helfen.“

„Wie? wär’s möglich? So hätten Sie doch noch einen Ausweg und Hülfe gefunden?“

„Still!“ sagte Devrient, „Sie reden zu laut und machen jene Herren, welche eben eingetreten sind, auf uns aufmerksam. Hier, nehmen Sie diese Uhr und machen Sie dieselbe zu Geld! Sie ist mir zwar ein theures Angedenken, aber ich glaube sie im Sinne des Gebers zu verwenden, wenn ich sie Ihnen übergebe.“

Bei diesen Worten zog Devrient seine goldene Uhr aus der Tasche, häkelte die schwere goldene Kette los und übergab beides, Uhr und Kette, seinem unglücklichen Collegen.

Dieser war außer sich; halb betäubt saß er da, jeder seiner Gesichtsmuskeln zuckte, in seinen Augen standen helle Thränen; endlich sagte er mit fast erstickter Stimme: „O, Sie bester unter den Menschen! Ich kann und darf Ihr edelmüthiges Geschenk nicht ausschlagen; aber Sie haben es keinem Undankbaren gegeben und sollen von mir hören! Einstweilen leben Sie wohl und getrösten Sie sich des erhebenden Gedankens, eine Familie vom Untergange errettet zu haben.“

Damit stand er auf, drückte fest und treu Devrient’s Hand, indem eine Thräne aus seinem Auge auf dieselbe rollte, und eilte fort. Devrient aber saß da und beschaute still und sinnend die Thräne auf seiner Hand; sein Herz war ihm zum Zerspringen voll, und unwillkürlich brach er in die Schmerzensworte König Lear’s aus:

Auf solche Opfer, o Cordelia, streun
Die Götter selbst den Weihrauch. Hab’ ich dich?
Wer uns will trennen, muß mit Himmelsbränden
Uns scheuchen, wie die Füchse. Weine nicht! –

Das war einer der glücklichsten Tage aus Devrient’s Leben.




III.

Woche auf Woche war seit jenem Tage verflossen; der fremde Schauspieler hatte nichts von sich hören lassen. Devrient hätte in der täglichen Aufregung den erwähnten Vorfall längst vergessen gehabt, wenn seine Frau nicht tagtäglich dafür gesorgt hätte, ihn daran zu erinnern. Längst schon hatte sie Verdacht geschöpft, daß ihres Mannes Aussage, er habe die Uhr dem Uhrmacher zur Reparatur übergeben, eine Erfindung sei, um sie zu täuschen; endlich hielt sie es nicht länger aus und eilte zum Uhrmacher.

„Herr Steinmann,“ sprach sie, als sie in den Laden trat, „ist meines Mannes Uhr, welche er Ihnen zur Reparatur übergeben hat, noch nicht ausgebessert?“

„Das muß wohl ein Irrthum sein, Madam Devrient,“ lautete die Antwort; „mir hat Ihr lieber Mann keine Uhr zur Reparatur übergeben.“

„O ich unglückliche Frau,“ jammerte jene. „Alles, was Geld heißt und Geldeswerth hat, jagt der Säufer durch seine Kehle; aber an seinen Hausstand und an seine Hausfrau denkt er nicht.“

Der Uhrmacher zuckte die Achseln; er kannte Devrient’s Haustyrannin zu gut, als daß er Lust verspürt hätte, das Gespräch mit ihr fortzusetzen.

Mit den Worten: „Na warte, den Streich werde ich Dir gedenken!“ stürzte sie aus dem Laden und begab sich in die Lutter’sche Weinstube, in der sie niemand als den Oberkellner vorfand. Sie interpellirte denselben lebhaft und war nicht wenig erfreut, als er ihr nach einigem Besinnen den wahrscheinlichen Verbleib der Uhr angeben konnte. Vergeblich aber forschte sie nach dem Namen des „Bettlers und Beutelschneiders“, wie sie ihn nannte, und schließlich blieb ihr nichts übrig, als unverrichteter Dinge nach Haus zu gehen.

Devrient stand, um einen vulgären Ausdruck zu gebrauchen, stark unter dem Pantoffel. Er ließ auch jetzt das Ungewitter geduldig über sich ergehen, ohne sich zu verantworten oder zu entschuldigen. Indessen grade dies hartnäckige Schweigen gereichte seiner zungenfertigen Frau zum größten Aergerniß und fachte besonders heute ihre Wuth stets neu an. Aber wie jeder Sturm aufbraust, so nahm auch diese Philippica ihr Ende. Als das Wetter ausgetobt hatte, nahm Devrient Hut und Stock und sagte beim Fortgeben zu seiner Frau:

„Es ist mir nur lieb, daß ich durch Dich erfahren habe, wo meine Uhr geblieben ist; ich hatte die Geschichte längst vergessen.“

Diese mit einem unnachahmlichen Phlegma gesprochenen Worte reizten die Frau zu einem neuen Zornesausbruche, dem Devrient aber dadurch entging, daß er die Thür hinter sich in’s Schloß warf; er steuerte seiner geliebten Weinstube zu. Es war im Juni, der Tag unerträglich heiß; jeder hatte das Freie gesucht, nur drei treue Genossen saßen da und erwarteten Devrient’s Ankunft. Es war der Kammergerichtsrath und der Doctor, welche uns schon aus dem ersten Capitel bekannt sind, und ein alter Jugendfreund Devrient’s, Namens Schulze.

Nachdem Devrient Platz genommen und wie die Anderen Rock und Halsbinde abgelegt hatte, sprach er: „Wie wär’s, Freunde, wenn wir bei der heutigen afrikanischen Hitze unseren Sect draußen unter freiem Himmel tränken?“

„Angenommen! einverstanden!“ lautete die Antwort.

„He, Louis!“ sagte Devrient, „in einem Stündchen, wenn’s draußen dunkel geworden sein wird, bringst Du unsern Tisch, vier Stühle und eine Flasche Sect drüben nach dem Gensd’armenmarkt.“

„Weiß schon!“ erwiderte der Kellner. „Soll ich auch die „Obrigkeit“ bestellen, Herr Devrient?“

„Wird nicht schaden,“ sprach Devrient lachend; „bestelle sie nur in Gottes Namen. Doch jetzt bring’ uns eine frische Flasche Sect!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_444.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)