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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Seite. „Ruhig, mein Junge, wenigstens jetzt, oder wir können nach den Statuten schnellstens in’s Freie expedirt werden!“ raunte er in Reichardt’s Ohr. „Hier ein Glas zur Abkühlung, und damit ist die Sache bis zu einer andern beliebigen Zeit abgemacht – ich mag im Grunde den aufgeblasenen Bengel selbst nicht, und Sie werden noch Gelegenheit genug finden, ihm den rechten Standpunkt zu zeigen.“

Er hatte seinen Gesellschafter nach dem Büffel geführt, drängte ihm hier eine Erfrischung auf, mischte sich selbst aus verschiedenen Flaschen ein Getränk und wandte sich dann nach seinem verlassenen Platze zurück, welchem gegenüber jetzt Johnson einen Stuhl gefunden hatte. Als Reichardt nach einer kurzen Zeit, die er zu seiner Beruhigung gebraucht, folgte, hatte sich zwischen den beiden jungen Amerikanern ein eigenthümliches Spiel entsponnen. Johnson, wie absichtslos, wartete stets, bis sein Gegenüber seinen Aussatz gemacht, und wählte dann die nächsthöchste Karte für sich; Frost hatte entschiedenes Unglück, während die meisten von Johnson’s Aussätzen gewannen. Trotz der scheinbaren Absichtslosigkeit aber hatte der Erstere schnell genug die eigenthümliche Verfahrungsart bemerkt. „Suchen Sie etwas unter der Weise, meinen Karten zu folgen, Sir?“ fragte er halblaut, ohne das Auge vom Tische zu heben.

„Nichts, als Ihrem heutigen Mißgeschick zuvorzukommen,“ erwiderte Johnson, mit einem leichten Lächeln aussehend, „Sie sprachen selbst von ihrem schlimmen Glücke, Sir!“

Frost erwiderte nichts und machte gelassen seine weiteren Aussätze; nur wer ihn genauer beobachtete, wie es Reichardt that, konnte, sobald den Spielenden ein neuer Verlust traf, dem fast immer ein Gewinn seines Gegenüber folgte, ein scharfes Zucken seiner Lippen bemerken. Nach einer Weile überblätterte er spielend den Rest des ihm gebliebenen Geldes und lehnte sich dann, den Gang des übrigen Spiels beobachtend, auf dem Divan zurück.

Johnson machte eine ähnliche Bewegung auf seinem Stuhle und pausirte gleichfalls.

„Halten Sie es für angenehm, Sir,“ begann Frost plötzlich, „sich als Fußgestell für das Spielglück eines Andern brauchen zu lassen, wie Sie es mit mir zu thun scheinen?“

Johnson’s Lippe kräuselte sich wie im leichten Spotte. „Regen Sie sich doch nicht unnöthig auf, John,“ sagte er gedämpft, „was thue ich denn? Ich mache gern einzelne Experimente beim Spiel, das ist Alles. Ist Ihnen aber meine Person wirklich so fürchterlich, so thue ich Ihnen gern den Gefallen und gehe.“

„Fürchterlich? glaube kaum, Sir!“ versetzte der Erstere mit einem halbverächtlichen Zucken um seine Mundwinkel, „aber lästig, Sir, unangenehm, wie es alles Aufdringliche wird.“

Der Andere wurde bleich und schien gegen eine aufsteigende Erregung zu kämpfen. „Ich hoffe, Sir, meine Aussätze machen zu können, wie es mir selbst gut dünkt?“ sagte er nach einer Weile langsam.

Frost antwortete nicht, begann aber mit einem Theile seiner Banknoten das Spiel von Neuem – nach zwei Abzügen war der Aussatz verloren; rasch, wie trotzig, ließ er den ganzen übrigen Rest folgen, und in kaum längerer Frist war auch dieser verschwunden. Mit einem halben Fluche zwischen den Lippen erhob er sich.

„Diesmal bin ich hoffentlich außer Verdacht,“ rief Johnson, sein halbspöttisches Lächeln wieder aufnehmend, „und jetzt thun Sie Ihre querköpfigen Gedanken bei Seite, disponiren Sie über meinen Baarvorrath und lassen Sie uns mit irgend Jemand ein vernünftiges Privatspiel machen!“

Frost gab einen unmuthigen Laut von sich, von dem man nicht wußte, war er ablehnend oder annehmend, und wandte sich nach dem Büffet. Reichardt sah ihn dort zweimal nach einander sein Glas leeren, und den Deutschen überkam es plötzlich wie eine unbestimmte Sorge um jenen. Er wußte nicht, bis zu welcher Höhe der Beträge Verlust oder Gewinn hier getrieben wurde und ob das, was Frost bereits verloren, als bedeutend galt; aber er hatte die beginnende Aufregung des Letzteren bemerkt und ahnte, wie weit diese ihn gerade an einem Unglückstage führen könne. Und daneben hatte Reichardt während des ganzen Abends das eigenthümlich ernste Gesicht des alten Cassirers, mit welchem dieser ihm das Geld eingehändigt, nicht auf den Gedanken bringen können; bei jeder neuen Anzahl Banknoten, welche verloren ging, war es vor ihn getreten, und jetzt meinte er es fast mit einem Ausdruck der Mahnung vor sich zu erblicken. Halb unwillkürlich war er dem jungen Manne gefolgt. „Werden Sie noch länger hier bleiben, Sir?“ fragte er, an das Büffet tretend.

„Ei, natürlich – glauben Sie, ich soll wie ein gerupftes Huhn weggehen?“ war die Antwort.

„Und doch wäre das besser, Sir, als sich noch hinterdrein die Haut abziehen zu lassen. Sie haben ausgemachtes Unglück heute Abend – lassen Sie die Karten. Mr. Frost, und kommen Sie weg mit mir!“

Frost hob plötzlich den Kopf und blickte dem Deutschen eine Secunde lang scharf in’s Auge. „Handeln Sie vielleicht nach einem Auftrage des alten Bell, Sir?“ fragte er. In Reichardt’s Gesicht schoß das Blut, er öffnete den Mund und schloß ihn wieder, als finde er nicht sogleich eine Erwiderung.

„Ein Schlag in’s Gesicht wäre mir lieber gewesen als das!“ sagte er endlich, sich wegdrehend; im gleichen Augenblicke aber fühlte er auch seinen Arm gefaßt.

„Bleiben Sie, Sir, es war nicht so schlimm gemeint!“ rief der Amerikaner mit halb unterdrückter Stimme, „ich bin ärgerlich, das ist Alles – sprechen Sie aber auch jetzt nicht vom Gehen, wo ich zum Wenigsten dem glatten Johnson noch einen Denkzettel anzuhängen habe.“

„Well, Sir,“ erwiderte Reichardt, sich langsam zurückwendend, „und gerade deshalb möchte ich Sie bitten, mit mir wegzugehen!“

„Aber beim –! welches Interesse haben Sie denn dabei?“

Reichardt faßte den Arm seines Gesellschafters und trat mit ihm noch einen Schritt weiter von den Spieltischen weg. „Sie haben mir einmal gesagt, Sir,“ begann er hier, den Blick voll in Frost’s Auge ruhen lassend, „ich solle Ihr Freund sein, und das ist es, was mich zu Ihnen reden läßt. Ich weiß nicht, wie weit Ihre gehabten Verluste Sie berühren, denn mir fehlt noch jeder Maßstab für die Verhältnisse; ich weiß aber, daß Sie schon jetzt nicht mehr kalt sind, daß jeder neue Verlust Sie nur immer hartnäckiger machen wird das Verlorene wieder beizubringen, ohne darin auf eine Grenzlinie zu achten; daß Sie bei Ihrem heutigen Unglück nur das Opfer für Andere abgeben müssen, und daß sich, wenn Sie morgen früh mit kaltem Kopfe überschlagen werden, ein Debet für Sie herausstellen kann, das, auf diese Weise entstanden, selbst einen John Frost zu erschrecken vermöchte. Sparen Sie, wenn einmal gespielt sein muß, Ihre Revanche auf bis zu einem glücklicheren Tage, Sir; und selbst wenn Sie mir jetzt nicht Recht geben möchten, so thun Sie es, um mir zu zeigen, daß die Freundschaft, die Sie mir angeboten, nicht nur allein in Ihren Worten bestanden hat.“

„Sie sind jedenfalls ein eigenthümlicher Mensch, Reichardt,“ erwiderte Frost, den jungen Deutschen mit einem lächelnden Blicke betrachtend, „und ich würde sagen, die ganze Sache ist gar nicht der vielen Worte werth, wenn sie mich nicht wieder ein Stückchen näher mit Ihnen bekannt gemacht hätte. Ich soll also heute als ein gerupftes Hühnchen fortgehen und mich nicht einmal nach den Federn umsehen – very well! Sie sollen Ihren Willen haben, und die ganze Gesellschaft mag heute in Gottes Namen zum – und so weiter. Für die Zukunft aber, wenn wir uns wieder hier treffen sollten, werde ich mit Ihnen einen ganz besonderen Contract machen. Kommen Sie also!“ – „Frost, was beim Donner, Sie gehen?“ sagte Johnson, dem Angerufenen in den Weg tretend.

„Müssen das mit meinem Freunde Reichardt hier ausmachen,“ erwiderte dieser lachend, ohne sich aufhalten zu lassen, „er will mich durchaus nicht in Ihren gefährlichen Händen wissen!“

Johnson war, die Stirn runzelnd, zurückgetreten; aber als die beiden Andern das Zimmer bereits verlassen, stand er noch den Blick auf die Thür geheftet und brummte zwischen den Zähnen: „Wer ist dieser Mensch eigentlich?“ –

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_436.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)