Seite:Die Gartenlaube (1861) 432.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

neugeborenen Hoffnungen wie eine Seifenblase zerspringen zu sehen.“

Der junge Frost schien den Sinn jedes fallenden Wortes mit seinen Augen durchdringen zu wollen. „Und glauben Sie,“ fragte er nach einer kurzen Pause langsam, „daß auch die junge Lady keine anderen Empfindungen für sie in Ihrem Herzen vermuthet?“

Reichardt’s Wangen färbten sich leicht. „Wenn ein vollkommen klares, bestimmtes Aussprechen eine Meinung schaffen kann,“ erwiderte er in derselben nachdrücklichen Weise, in welcher die Frage gestellt war, „so muß sie wissen, daß ich keines wärmeren Gefühls als das eines freundlichen Dankes gegen sie fähig war.“

„Und diese Aussprache hat stattgefunden?“

„Sogar schriftlich, Mr. Frost, da ich nicht persönlich mich bei ihr verabschieden konnte.“

Der junge Amerikaner sah einige Secunden lang in das offene Auge des Deutschen. „Ich glaube Ihnen, Sir,“ sagte er dann des letzteren Hand drückend, „und selbst wenn Sie mir etwas verschwiegen hätten, so weiß ich, daß es nichts sein kann, was meiner Ehre auch für künftige Fälle im Geringsten zu nahe treten könnte – und so bitte ich Sie, lassen Sie uns Freunde sein. Ich weiß, ihr Deutschen nehmt das Wort tiefer und bedeutsamer, als es gewöhnlich der Amerikaner thut, und es muß das deutsche Blut von meinem Vater sein, was mich oft nach einem Freunde in diesem bessern Sinne hat verlangen lassen –“

„Wenn ich Ihnen genüge, Sir,“ unterbrach ihn Reichardt angeregt, „so sollen Sie haben, was Ihnen fehlt, und von ganzer Seele sei es Ihnen gegeben –“

„Gut, Sir, ich werde Sie an Ihr jetziges Wort mahnen,“ erwiderte Frost, des Deutschen Hand fester drückend, „und so lassen Sie uns jetzt die Gläser darauf leeren!“

Die Linke beider junger Männer führte eben den Champagner zum Munde, als die Thür aufsprang und lachend eine kleine Anzahl neuer Gäste erschien. „Halloh, hier ist auch Jemand, der Trauer anlegen wird; was, Frost?“ rief einer der Eintretenden. „Wir sprachen eben von dem Manne mit dem Deficit und seinen köstlichen Soirées, die nun verschwinden werden, ebenso wie die beiden armen Mädchen –“

Reichardt hatte aufgesehen und neben dem Sprechenden William Johnson’s Gesicht erblickt, das wie in starrer Befremdung die Stellung der beiden Dasitzenden wahrgenommen, sich dann aber rasch abgekehrt hatte.

„Laßt doch die Mädchen, die wahrlich keine von den schlimmsten waren!“ rief Frost, sich mit einem Lachen, das eine aufsteigende Mißstimmung zu verdecken schien, erhebend; „ich denke, sie werden jetzt so viel Noth mit sich selbst haben, daß wir sie nicht noch zwischen uns herumziehen sollten.“

„Ganz Frost, ganz Frost!“ klang die Antwort zurück, „aber hierher, Gentlemen, im Sitzen läßt sich das Thema viel besser erörtern!“

„Lassen Sie uns bei ihnen Platz nehmen,“ raunte der Erstere dem jungen Deutschen zu, als die Angekommenen sich um einen der Tische gruppirten, „ich werde dadurch zugleich Gelegenheit haben, Sie mit einem bestimmten Typus aus der New-Yorker Gesellschaft bekannt zu machen.“

„Warten Sie damit, bis ich in meiner neuen Stellung bin,“ gab Reichardt halblaut zurück, „ich habe jetzt nicht einmal das Recht, über meine Zeit zu disponiren, bin augenblicklich noch Porter und mag mich als solcher nicht mit meinem fashionablen Principal zu derselben Gesellschaft setzen.“

Ein Zug von Humor glitt über das Gesicht des Andern. „Well, gehen Sie und machen Sie sich baldigst los,“ sagte er; „das ganze Verhältniß könnte wahrlich Stoff zu dem besten Spaße geben!“ Er begleitete seinen Gesellschafter, die Hand vertraulich auf dessen Schulter gelegt, bis nach der Thür, und Reichardt beeilte sich, den Heimweg zu nehmen.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Die Radblumen.[1] Geht man an einem staubigen Tage, wo die Straße nicht gerade vom Regen naß, über einen wohlgepflegten Heerweg, so hat man nicht blos Blumen rechts und links auf den Aeckern und Wiesen zu betrachten, man kann deren sogar gerade vor sich, mitten auf dem Wege und zwar in den Fahrgleisen wahrnehmen, welche sich der Straße eingedrückt haben.

Radblume

Es sind dieses Gebilde von Staub, welche sich in ihrer Entstehung zwar himmelweit von denen unterscheiden, welche der Frost an die Scheiben der Fenster zu hauchen pflegt, welche aber an Gestalt denselben nicht ganz unähnlich scheinen. Da sich diese Blumen beinahe auf jeder Straße finden, so ist es auffallend, daß sie so wenig bekannt geworden. Ich entsinne mich wenigstens nicht, daß ich je einen Gelehrten über sie reden gehört, daß ich sie irgend in einer Schrift erwähnt gesehen. Wahrscheinlich erscheinen dieselben erst seit der Einführung der breiten Räder, welche die tiefen Fahrgleise von den Straßen verwischten, eine ebenere Bahn ermöglichten. Dieses ist aber auch schon geraume Zeit her, so daß sie wohl hätten beobachtet werden können, wenn die Menschen leicht das sähen, was gerade vor ihren Füßen liegt. Bei ruhigem Wetter, wenn der Wind nicht mit Gewalt die Straße überfegt, findet man nämlich in den Spuren der breiteren Wagenräder, die von der Last des Wagens hüsch fest und glatt geworden, mitten innen immerhin noch losen, nicht fest gedrückten Staub, der dadurch, daß er lose aufgeschichtet ist, sich in der Farbe dunkler von dem glattgedrückten abhebt.

Wo der Boden felsig oder moorig ist, wird sich der Staub nicht wohl bilden können, auf anderem Grunde sind aber Steine und Erde bald in Mitten der Straße durch die Räder so zermalmt, daß der feinste Staub zu den genannten Gebilden selten ermangelt. Mitten in der Radspur ist ein von diesem losen Staube gebildeter erhabener Strich bemerkbar, welcher, wenn man ihn genau in’s Auge faßt, nie ganz gerade die Mitte hält, sondern sich stets in Schlangenwindung, wenn auch nur wenig Linien wechselnd, bald nach der einen, bald nach der anderen Seite zieht. Von diesem erhabenen Striche laufen beiderseits mit großer Regelmäßigkeit längere und kürzere Staubstriche in sanften Schwingungen aus und bilden so die Blume oder die Verzierung, die, wie gesagt, den Eisblumen der Fensterscheiben oder einigen Algen (Meerpflanzen), in ihren Schwingungen gleich kommen. Vorstehende Tafel dürfte sie dem Leser, welcher noch nicht auf sie aufmerksam gewesen, zur Anschauung bringen. – Zu bemerken ist noch, daß in dieser Zeichnung die Striche und Aeste der Pflanze stets so fallen, als ob sie vom Rade aus rückwärts gewachsen seien. Aus ihnen kann daher ein Beobachter die Spur ermitteln und mit Zuversicht sagen, welchen Weg der bereits aus dem Auge verschwundene Wagen, der sie gebildet, eingeschlagen hat, selbst wenn die Hufspur unkenntlich geworden wäre.

Die Entstehungsursache der schönen Zeichnung dürfte nicht schwer zu finden sein. Von dem Winde und dem Luftdrucke kann sie nicht herrühren, weil sie bei jeder Richtung des Windes stets dieselbe bleibt, stets in gewöhnlicher Gestalt, mit oder gegen die Zugluft in dem Gleise anschießt. Es bleibt demnächst keine andere Ursache übrig, als die Erschütterung der Straße durch die Räder. Daß diese wirklich stattfindet, wird Niemand leugnen, welcher je an einer befahrenen Straße gewohnt hat. Wie schwer aber nun auch der Weg unter der Last gedrückt wird, das ganze Geleise kommt dadurch nicht in Schwingung, sondern nur einzelne Theile desselben, und diese schwingenden Theile werfen den losen Staub den ruhenden Theilen zu, bilden somit die Klangfigur. In tonkundiger Weise dürfen wir zwar hier nicht von Klängen sprechen, die Erschütterung bleibt aber immerhin dem Tone entsprechend, nur daß sie dem menschlichen Ohr nicht mehr die erforderlichen Bedingungen bietet, nicht mehr musikalischer Ton genannt zu werden pflegt. Die Mitte des Gleises, welche den schwersten Druck zu tragen hat, ist daher auch vor allen anderen Theilen ruhend. Wenn der Wagen durch eine stetige Kraft in gerader Richtung fortbewegt würde, müßte diese Linie und mithin der Strich der Mitte gerade ausfallen, da aber das Pferd oder die Pferde, wie gerade sie gehen mögen, in verschiedenen Augenblicken ziehen, unter dem Ziehen sich schreitend bewegen, so erhält der Wagen und mit demselben das Rad einen, wenn auch noch so gelinden Druck abwechselnd nach der einen, dann nach der andern Seite dergestalt, daß der Druck und mithin die ruhende Stelle immer, wenn auch nur in dem Spielraume weniger Linien, wechselt.

Wir haben oben gesagt, daß diese Gebilde bei trocknem, staubigem Wetter entstehen. Wie leicht begreiflich ist, darf bei diesem trocknen Wetter der Wind nicht zu arg spielen, weil derselbe sonst zu rasch die Zeichnungen des erderschülternden Rades verwischen würde. Sobald der Staub aber durch Regen genetzt wird, die Straße dadurch ein schlammiges Ansehen gewinnt, ist die Bildung äußerst erschwert. Ganz unmöglich ist sie aber doch nicht. Ich glaube wenigstens im Schlamme bemerkt zu haben, daß dieser sich hin und wieder in derselben Weise in der Mitte des Fahrgleises, wenn auch weniger zierlich, ansetzte. Da er aber zu diesem Ende einen bestimmten Grad von Flüssigkeit haben muß, um den Erschütterungen folgen zu können, und wieder so zähe sein muß, daß er die einmal angenommene Form, wenn sie gegeben ist, beibehält, so bleibt diese Art von Gebilden schwerer zu beobachten. Die trockenen Klangfiguren des Heerweges werden dagegen an schönen Sommertagen den Lesern dieser Blätter wohl erreichbar sein, sie bei der Langeweile einer staubigen Straße einigermaßen beschäftigen können. Durch diese Erscheinung gewinnen sie die Ueberzeugung, daß die Kräfte der Natur aus dem kleinsten Staube in jedem Augenblicke Zier- und Schönheit entwickeln können.

W. v. W. 


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_432.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
  1. Wir erlauben uns hier das Wort in dem Sinne zu brauchen, wie man auch von Eisblumen spricht. Blume ist hier nicht gleichbedeutend mit Blüthe, sondern soll nur die entfernt pflanzenähnliche Bildung andeuten.