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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Spaziergänge durch das heutige Rom und durch die Campagna.

III.

Ich schlenderte umher in den Straßen der „ewigen Stadt“, ohne bestimmtes Ziel und ohne bestimmten Zweck, wie ich es so gern thue, die Physiognomien der Häuser und der Menschen betrachtend. Ich befand mich im schönsten Theile Roms, in der Nähe des spanischen Platzes, aber auch hier blickten mich die Häuser oft mit dunkeln, abgeschlagenen Fensteraugen an, in denen schmutzige halbgewaschene Wäsche zum Trocknen aufgehängt war, die Atmosphäre war voll üblen Geruchs, alle zehn Schritte streckte mir ein zerlumpter Bettler die schmutzigen Hände entgegen, und eine todte Katze verweste mitten auf dem Platze, wo die Säule steht, welche der Papst als Erinnerung an das von ihm eingeführte Dogma der unbefleckten Empfängnis, der heiligen Jungfrau Maria hat aufrichten lassen. Auf allen Plätzen Roms stehen dergleichen Säulen und Obelisken. Sie waren ehemals mit den Statuen römischer Helden und Imperatoren gekrönt. Die Regierungen der Päpste haben die Statuen der Helden und Imperatoren abnehmen und sie durch Heilige und unbekannte Märtyrer ersetzen lassen, welche gesenkten Hauptes, die Köpfe mit vergoldeten Reifen und Strahlenkränzen geschmückt, auf „das Rom der Päpste“ hinabblicken. Die todte Katze verpestete ringsumher die Luft. „Wenn doch die Regierung des Papstes sich statt dessen mit Einführung einer guten Straßenpolizei beschäftigte!“ dachte ich unwillkürlich. Aber davon ist keine Rede. Ich würde Niemandem rathen, Abends allein vor den Thoren spazieren zu gehen. In den Ruinen des alten Roms ist die Unsicherheit so groß, daß die französische Commandantur an den Eingängen des Coliseums Schildwachen aufgestellt hat, und man diese grandiosen Reste des Alterthums bei Mondschein nur gegen einen besondern Erlaubnißschein betreten kann. Ermordungen mitten auf der Straße kommen sogar zuweilen bei Tage vor. Es sind das ja bekannte römische Zustände.

Der öffentliche Schreiber.
Nach der Natur gezeichnet von Zwahlen und Zielcke

Mit diesen Gedanken ging ich mitten über den Platz und betrat eine der auf denselben mündenden Seitenstraßen, um nach dem Corso zu gehen. An der Ecke der Straße vor dem verfallenen Thore eines Palastes saß an einem alten, wackligen Tische unter einem Baldachin von Segeltuch ein Mann in etwas schäbigem Anzuge, einen ebenso schäbigen Hut auf dem grau gewordenen Kopfe, eine Hornbrille auf der Nase, und schrieb eifrig. Neben ihm stand ein hochgewachsenes, schönes junges Mädchen in der Tracht einer römischen Bäuerin aus der Campagna. Sie schien ihm häufig das zu dictiren, was er zu Papier brachte. Wahrscheinlich war es ein Liebesbrief. Ich trat hinzu und horchte. Richtig, es war ein Liebesbrief an ihren Verlobten, und der Liebesbrief handelte vom Heirathen. Ich hatte einen „öffentlichen Schreiber“ vor mir, eine jener charakteristischen Figuren, wie man sie in Mittelitalien und Sütitalien auf allen öffentlichen Plätzen in größern und kleinern Städten findet. Die Kunst des Lesens und Schreibens ist bei dem geringern Theile sowohl der städtischen als der ländlichen Bevölkerung in den römischen Staaten noch nicht sehr zu Hause, und die öffentlichen Schreiber sind Vertrauenspersonen, denen Jedermann seine Geheimnisse ungenirt anvertraut, damit sie sie zu Papier und so an ihren Mann bringen.

Stets ist der öffentliche Schreiber ein Mann von gesetzten Jahren, Ende der Vierzig oder Mitte der Fünfzig, die Brille scheint bei allen eine unvermeidliche Zuthat, ihr Aeußeres hat immer etwas Würdiges und Wichtiges, wenn es auch oft etwas schäbig ist. So saß auch der öffentliche Schreiber hier vor mir mit würdiger und wichtiger Miene auf seinem Stuhl, und schrieb ungestört von dem schreienden Kinde, welches ein halberwachsenes Mädchen neben ihm auf seinem Schooße hielt, von dem „Ahoi!“ des Eseltreibers, der gerade vorüberzog, und von dem ganzen rauschenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_428.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)