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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Und diese Eine?“

„Hat mich verrathen und betrogen!“

„Schändlich! teuflisch! Und dennoch bist Du ein Thor, wenn Du darum der holden Minne gänzlich entsagt hast!“

„Nicht doch, Amadeus! Du weißt, Dortchen Lakenreißer ist mir an’s Herz gewachsen!“

„Pfui, Ludwig! Wie kannst Du das heiligste Gefühl in der Menschenbrust so verspotten!“

„Still, Du girrender, liebeskranker Schäfer; ich könnte Dir Namen nennen, die Dich erblassen machen würden! Also Du kommst heut Abend nicht?“

„Nein, nicht zu Dir! Aber zu ihr werde ich eilen, zu der göttlichen Frau, die mich in ihren wunderbaren Kreis gebannt hat, deren Athem mich wie Wohlgeruch aus tausend Blumenkelchen anweht, deren Stimme himmlische Sphärenmusik, deren Gang schwebender Götterschritt ist.“

Damit stürzte er hinaus; ich folgte ihm unbemerkt. Als ich ihn über den Gensd’armenmarkt eilen sah und ihn bald darauf, wilde Phantasiestücke auf dem Flügel spielen hörte, war ich für den Augenblick beruhigt und kehrte zurück. Der Tag neigte sich zu Ende; die Sonne färbte die Kuppeln der Gensd’armenthürme mit ihrem scheidenden Strahle. Ich begab mich in meiner Verkleidung zu Frau von Z., welche eins der schönsten Quartiere im Reimerschen Hause in der Wilhelmsstraße bewohnte.

„Ist Frau von Z. zu Hause?“ fragte ich den Portier.

„Ja wohl, Herr Kammergerichtsrath!“ lautete die Antwort. „Bemühen Sie sich gefälligst in den Garten.“

Ganz schlecht ist Deine Verkleidung also nicht, wenigstens den Alten hast Du getäuscht! sprach ich zu mir und trat in den Garten. Ich fand die Dame auf einer Bank sitzen, sie war in tiefen Gedanken; eine feierliche Stille herrschte unter den hohen Bäumen, deren Wipfel noch im Abendroth glühten, während der Mond schon die Schatten der schlanken Stämme auf den Rasen warf. Als ich mich näherte, weckte der verrätherische Kies die Dame aus ihren Gedanken.

„Verzeihung, tausendmal Verzeihung, gnädige Frau, wenn ich Sie in dieser süßen, trauten Stille störe! Hier, dies ungestüm pochende Herz treibt mich rastlos umher, treibt mich gegen Ihren Willen hierher; es sucht Sie und nur Sie, wär’s auch nur, um Ihnen guten Abend zu sagen und um Ihren holden Augen süßen Schlummer für die herrliche, duftige Sommernacht zu wünschen!“

„Ich danke Ihnen, Herr Kammergerichtsrath! Mein Herz nimmt nicht so hohen Flug; es acceptirt Ihre Wünsche bestens und erwidert sie höchst prosaisch mit „angenehme Ruh’, mein Herr!““

„O wie hart, wie grausam klingt dieser Wunsch aus Ihrem Munde! Meine Augen schließen sich, seit sie die Perle der Frauen Berlins gesehen haben, nicht mehr zu erquickendem Schlummer. Gestatten Sie mir, gnädige Frau, wenigstens während einer flüchtigen Abendstunde mein Elend zu vergessen.“

„Wenn Sie mir versprechen, kein Wort mehr von Liebesschmerzen und schmachtendem Herzen, von strahlender Sonne und himmlischer Wonne in den Mund zu nehmen, will ich Ihnen die Erlaubniß geben, eine Tasse Thee bei mir einzunehmen.“

„Ich verspreche Alles, süßeste der Frauen! O, Ihre Nähe macht ja schon glücklich.“

„Sie sündigen gegen Ihr Versprechen, indem Sie es ablegen,“ sprach lächelnd Frau von Z. Dann fuhr sie fort: „Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, Herr Rath; ich habe vergessen, dem Diener einen nöthigen Befehl zu geben.“

„Verzeihen Sie, gnädige Frau, wenn ich so unbescheiden bin zu fragen, zu wem Sie den Diener schicken wollen. Ich vermuthe, Sie wollen ihn zu mir schicken, und möchte Ihnen gern den Weg ersparen.“

Bei diesen Worten nahm ich die Perrücke ab. Frau v. Z., vor Erstaunen außer sich, rief aus: „Wie? täuschen mich meine Augen? Sie sind nicht der Kammergerichtsrath, sondern Herr Devrient?“

„Habe ich meine Rolle gut gespielt, gnädige Frau?“

„Ausgezeichnet! Aber Sie haben mich entsetzlich geängstigt! So toll hat’s ja der Kammergerichtsrath kaum gemacht!“

„Sie werden mich entschuldigen, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie nur auf diese Weise von der Ihnen lästigen Zudringlichkeit meines Freundes befreien kann; denn ein Dämon kann nur durch den anderen ausgetrieben werden.“

„Herrlich,“ sagte Frau von Z., „das wird einen königlichen Spaß geben! Aber werden Sie dem armen Kammergerichtsrath nicht einen Todesschrecken einjagen?“

„Der Schreck wird ihn hoffentlich curiren. Wenn Sie jedoch meinen, daß ich dem armen Kammergerichtsrath zu hart mitspiele, so haben Sie nur zu befehlen, und ich gehe.“

„Bitte, bitte, Herr Devrient; bleiben Sie! Ich weiß keinen anderen Weg, um aus der peinlichen Situation zu kommen.“

In diesem Augenblicke war der wirkliche Hoffmann heftig und verstört über das Quarré des Hofes geeilt und die Treppe hinaufgestolpert; wir hörten ihn den Portier fragen: „Ist Frau von Z. zu Hause?“

„Na nu,“ antwortete dieser verwundert, „habe ich Ihnen, Herr Kammergerichtsrath, denn nicht bereits vor einer Viertelstunde gesagt, daß die gnädige Frau im Garten sei?“

„Er ist ein Narr!“ Mit diesen Worten fuhr Hoffmann auf den alten Mann los und stürmte an ihm vorüber in den Garten.

Ich hatte mich verabredeter Maßen etwas zurückgezogen, um Hoffmann, dessen Aufmerksamkeit durch jene unvorsichtige Aeußerung des Portiers möglicher Weise geweckt sein konnte, jeden Argwohn zu benehmen. Dies gelang. Frau von Z. ließ ihn gewähren, und Hoffmann entfaltete vor ihr den bunten, prahlenden Pfauenschweif seiner Galanterie. Seine Exaltation stieg mit jeder Minute; eben war er im Begriff, sich seiner Angebeteten zu Füßen zu werfen, als ich hinter einem Baume hervortrat. Das Geräusch meiner Schritte hatte ihn gestört. Ich hatte Sorge getragen, daß das volle Licht des Mondes mich beleuchtete, sodaß Hoffmann, als er mich erblickte, wie angewurzelt stehen blieb.

„Was ist das?“ fragte er entsetzt, und die Haare stiegen ihm zu Berge. „Bist Du ein Teufelsspuk, der mich necken will?“ rief er mit stammelnder Zunge mir zu.

„Mit wem reden Sie, Herr Kammergerichtsrath?“ fragte Frau von Z., indem sie sich gleichgültig nach allen Seiten umsah.

„O gnädigste Frau, sehen Sie denn nicht dort den Doppelgänger meines eignen Ich’s?“

„Sie scherzen, Verehrtester! Ich sehe nichts als den Mondschein auf dem Rasen.“

„Ich beschwöre Sie, sehen Sie noch einmal und genau hin! Sehen Sie nicht das Phantom dort, wie es jede meiner Bewegungen nachmacht?“

„Herr Rath, Sie treiben den Scherz zu weit!“

„Gnädige Frau, ich scherze nicht in dieser Stunde und vielleicht niemals mehr; es ist fürchterlicher Ernst.“

„Nein, das ertrage ich nicht länger, Herr Kammergerichtsrath! Erst langweilen Sie mich mit tollen Liebeserklärungen, die, wenn mein Gemahl sie gehört hätte, eine schreckliche Scene hervorrufen würden; und nun quälen Sie mich gar mit noch tolleren Phantasien.“

„Gnädige Frau,“ sprach bleich und bebend Hoffmann, „ich werde Sie nie wieder mit tollen Liebeserklärungen heimsuchen, nur bannen Sie das Gespenst dort, über das Sie allein Gewalt haben können, bannen Sie meinen Doppelgänger in ewige Nacht zurück. Träfe ich ihn noch einmal, so wär’s mein Tod!“

Damit stürzte er in wilder Eile aus dem Garten; oben auf der Terrasse blickte er sich scheu um, ob ihm sein Doppelgänger nicht nachfolge. Keines Wortes mächtig ließ er den Portier, welcher ihn erwartete und fragte, ob er Frau von Z. gesprochen habe, verblüfft über die eilige Flucht stehen, und erreichte athemlos und verstört seine Wohnung. Erst nach einigen Tagen sah ich ihn wieder. Niemals hat er von diesem Abenteuer gesprochen; niemals ist er wieder Frau von Z. lästig gefallen.“

„Die Geschichte ist erst nach seinem Tode ruchbar geworden,“ sagte der Arzt, „und zwar durch Frau von Z.“

„Sie hatte mir das feste Versprechen gegeben,“ fügte Devrient hinzu, „bei Lebzeiten Hoffmann’s das tiefste Schweigen über den Vorfall zu beobachten.“

„Sie hat Wort gehalten! Aber wie gelang es Ihnen, den Portier zu täuschen?“ fragte der Arzt.

„Frau von Z. gab dem alten Manne einen Auftrag, der ihn auf einige Augenblicke aus seiner Loge entfernte. Diesen Moment benutzte ich, um mich unbemerkt zu entfernen.“

„Und damit genug für heute!“ sagte der Kammergerichtsrath.

Die Gesellschaft brach auf; Devrient wurde nach Haus gebracht.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_426.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)